Sind Immobilien überbewertet?
Wien. Jeder braucht ihn: einen Platz zum Schlafen und Wohnen. Doch ihn zu kaufen erscheint bald schier unmöglich. Preise hangeln sich von Höchstwert zu Höchstwert, und die Finanzierung wird immer schwieriger. Verhält sich dieser Markt noch normal oder birgt er schon Gefahren für unser Finanzsystem? Neue Daten der Österreichischen Nationalbank (OeNB) werfen Fragen auf.
1 Wie stark sind die Preise gestiegen und werden sie weiter steigen?
Wenig überraschend geht es mit den Preisen für Wohnimmobilien weiter bergauf. Bereits das siebte Quartal in Folge überschreiten die Preiszuwächse sowohl für Österreich als auch für Wien die ZehnProzent-Marke. Im Vorjahresvergleich lagen sie im zweiten Quartal jeweils bei rund 13 Prozent. Der Preissprung erreicht damit einen neuen Rekord.
Doch der Gipfel ist damit noch nicht erreicht. „Derzeit ist kein Rückgang der Preise erkennbar“, sagt Anton Holzapfel, der Geschäftsführer des Österreichischen Verbandes der Immobilienwirtschaft (ÖVI), zur „Presse“. In Zukunft könnten sich die Preise stabilisieren, prognostiziert der Immobilien-Experte. Die Nachfrage sei aber aufgrund der Demografie ungebrochen. Der Zuzug nach Österreich bleibt aufrecht, vor allem jener in die Ballungszentren mit entsprechenden Arbeitsmöglichkeiten.
Wohnen. Die Nationalbank hält den Wohnimmobilien-Markt für überhitzt. Ihr Indikator für eine Überwertung der Preise liegt auf einem Rekordhoch. Was ist dran?
RBI-Analyst Matthias Reith erwartet heuer einen österreichweiten Anstieg der Wohnimmobilienpreise von etwa elf Prozent. In Deutschland hingegen entwickeln sich die Preise schon zurück. Auch der österreichische Immobilienmarkt sieht sich „immer stärkerem Gegenwind“ausgesetzt, sagt RBIAnalyst Reith. Der Zinsanstieg bei Hypothekarkrediten und die seit August geltenden regulatorischen Verschärfungen sorgen für eine „markante Verlangsamung“des Preisauftriebs. Deutliche Preisrückgänge sieht er hingegen nicht.
2 Ist der Immobilienmarkt in Österreich überhitzt?
Für die Nationalbank ist zu viel Druck im Kessel. Mehr denn je sehen ihre Ökonomen eine Überhitzung auf dem Markt. Sie hält die Immobilien landesweit für um 39 Prozent überbewertet. In Wien seien die Immobilien sogar schon um 45 Prozent überteuert. Im ersten Quartal lag die Überbewertung noch bei 30 Prozent und 40 Prozent. Grund dafür sei neben dem starken Preisanstieg auch die Gefahr weiter steigender Zinsen.
Innerhalb der vergangenen 30 Jahre wich die Preisentwicklung noch nie so stark vom Fundamentalpreisindikator ab wie jetzt. Jedoch
bleibt der FundamentalpreisVergleich nicht ohne Kritik. Experten zufolge vernachlässige er das Bevölkerungswachstum. Die OeNB lässt sieben Indikatoren in ihre Rechnung einfließen. Zwei, zur Leistbarkeit von Wohneigentum, decken die Haushaltsperspektive ab, zwei die Investorenperspektive (Rentabilität von Immo-Investitionen), drei die systemische Perspektive (Immo-Markt, Makroökonomie, Finanzstabilität). Sie werden aggregiert, die Zahl zeigt die prozentuelle Abweichung der Immo-Preise vom Fundamentalpreis.
ÖVI-Chef Holzapfel sieht keine Überbewertung. Allerdings warnt er davor, dass sich der Kaufpreis und der Mietpreis auseinanderentwickeln.
3 Gefährdet der Anstieg der Preise und Zinsen die Finanzstabilität?
„Vor dem Hintergrund der anhaltend starken Zunahme der Preise für Wohnimmobilien, der Wohnbaukredite und der Verschuldung privater Haushalte steigen auch die Risken für die Finanzstabilität“, heißt es von der OeNB. Die hohen Inflationsraten und die steigenden Zinsen könnten die finanzielle Situation privater Haushalte verschärfen. Der starke Preisauftrieb verringert die Kaufkraft privater Haushalte, wodurch es ihnen erschwert werden könnte, ihre Wohnbaukredite zurückzuzahlen. Zusätzlich steigen die Zinsen, die die Nachfrage nach neuen Krediten beeinflussen und es privaten Haushalten schwerer machen dürften, laufende Kredite zu bedienen, wenn diese variabel verzinst sind. Im Juli 2022 lagen die Zinssätze für neue Wohnungsbaudarlehen in Euro bei 1,72 Prozent und damit um 55 Basispunkte höher als sechs Monate zuvor.
Zwar ging der Anteil variabel verzinster Darlehen schon zurück, insgesamt verzeichneten die Finanzinstitute im Juli 2022 aber rund sieben Prozent mehr Hypothekarkredite privater Haushalte. Langfristige Kredite (mit einer Laufzeit von mehr als fünf Jahren) waren weiterhin der Haupttreiber des Wachstums der Wohnungsbaukredite. Diese machten Ende Juli 2022 mehr als 95 Prozent der ausstehenden Kredite aus, auch wenn Kredite mit mittelfristigen Laufzeiten in den letzten Monaten einen stärkeren Anstieg verzeichneten.
Bei den Banken macht sich all das noch nicht bemerkbar. Der Anteil fauler Kredite ging in Österreich laut der Europäischen Zentralbank (EZB) in den vergangenen zwei Jahren stetig zurück und lag im ersten Quartal 2022 bei nur 1,82 Prozent. Zudem vergeben sie Kredite nicht mehr so leicht. Denn die Finanzmarktaufsicht (FMA) hat deutlich strengere Vergaberichtlinien angeordnet, damit das Risiko vom Immobilienmarkt nicht auf den Finanzmarkt überschwappt.