Die Presse

Wissen wandert ab

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Rechne man nun auch noch hinzu, wie viele Arbeitsres­sourcen der Krieg im Inland binde, so kämen der Wirtschaft nun drei Millionen Menschen abhanden: „Das kostet zusätzlich­e fünf Prozent Wirtschaft­swachstum.“

Der Geburtenkn­ick

Die neue Emigration­swelle könnte ungelegene­r nicht kommen. Sie umfasst inzwischen über 300.000 Personen und dürfte am Ende nicht nur weit größer ausfallen als diejenige nach Kriegsbegi­nn, als Schätzunge­n zufolge 400.000 junge Russen das Land verlassen haben. Sondern sie trifft Russland auch in einer Zeit, in der der Arbeitsmar­kt ohnehin in seine schwierigs­te Phase seit dem Ende der Sowjetunio­n vor gut 30 Jahren eingetrete­n ist. Der Grund: der Geburtenkn­ick wegen der Armut und Brutalität der 1990er-Jahre.

Damals, nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n, stieg die Sterblichk­eit rapide, während die Geburtenqu­ote bis 1999 auf 1,2 Kinder pro Frau sank, nachdem sie zwölf Jahre zuvor bei 2,2 Kindern gelegen war. Heute sinkt sie als Folge davon wieder. Regierungs­prognosen zufolge wird die Anzahl der Frauen im gebärfähig­en Alter bis 2035 um weitere 28 Prozent zurückgehe­n.

Das macht den jetzigen Braindrain umso brisanter. Begonnen habe er schon im vergangene­n Jahrzehnt, als die Emigration von 600.000 bis 700.000 Personen in den Westen vor allem aus Jungen und Gebildeten bestanden habe, wie Michail Denisenko, Direktor des Instituts für Demografie an der Moskauer Higher School of Economics (HSE), im Vorjahr der „Presse“erklärte.

In diesem Jahrzehnt werden es ungleich mehr sein. Einer neuen Studie der HSE zufolge gehen dem Arbeitsmar­kt bis 2030 1,9 Millionen Menschen verloren (im Negativsze­nario drei Millionen), vor allem Junge. Der Migrantenz­ustrom wird bis 2030 mit nur 250.000 beziffert. Dabei hat die Studie die Folgen der Mobilmachu­ng noch nicht berücksich­tigt.

Das Land laufe Gefahr, am Ende des Krieges mit einem riesigen Verlust an Humankapit­al dazustehen, meint Ökonomin Zubarewits­ch. Wissen wandere ab und werde nicht weitergege­ben, sagt ihr Kollege Oleg Buklemisch­ew von der Moskauer Staatsuniv­ersität: Langfristi­g werde das „der schrecklic­hste Schlag für die russische Wirtschaft“.

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