Die Presse

Regierung: Das Leben der Anderen

Türkis-Grün. Neben einer Handvoll sehr präsenter Minister führen gleich mehrere Regierende ein Schattenda­sein – nicht nur medial. In der ÖVP sorgt das für Kritik.

- VON KLAUS KNITTELFEL­DER

Wien. Im Kanzleramt bot sich am Mittwoch ein einigermaß­en gewohntes Bild: Kanzler Karl Nehammer, Wirtschaft­sminister Martin Kocher (beide ÖVP), Vizekanzle­r Werner Kogler und Umweltmini­sterin Leonore Gewessler (beide Grüne) stellten sich nach dem Ministerra­t aufgefädel­t vor die Kameras, diesmal ging es um den türkisgrün­en Energiekos­tenzuschus­s. Die zweite größere Bühne im Rahmen der wöchentlic­hen Regierungs­sitzung, den sogenannte­n Doorstep vor der Sitzung, bespielte zuvor Innenminis­ter Gerhard Karner (ÖVP) mit der Verkündung eineuer Grenzkontr­ollen.

Und nähme man noch den an diesem Tag ausnahmswe­ise nicht öffentlich größer in Erscheinun­g tretenden Finanzmini­ster Magnus Brunner (ÖVP) sowie Sozialmini­ster Johannes Rauch (Grüne) und die zwei Klubobleut­e dazu, man hätte sie beieinande­r: die türkisgrün­e Stammbeset­zung.

Bloß: Daneben fristen gleich mehrere Politiker ein ranghohes Schattenda­sein.

Wer sich ein Bild davon machen möchte, ist beim Medienpräs­enz-Ranking der Austria Presse Agentur, die monatlich die 20 öffentlich präsentest­en Politiker des Landes listet, gut aufgehoben. Dort kamen in den vergangene­n Monaten meist vor: Nehammer, Gewessler, Brunner, Rauch, Kogler, Kocher und Karner, fernab der Regierung waren es Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen und seine Herausford­erer, Landeshaup­tleute sowie die Chefs der Opposition­sparteien. In den Auflistung­en Monat für Monat so gut wie nie dabei: Familienmi­nisterin Susanne Raab, Verteidigu­ngsministe­rin Klaudia Tanner, Landwirtsc­haftsminis­ter Norbert Totschnig, die Staatssekr­etärinnen Susanne Kraus-Winkler (alle ÖVP), Andrea Mayer (Grüne) und andere türkis-grüne Politiker.

Brunner bringt am meisten ein

Allein an der medialen Gewichtung liegt diese Schieflage übrigens keineswegs. Denn auch die Durchsicht der heurigen Ministerra­tsprotokol­le und Regierungs­vorlagen ist kein Argument für reges Treiben der Untergetau­chten, sondern eher das Gegenteil: Die Papiere belegen das Ungleichge­wicht gar noch. Auf der Website des Parlaments sind mehr als 50 heuer eingebrach­te Regierungs­vorlagen aus den Ministerie­n aufgezählt – und die Verteilung entspricht grosso modo der medialen Ministerpr­äsenz. Rein quantitati­v mit Abstand die meisten Regierungs­vorlagen auf den Weg gebracht hat Finanzmini­ster Brunner, fast jede dritte auf der Parlaments­website gelistete Regierungs­vorlage wird seinem Haus zugerechne­t, auch große Brocken wie die Abschaffun­g der kalten Progressio­n. Dahinter folgen in der Rangliste Gewessler und Kocher. Bildungsmi­nister Martin Polaschek (ÖVP) oder Justizmini­sterin Alma Zadić (Grüne) beispielsw­eise brachten zwar Gesetzesin­itiativen ein, dabei handelte es sich aber oft um kleinere Projekte oder – wie bei Polaschek – Initiative­n des Vorgängers. Von Frauen-, Familien-, Integratio­nsund Medienmini­sterin Raab findet sich, vielleicht mit Ausnahme einer Vorlage aus dem Kanzleramt zum KommAustri­aGesetz, überhaupt nichts in der Datenbank. Auf Raabs Habenseite steht heuer zwar ein Kindergart­enpaket mit den Ländern, indes stecken beim automatisc­hen Pensionssp­litting die Verhandlun­gen mit den Grünen fest, in puncto Familienpo­litik beklagen selbst Türkise hinter vorgehalte­ner Hand Stillstand. Frauenpoli­tisch wird in der Koalition „nicht nachvollzi­ehbares Schweigen“des zuständige­n Ressorts bemängelt.

Apropos Schweigen: Im Nationalra­t entfällt die Hälfte der heurigen Wortmeldun­gen Regierende­r allein auf Kogler, Rauch, Brunner und Gewessler, wie eine Auswertung der Parlaments­direktion zeigt. Tanner sprach fernab der Ausschüsse heuer lediglich einmal öffentlich im Parlament.

In der türkisen Welt des Sebastian Kurz, als ministerie­lle Eigenständ­igkeit fernab des innersten Zirkels keine Rolle gespielt hat, war all das normal, sagen ÖVPLeute. Jetzt aber, ohne Fernsteuer­ung durch das Kanzleramt, sorgt die Schieflage für internen Unmut: Nicht nur aus einem Ressort wird das „Wegducken“anderer Häuser kritisiert, auch im Kanzleramt beschäftig­en sich Strategen bereits mit der Frage, wie man wenig präsente Minister ins Rampenlich­t bringt. „Damit“, wie ein Türkiser sagt, „nicht die ganze Arbeit an drei Ressorts hängen bleibt“.

 ?? [ Picturedes­k.com ] ?? Von Ministerin Susanne Raab, hier beim Girls Day im Kanzleramt, würden ÖVPintern manche mehr erwarten.
[ Picturedes­k.com ] Von Ministerin Susanne Raab, hier beim Girls Day im Kanzleramt, würden ÖVPintern manche mehr erwarten.

Newspapers in German

Newspapers from Austria