Kämpfen wir für den ORF – aus Sorge um das gemeinsame Haus
Eine immer stärker in Befindlichkeitsbubbles fragmentierte Gesellschaft braucht einen gemeinsamen Nenner. Dafür lohnt es sich zu streiten.
Grund zum Feiern gibt es beim ORF nicht allzu oft. Ich bedauere das. Bin ich doch überzeugter GIS-Beitragszahler. Die öffentlich-rechtlichen Programme nutze ich vermutlich über Gebühr und jedenfalls weit über das beschränkte österreichische Angebot hinaus. Ö1, FM4, SWR2, Deutschlandfunk, SRF 2, BBC Radio 1 – all das klingt wie Musik in meinen Ohren, und das durchaus auch, wenn es um Wortbeiträge geht.
Sie merken schon: Ich bin ein Radiomensch. Sogenannte Bewegtbildinhalte – also das, was man früher einmal Fernsehen nannte – erreichen mich zwar mittlerweile über das Internet auch wieder; am ehesten aber in Form von Satireformaten wie Maschek. Zur Unterhaltung oder als sorgfältig aufbereitete Doku gern, doch um mich zu informieren, erachte ich Bewegtbild schlicht als zu ineffizient (und meist auch als zu schlicht). Am effizientesten bleibt diesbezüglich das geschriebene Wort. Doch das wäre eine andere Geschichte.
Jedenfalls ist der ORF in die Bredouille geraten, das ist offensichtlich. Eine unheilvolle Allianz versucht von allen Seiten, Stücke aus der Sendeanstalt herauszureißen: verschwörungstheoretische Schwurbler, Rechtspopulisten, ausschließlich wirtschaftlich motivierte Mitbewerber und nicht zuletzt jene 340.000 Menschen, die von skurrilen Präsidentschaftskandidaten angestachelt das Volksbegehren „GIS-Gebühr abschaffen“unterschrieben haben. Als ob der Sendeanstalt der allgemeine Medienwandel allein nicht bereits genug zu schaffen machen würde.
Auch ich höre Podcasts, nutze diverse digitale Plattformen und staune dann doch immer wieder, wenn mir die beiden Teenager der Familie ausgerechnet „ZiB“-Beiträge auf Instagram schicken. Weil sie die ORF-Marke als besonders vertrauenswürdig einschätzen. Das macht mich zuversichtlich. Denn ich glaube an die gemeinsame Sache. Und ich bin überzeugt, dass es gerade gemeinsam getragene öffentlichrechtliche Medien sein können, die eine immer stärker über Partikularinteressen bewirtschaftete und in Befindlichkeitsbubbles fragmentierte Gesellschaft (hier die wehleidigen Wutbürger, dort die überempfindsamen Woke People) im Kern zusammenhalten. Gewissermaßen als kleinster gemeinsamer Nenner. Ob es dafür in Österreich wirklich neun voll ausgestattete Landesstudios braucht oder ein eigenes Symphonieorchester – to be discussed. Aber eine stabile gemeinsame Basis, dafür lohnt es sich einzustehen und zu feiern, wenn es doch einmal Grund zum Feiern gibt.
Und den gibt es am 15. Oktober. An diesem Tag feiert das Radiokulturhaus (RKH) sein 25-jähriges Bestehen. Wienerinnen und Wiener kennen die Einrichtung im mittlerweile weitgehend verwaisten, weil als Programmstandort aufgegebenen, alten ORF-Funkhaus in der Argentinierstraße als Ort der Kultur. Allein im Vorjahr fanden dort 269 Veranstaltungen statt – klassisches Kulturprogramm, Pop, Kabarett und Literatur, aber auch diskursive Gesprächsrunden zu Politik, Gesellschaft und Wissenschaft. Über die Hauptstadt hinaus ist das RKH vor allem vom Hörensagen bekannt – aus Ankündigungen wie „live aus dem Radiokulturhaus“oder „aufgezeichnet im Radiokulturhaus“. Wenigen ist wohl bewusst, dass das RKH in seiner Programmgestaltung zutiefst österreichisch, zutiefst öffentlich-rechtlich, technisch auf der Höhe der Zeit und dabei eine der verlässlichsten Konstanten im hiesigen Kulturbetrieb ist.
2020 reagierte man wenige Tage nach dem ersten Lockdown mit Live-Veranstaltungen, die zwar vor leeren Sälen stattfanden, aber kostenlos gestreamt ein großes Publikum erreichten. Über die neun Lockdown-Monate seither – in Zeiten, in denen Kulturschaffende sonst de facto keine Möglichkeit für Auftritte hatten – gab es aus dem RKH 195 Videostreams. Viele Stunden davon gingen auch in den ORF-Radios on air, als Podcasts online und auf ORF III auf Sendung. Vielfach bewegende Momente, auch in bewegten Bildern. Ich feiere das.
Ich staune immer wieder, wenn mir die beiden Teenager der Familie ausgerechnet „ZiB“-Beiträge auf Instagram schicken.