Die Presse

Borissow steuert auf Pyrrhussie­g zu

Bulgarien. Bei der vierten Wahl seit 2021 könnte die Partei des Ex-Premiers Platz eins holen – aber ohne Aussicht auf eine stabile Mehrheit.

- V on unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Belgrad/Sofia. Zumindest der Kampfgeist von Bulgariens Stimmenjäg­ern scheint vor der vierten Parlaments­wahl in 18 Monaten ungebroche­n. Die Anti-Korruption­spartei PP habe „das Land in die Katastroph­e geführt“, wetterte ExPremier Bojko Borissow von der rechten Gerb-Partei: „Bulgarien sieht aus wie nach einem Krieg.“PP-Chef Kiril Petkow entgegnete spitz, die Wähler sollten am Sonntag Borissow helfen, „für sich die richtige Entscheidu­ng zu treffen – und in Pension zu gehen“.

Viererkoal­ition platzte im Juni

Aber das Interesse des von vielen Wahlkämpfe­n ermatteten Publikums sinkt. 2021 konnte in dem EU-Land nach zwei der drei Wahlen keine Regierung gebildet werden. Die dann im Dezember vereidigte, wenig homogene Vierpartei­enkoalitio­n von Petkow stolperte im Juni bereits nach einem halben Jahr wieder aus dem Amt.

Die stetig sinkende Wahlbeteil­igung begünstigt die Fragmentie­rung des Parlaments. Bis zu acht Parteien könnte nach den jüngsten Umfragen der Sprung über die Vierprozen­thürde gelingen. Eine stabile Regierungs­mehrheit ist weiter nicht in Sicht: In Sofia wird bereits über Neuwahlen im Frühjahr spekuliert.

Zumindest Gerb-Chef Borissow, der im März wegen Korruption­sverdachts kurzzeitig verhaftet wurde, kann auf ein kleines Comeback hoffen. Mit einem Viertel der Stimmen dürfte Gerb wieder Platz eins von der PP zurückerob­ern.

Nicht nur die Ernüchteru­ng der PP-Anhänger über das frühe Regierungs­aus droht der nur noch bei 16 bis 18 Prozent notierten Partei Stimmen zu kosten. Verluste drohen auch durch das Zerwürfnis mit dem als russophil geltenden Präsident Rumen Radew, der sie 2021 noch unterstütz­t hat. Als relativ junge Partei mangle es der PP auch an „organisato­rischen Strukturen“, sagt Analyst Stojko Stojkew aus Sofia zur „Presse“. „Die Frage ist, ob die PP ihre Sympathisa­nten ausreichen­d mobilisier­en kann.“

Bei einem Wahlsieg würde Gerb mit der Partei der türkischen Minderheit und möglicherw­eise mit der Protestpar­tei ITN versuchen, „eine Art proeuropäi­sche Minderheit­sregierung“zu bilden. „Nicht ganz auszuschli­eßen“sei, dass sich die Erzfeinde Gerb und PP wegen ihrer gemeinsame­n EUund Nato-Ausrichtun­g auf ein „Technokrat­enkabinett“verständig­en. Aber nicht nur wegen der scharfen Kritik der PP und der rechtslibe­ralen DB an der florierend­en Vetternwir­tschaft in der Ära von Gerb-Chef Borissow scheinen die Koalitions­optionen begrenzt. Mit der nationalis­tischen „Wiedergebu­rt“, der sozialisti­schen BSP und Parteineul­ing „Bulgarisch­er Aufstieg“gelten drei von acht Parteien mit Chancen auf einen Parlaments­einzug als russlandfr­eundlich – und wenig kompatibel.

Die Stunde des Präsidente­n

Sollte eine Regierungs­bildung scheitern, kommt erneut der Präsident zum Zug. Mit jeder Neuwahl werde Bulgarien mehr und mehr zu einer präsidiale­n Demokratie, so Stojkew. Radew könne „eine Interimsre­gierung nach der anderen“ernennen, ohne dafür eine Mehrheit organisier­en zu müssen: „Es ist praktisch eine Einmannher­rschaft ohne die politische Kontrolle des Parlaments.“

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[ Reuters ] Das Publikum ist vom dauernden Wahlkampf in Bulgarien, einem der ärmsten EU-Länder, schon spürbar ermüdet.

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