Unbeeindruckt von den Krisen
Büromärkte. Die Erholung hat sich im ersten Halbjahr trotz Ukraine-Krieg und hoher Inflation fortgesetzt. Doch erste Stimmen warnen vor einer Trendumkehr.
Der europäische Markt für Büroimmobilien ist trotz erschwerter Rahmenbedingungen weiter auf Erholungskurs. Laut dem Immobilienberatungsunternehmen Savills wurden im ersten Halbjahr 2022 rund 4,3 Millionen Quadratmeter vermietet – ein Wert, der um elf Prozent über dem Fünfjahresdurchschnitt liegt. Die höchsten Umsatzzuwächse wurden demnach in Lissabon (+103 Prozent), Köln (+77 Prozent) und Warschau (+35 Prozent) erzielt. „Angesichts des wirtschaftlichen Gegenwinds könnte man leicht ein negatives Bild für den zukünftigen Büroflächenumsatz in Europa zeichnen. Es besteht jedoch nach wie vor eine starke Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Flächen in guten Lagen, die zur Unternehmenskultur und zu den Nachhaltigkeitszielen der Unternehmen passen“, sagt Matthew Fitzgerald, Director EMEA Cross Border Tenant Advisory bei Savills.
Geringe Leerstandsrate
Obwohl das Transaktionsvolumen für europäische Immobilieninvestitionen im zweiten Quartal 2022 zurückging, wurden laut Savills im ersten Halbjahr Büros für 43 Milliarden Euro gehandelt, was dem Fünfjahresdurchschnitt entspricht. Die Assetklasse Büro nimmt heuer demnach mit 31 Prozent weiterhin den größten Anteil an den Gesamtinvestitionen ein. Im Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage zeigt sich in den meisten europäischen Büromärkten mit einer Leerstandsrate zwischen zwei und fünf Prozent eine Flächenunterversorgung. Die gilt beispielsweise für Paris, aber auch für Berlin, Köln, Hamburg und München. „Die Marktlage in den deutschen Top-Städten lässt nur schwerlich ein einheitliches Bild zu. Gemeinsam haben sie jedoch, dass die Nachfrage nach hochwertigen Büroflächen in A-Lagen weiter besteht
– mitunter jedoch auf verknapptes Angebot trifft“, sagt JanNiklas Rotberg, Head of Office Agency Germany. Unternehmen kehrten heuer mit hohen Qualitätsansprüchen auf den Büromarkt zurück. „Die gewünschte Qualität und ESG-Konformität kommt insbesondere dem Neubausegment zugute, hier müssen Eigentümer von Bestandsgebäuden nachziehen“, so Rotberg.
Insgesamt wurden in Berlin, Düsseldorf, Essen, Frankfurt, Hamburg, Köln, Leipzig und München im ersten Halbjahr rund 1,82 Millionen Quadratmeter Bürofläche umgesetzt. Damit wurde das Vorjahresergebnis um 34 Prozent übertroffen, und das aktuelle Resultat
notiert knapp zehn Prozent über dem Fünf- sowie zwölf Prozent über dem Zehnjahresdurchschnitt. Dies zeigt eine Analyse von BNP Paribas Real Estate.
Etwas höher als Savills, nämlich mit 7,3 Prozent, setzt das Beratungsund Investmentmanagement-Unternehmen JLL die Leerstandsrate in Europa im zweiten Quartal an. Doch auch damit ist diese in Europa im weltweiten Vergleich am niedrigsten, wie der aktuelle Report „Global Real Estate Perspectives“von JLL, für den weltweit rund 100 Immobilienmärkte analysiert wurden, zeigt. In den USA beispielsweise ist die Leerstandsrate mit 18,9 Prozent rund zweieinhalbmal so hoch wie in Europa. Auf der Angebotsseite ist dieses Jahr mit einem kräftigen Zuwachs zu rechnen: „Die Baufertigstellungen werden 2022 mit insgesamt 20 Millionen Quadratmetern ihren globalen Höhepunkt erreichen. Viele Projekte hatten sich aufgrund der Pandemie verschoben“, sagt Hela Hinrichs, Senior Director EMEA Research & Strategy. Auch in den kommenden Jahren werden vor dem Hintergrund steigender Kosten wohl viele Bauvorhaben zurückgestellt oder ganz aufgegeben werden, prognostiziert Hinrichs.
Vor schwierigen Bedingungen
Mittlerweile mehren sich die Anzeichen, dass die Dynamik langsam nachlässt. Die Entscheidungsprozesse für Büroanmietungen würden sich in die Länge ziehen und ein schwierigeres Finanzierungsumfeld in Wachstumsbranchen auf die Vermietungsaktivitäten durchschlagen – vor allem in den USA und Europa. Hier sind es besonders Unternehmen aus dem Start-up- und Technologiesektor, die ihre Flächenpräsenz verringern oder Expansionspläne zurückstellen, so JLL. Die Bank of America warnt ebenfalls davor, dass der europäische Büromarkt vor den schwierigsten Bedingungen seit der Finanzkrise stehe. Grund dafür sind steigende Zinssätze und ein Anstieg der Baukosten. Laut der Analyse des US-Instituts haben höhere Zinsen und eine allgemeine Verschärfung der finanziellen Bedingungen dazu geführt, dass die Kosten für den Schuldendienst von Büroeigentümern zum ersten Mal seit 2007 höher sind als die Mieteinnahmen, die sie erzielen. Dies führe bereits zu einer Abkühlung der Investitionen in diesem Sektor. Stark fremdfinanzierte Bürounternehmen könnten gar in eine Notlage geraten.