Borissow steuert auf Pyrrhussieg zu
Bulgarien. Bei der vierten Wahl seit 2021 könnte die Partei des Ex-Premiers Platz eins holen – aber ohne Aussicht auf eine stabile Mehrheit.
Belgrad/Sofia. Zumindest der Kampfgeist von Bulgariens Stimmenjägern scheint vor der vierten Parlamentswahl in 18 Monaten ungebrochen. Die Anti-Korruptionspartei PP habe „das Land in die Katastrophe geführt“, wetterte ExPremier Bojko Borissow von der rechten Gerb-Partei: „Bulgarien sieht aus wie nach einem Krieg.“PP-Chef Kiril Petkow entgegnete spitz, die Wähler sollten am Sonntag Borissow helfen, „für sich die richtige Entscheidung zu treffen – und in Pension zu gehen“.
Viererkoalition platzte im Juni
Aber das Interesse des von vielen Wahlkämpfen ermatteten Publikums sinkt. 2021 konnte in dem EU-Land nach zwei der drei Wahlen keine Regierung gebildet werden. Die dann im Dezember vereidigte, wenig homogene Vierparteienkoalition von Petkow stolperte im Juni bereits nach einem halben Jahr wieder aus dem Amt.
Die stetig sinkende Wahlbeteiligung begünstigt die Fragmentierung des Parlaments. Bis zu acht Parteien könnte nach den jüngsten Umfragen der Sprung über die Vierprozenthürde gelingen. Eine stabile Regierungsmehrheit ist weiter nicht in Sicht: In Sofia wird bereits über Neuwahlen im Frühjahr spekuliert.
Zumindest Gerb-Chef Borissow, der im März wegen Korruptionsverdachts kurzzeitig verhaftet wurde, kann auf ein kleines Comeback hoffen. Mit einem Viertel der Stimmen dürfte Gerb wieder Platz eins von der PP zurückerobern.
Nicht nur die Ernüchterung der PP-Anhänger über das frühe Regierungsaus droht der nur noch bei 16 bis 18 Prozent notierten Partei Stimmen zu kosten. Verluste drohen auch durch das Zerwürfnis mit dem als russophil geltenden Präsident Rumen Radew, der sie 2021 noch unterstützt hat. Als relativ junge Partei mangle es der PP auch an „organisatorischen Strukturen“, sagt Analyst Stojko Stojkew aus Sofia zur „Presse“. „Die Frage ist, ob die PP ihre Sympathisanten ausreichend mobilisieren kann.“
Bei einem Wahlsieg würde Gerb mit der Partei der türkischen Minderheit und möglicherweise mit der Protestpartei ITN versuchen, „eine Art proeuropäische Minderheitsregierung“zu bilden. „Nicht ganz auszuschließen“sei, dass sich die Erzfeinde Gerb und PP wegen ihrer gemeinsamen EUund Nato-Ausrichtung auf ein „Technokratenkabinett“verständigen. Aber nicht nur wegen der scharfen Kritik der PP und der rechtsliberalen DB an der florierenden Vetternwirtschaft in der Ära von Gerb-Chef Borissow scheinen die Koalitionsoptionen begrenzt. Mit der nationalistischen „Wiedergeburt“, der sozialistischen BSP und Parteineuling „Bulgarischer Aufstieg“gelten drei von acht Parteien mit Chancen auf einen Parlamentseinzug als russlandfreundlich – und wenig kompatibel.
Die Stunde des Präsidenten
Sollte eine Regierungsbildung scheitern, kommt erneut der Präsident zum Zug. Mit jeder Neuwahl werde Bulgarien mehr und mehr zu einer präsidialen Demokratie, so Stojkew. Radew könne „eine Interimsregierung nach der anderen“ernennen, ohne dafür eine Mehrheit organisieren zu müssen: „Es ist praktisch eine Einmannherrschaft ohne die politische Kontrolle des Parlaments.“