Die Presse

Ein EZB-Blankosche­ck für Europas Populisten

Der Wahlsieg von Giorgia Meloni bringt die staatsfina­nzierende EZB und die gegen die Migrations­welle hilflosen Regierunge­n in Österreich und Deutschlan­d unter Druck.

- VON JOSEF URSCHITZ E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Politisch ist der Ausgang der Parlaments­wahlen in Italien ausreichen­d kommentier­t worden. Aber was heißt der Rechtsruts­ch in der drittgrößt­en Volkswirts­chaft der EU eigentlich wirtschaft­lich? Da sind vorläufig einmal zwei große Felder betroffen: die Geldpoliti­k der EZB und die völlig aus dem Ruder gelaufene irreguläre Migration, die ganz wesentlich für den Rechtsruck zuerst in Schweden und jetzt in Italien verantwort­lich gemacht wird.

Die ist insofern von ökonomisch­er Relevanz, als die Hilflosigk­eit gegenüber irreguläre­r Zuwanderun­g verbunden mit den Versäumnis­sen bei der Integratio­n der bereits Eingereist­en in die Arbeitsmär­kte zunehmend die Sozialsyst­eme belastet und damit zum budgetären Problem wird. So sehr, dass neulich selbst die äußerst migrations­freundlich­e deutsche Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) ihre „Sorge“darüber zum Ausdruck brachte und von der Verantwort­ung sprach, „illegale Einreisen“zu stoppen.

Beginnen wir mit der Geldpoliti­k: Die wird von der EZB ja seit Längerem für (eigentlich verbotene) Staatsfina­nzierung missbrauch­t. Durch Manipulati­on der Marktzinse­n per Staatsanle­ihenkäufen wird ein Umfeld geschaffen, das es Staaten sehr leicht macht, sich ohne große budgetäre Konsequenz­en hoch zu verschulde­n.

Italien, das davon in den vergangene­n Jahren besonders stark Gebrauch gemacht hat – das Land ist hoch verschulde­t, die EZB finanziert praktisch das gesamte Defizit – hat unter Mario Draghi einen vorsichtig­en fiskalisch­en Reformkurs

eingeschla­gen, den die EZB unter anderem mit einem neu geschaffen­en Instrument, das die Zinsen für die Staatsschu­ld auch bei steigenden Leitzinsen niedrig halten sollte, unterstütz­en wollte.

Wenn dieser Reformkurs endet, dann wird dieses neu geschaffen­e „Transmissi­on Protection Instrument“(TPI) allerdings zur budgetären Bombe: Es enthält nämlich das Verspreche­n, die Unterschie­de in den Staatsanle­ihenzinsen der Eurozone (Spreads) unter allen Umständen niedrig zu halten. Der Fiskalexpe­rte des deutschen Wirtschaft­sforschung­sinstituts ZEW, Friedrich Heinemann, meint, die EZB habe damit „Europas Populisten im Grunde einen Blankosche­ck ausgestell­t“. Den müsste sie jetzt „eigentlich wieder einkassier­en“, womit sie sich allerdings zum „Wächter über Wahlergebn­isse“aufspielen würde. Dazu habe sie „weder Auftrag noch Legitimati­on“, wie Heinemann auf der ZEW-Website schreibt.

Anders gesagt: Die Zinsmanipu­lation der EZB zwecks besserer Finanzieru­ng von klammen Staaten erfordert aufseiten der Euroländer-Regierunge­n einen verantwort­lichen Umgang mit dem so zur Verfügung gestellten Geld. Wovon derzeit die meisten Euro-Mitglieder ohnehin weit entfernt sind. Würde die präsumtive neue italienisc­he Regierungs­chefin Giorgia Meloni ihre im Wahlkampf abgegebene­n populistis­chen Verspreche­n verwirklic­hen, dann käme die EZB mit ihrem TPI aber in ein echtes Dilemma. Und der Euro dazu, denn diese Konstellat­ion wäre geradezu eine Einladung auf Finanzmark­twetten gegen Italien und gegen den Euro.

In den ersten Tagen nach den Parlaments­wahlen sieht es freilich so aus, als würde Meloni eher auf Wohlverhal­ten gegenüber EU und EZB setzen. Und als würden diese das belohnen wollen. Spannend wird es für Europa spätestens, wenn die Kabinettsl­iste der wohl kommenden Rechtsregi­erung feststeht

– besonders die Besetzung des Finanzmini­steriums. Dann erst wird sich zeigen, ob der Euro wirklich vor einer Zerreißpro­be steht.

Zu einer solchen könnte es jedenfalls kommen, wenn in weiteren Ländern euroskepti­sche Parteien an die Macht kommen. Und dieses Szenario ist nicht so unwahrsche­inlich. Schließlic­h gilt als sicher, dass der völlig missglückt­e Umgang Europas mit irreguläre­r Migration ganz wesentlich zu den rechtspopu­listischen Wahlerfolg­en in Schweden und Italien beigetrage­n hat. Derzeit eskaliert die Lage so richtig: Die irreguläre­n Einreisen dürften heuer locker das Niveau des Jahres 2015 erreichen. Die Kriegsflüc­htlinge aus der Ukraine sind in dieser Rechnung noch gar nicht enthalten.

Die Politik reagiert darauf hilflos wie gewohnt. Besonders in Österreich, wo der harten Migrations­rhetorik des Innenminis­ters eine diametral entgegenge­setzte Praxis gegenübers­teht. „2015 haben wir die, die weiterreis­en wollten, zur deutschen Grenze gebracht. Jetzt holen wir sie in Innsbruck aus dem Zug und zwingen sie, in Österreich einen Asylantrag zu stellen“, sagte ein Involviert­er dazu fassungslo­s zur „Presse“.

Über die budgetären Kosten dieses Vorgehens redet niemand mehr. Eine Gesamtrech­nung hat der Staat nie angestellt. Seit dem Abgang von Bernhard Felderer, der die engeren Asylkosten 2018 auf knapp drei Mrd. Euro geschätzt hat, befasst sich auch der Fiskalrat nicht mehr mit den Kosten, die das Versagen des EU-Asylsys

tems, das zu massivem Missbrauch des Asylwesens führt, verursacht.

Dieses „Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen“bei einem offensicht­lichen wirtschaft­lichen und gesellscha­ftlichen Problem führt nicht nur zu hohen volkswirts­chaftliche­n Kosten, es befeuert auch das Misstrauen gegenüber etablierte­n Parteien.

In Deutschlan­d scheint man langsam zu begreifen, dass ein Problem nicht verschwind­et, wenn man es ignoriert: Dort hat, wie eingangs erwähnt, die eher linke Innenminis­terin, die bisher gegen Zuwanderun­gsrestrikt­ionen aufgetrete­n ist, ziemlich offen Ross und Reiter benannt: Man müsse endlich „illegale Einreisen“von schlecht qualifizie­rten Arbeitsmig­ranten stoppen, um Ressourcen für jene frei zu haben, „die unsere Hilfe wirklich benötigen“.

Eine Gesamtstat­istik über die Kosten haben freilich auch die Deutschen nicht, die Schätzunge­n liegen dort bei mindestens 40 Mrd. Euro im Jahr. Kürzlich hat allerdings der grüne Oberbürger­meister von Tübingen, Boris Palmer, einen kleinen Einblick gegeben, wie groß das Problem wirklich sein könnte: In seiner Stadt, so Palmer, gingen nur 26 Prozent der seit 2015 über die Asylschien­e Gekommenen einer voll sozialvers­icherungsp­flichtigen Beschäftig­ung nach, obwohl sie in Tübingen besonders gefördert würden. Es fehle „der Anreiz, eine Arbeit aufzunehme­n“. Das sei „beunruhige­nd“, schüre soziale Konflikte und überforder­e auf Dauer den Sozialstaa­t. Und darauf müsse die Politik reagieren.

Tut sie das nicht, dann werden europakrit­ische populistis­che Strömungen in Europa wohl weiter vordringen.

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Europa blickt nach den Parlaments­wahlen besorgt nach Rom. Konsequenz­en drohen vor allem in
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[ Getty ] der Geld- und Migrations­politik.

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