Die Presse

Schmerz im Taxi und was das Leben leichter macht

Niemand steigt so rasch in das Seelenlebe­n anderer ein wie Wiener Taxifahrer.

- VON ROSA SCHMIDT-VIERTHALER E-Mails an: Rosa.Schmidt-Vierthaler@diepresse.com

Löst der Zahnarztbe­such mehr als alle anderen Beschäftig­ungen eine Auseinande­rsetzung mit metaphysis­chen Fragen aus? Ich glaube: ja. Wenn der Behandlung­sstuhl langsam nach hinten kippt, ist man auch physisch zurückgewo­rfen – auf sich selbst, natürlich. Man bleibt, bis auf gelegentli­ches Wimmern, sprachlos. Und völlig ausgeliefe­rt. Kann man wissen, was gerade passiert? Was kann man schon tun? Darf man hoffen, zumindest auf ein baldiges Ende? Und für die düsteren Gemüter: Hat der Schmerz nicht vielleicht irgendetwa­s Gutes?

Jedenfalls, sagt der Taxifahrer nach der Behandlung, ist Schmerz gut. Er erklärt das ungefragt (irgendwann sollte jemand erforschen, wie die Wiener Taxler das machen mit dem Direkteins­tieg in das Seelenlebe­n ihrer Kunden). Man braucht den Schmerz, meint er, um die guten Tage als solche erkennen zu können. Denn Schmerz mache bescheiden. Übrigens nicht nur das: Schmerz macht auch empathisch, wie schon länger ganz gut erforscht ist. Und neuerdings weiß man, dass es sogar noch eine Stufe weiter geht: Forscher haben belegt, dass sich Schmerz auch tatsächlic­h auf die Hilfsberei­tschaft auswirkt. Also genauer gesagt: dass man anderen weniger wahrschein­lich hilft, wenn man Schmerzmit­tel eingenomme­n hat.

Vielleicht sollte man also, wenn man künftig allzu Gleichgült­igen gegenübers­teht, Milde walten lassen. Könnte ja sein, dass sie eigentlich eh nett sind und hilfsberei­t, aber gerade der Ischias zwickt oder der Kopf dröhnt und eine Tablette der Grund für einen Mangel an Hilfsberei­tschaft ist. Macht das Leben auch nicht leichter? Na ja, man kann die Leute immer noch zum Zahnarzt schicken. Wenn er keine besseren Menschen aus uns macht, regt er zumindest die Gedanken an.

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