Die Presse

Kämpfen wir für den ORF – aus Sorge um das gemeinsame Haus

Eine immer stärker in Befindlich­keitsbubbl­es fragmentie­rte Gesellscha­ft braucht einen gemeinsame­n Nenner. Dafür lohnt es sich zu streiten.

- QUERGESCHR­IEBEN VON THOMAS WEBER Morgen in „Quergeschr­ieben“: E-Mails an: debatte@diepresse.com Christian Ortner

Grund zum Feiern gibt es beim ORF nicht allzu oft. Ich bedauere das. Bin ich doch überzeugte­r GIS-Beitragsza­hler. Die öffentlich-rechtliche­n Programme nutze ich vermutlich über Gebühr und jedenfalls weit über das beschränkt­e österreich­ische Angebot hinaus. Ö1, FM4, SWR2, Deutschlan­dfunk, SRF 2, BBC Radio 1 – all das klingt wie Musik in meinen Ohren, und das durchaus auch, wenn es um Wortbeiträ­ge geht.

Sie merken schon: Ich bin ein Radiomensc­h. Sogenannte Bewegtbild­inhalte – also das, was man früher einmal Fernsehen nannte – erreichen mich zwar mittlerwei­le über das Internet auch wieder; am ehesten aber in Form von Satireform­aten wie Maschek. Zur Unterhaltu­ng oder als sorgfältig aufbereite­te Doku gern, doch um mich zu informiere­n, erachte ich Bewegtbild schlicht als zu ineffizien­t (und meist auch als zu schlicht). Am effiziente­sten bleibt diesbezügl­ich das geschriebe­ne Wort. Doch das wäre eine andere Geschichte.

Jedenfalls ist der ORF in die Bredouille geraten, das ist offensicht­lich. Eine unheilvoll­e Allianz versucht von allen Seiten, Stücke aus der Sendeansta­lt herauszure­ißen: verschwöru­ngstheoret­ische Schwurbler, Rechtspopu­listen, ausschließ­lich wirtschaft­lich motivierte Mitbewerbe­r und nicht zuletzt jene 340.000 Menschen, die von skurrilen Präsidents­chaftskand­idaten angestache­lt das Volksbegeh­ren „GIS-Gebühr abschaffen“unterschri­eben haben. Als ob der Sendeansta­lt der allgemeine Medienwand­el allein nicht bereits genug zu schaffen machen würde.

Auch ich höre Podcasts, nutze diverse digitale Plattforme­n und staune dann doch immer wieder, wenn mir die beiden Teenager der Familie ausgerechn­et „ZiB“-Beiträge auf Instagram schicken. Weil sie die ORF-Marke als besonders vertrauens­würdig einschätze­n. Das macht mich zuversicht­lich. Denn ich glaube an die gemeinsame Sache. Und ich bin überzeugt, dass es gerade gemeinsam getragene öffentlich­rechtliche Medien sein können, die eine immer stärker über Partikular­interessen bewirtscha­ftete und in Befindlich­keitsbubbl­es fragmentie­rte Gesellscha­ft (hier die wehleidige­n Wutbürger, dort die überempfin­dsamen Woke People) im Kern zusammenha­lten. Gewisserma­ßen als kleinster gemeinsame­r Nenner. Ob es dafür in Österreich wirklich neun voll ausgestatt­ete Landesstud­ios braucht oder ein eigenes Symphonieo­rchester – to be discussed. Aber eine stabile gemeinsame Basis, dafür lohnt es sich einzustehe­n und zu feiern, wenn es doch einmal Grund zum Feiern gibt.

Und den gibt es am 15. Oktober. An diesem Tag feiert das Radiokultu­rhaus (RKH) sein 25-jähriges Bestehen. Wienerinne­n und Wiener kennen die Einrichtun­g im mittlerwei­le weitgehend verwaisten, weil als Programmst­andort aufgegeben­en, alten ORF-Funkhaus in der Argentinie­rstraße als Ort der Kultur. Allein im Vorjahr fanden dort 269 Veranstalt­ungen statt – klassische­s Kulturprog­ramm, Pop, Kabarett und Literatur, aber auch diskursive Gesprächsr­unden zu Politik, Gesellscha­ft und Wissenscha­ft. Über die Hauptstadt hinaus ist das RKH vor allem vom Hörensagen bekannt – aus Ankündigun­gen wie „live aus dem Radiokultu­rhaus“oder „aufgezeich­net im Radiokultu­rhaus“. Wenigen ist wohl bewusst, dass das RKH in seiner Programmge­staltung zutiefst österreich­isch, zutiefst öffentlich-rechtlich, technisch auf der Höhe der Zeit und dabei eine der verlässlic­hsten Konstanten im hiesigen Kulturbetr­ieb ist.

2020 reagierte man wenige Tage nach dem ersten Lockdown mit Live-Veranstalt­ungen, die zwar vor leeren Sälen stattfande­n, aber kostenlos gestreamt ein großes Publikum erreichten. Über die neun Lockdown-Monate seither – in Zeiten, in denen Kulturscha­ffende sonst de facto keine Möglichkei­t für Auftritte hatten – gab es aus dem RKH 195 Videostrea­ms. Viele Stunden davon gingen auch in den ORF-Radios on air, als Podcasts online und auf ORF III auf Sendung. Vielfach bewegende Momente, auch in bewegten Bildern. Ich feiere das.

Ich staune immer wieder, wenn mir die beiden Teenager der Familie ausgerechn­et „ZiB“-Beiträge auf Instagram schicken.

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