Ein EZB-Blankoscheck für Europas Populisten
Der Wahlsieg von Giorgia Meloni bringt die staatsfinanzierende EZB und die gegen die Migrationswelle hilflosen Regierungen in Österreich und Deutschland unter Druck.
Politisch ist der Ausgang der Parlamentswahlen in Italien ausreichend kommentiert worden. Aber was heißt der Rechtsrutsch in der drittgrößten Volkswirtschaft der EU eigentlich wirtschaftlich? Da sind vorläufig einmal zwei große Felder betroffen: die Geldpolitik der EZB und die völlig aus dem Ruder gelaufene irreguläre Migration, die ganz wesentlich für den Rechtsruck zuerst in Schweden und jetzt in Italien verantwortlich gemacht wird.
Die ist insofern von ökonomischer Relevanz, als die Hilflosigkeit gegenüber irregulärer Zuwanderung verbunden mit den Versäumnissen bei der Integration der bereits Eingereisten in die Arbeitsmärkte zunehmend die Sozialsysteme belastet und damit zum budgetären Problem wird. So sehr, dass neulich selbst die äußerst migrationsfreundliche deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) ihre „Sorge“darüber zum Ausdruck brachte und von der Verantwortung sprach, „illegale Einreisen“zu stoppen.
Beginnen wir mit der Geldpolitik: Die wird von der EZB ja seit Längerem für (eigentlich verbotene) Staatsfinanzierung missbraucht. Durch Manipulation der Marktzinsen per Staatsanleihenkäufen wird ein Umfeld geschaffen, das es Staaten sehr leicht macht, sich ohne große budgetäre Konsequenzen hoch zu verschulden.
Italien, das davon in den vergangenen Jahren besonders stark Gebrauch gemacht hat – das Land ist hoch verschuldet, die EZB finanziert praktisch das gesamte Defizit – hat unter Mario Draghi einen vorsichtigen fiskalischen Reformkurs
eingeschlagen, den die EZB unter anderem mit einem neu geschaffenen Instrument, das die Zinsen für die Staatsschuld auch bei steigenden Leitzinsen niedrig halten sollte, unterstützen wollte.
Wenn dieser Reformkurs endet, dann wird dieses neu geschaffene „Transmission Protection Instrument“(TPI) allerdings zur budgetären Bombe: Es enthält nämlich das Versprechen, die Unterschiede in den Staatsanleihenzinsen der Eurozone (Spreads) unter allen Umständen niedrig zu halten. Der Fiskalexperte des deutschen Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW, Friedrich Heinemann, meint, die EZB habe damit „Europas Populisten im Grunde einen Blankoscheck ausgestellt“. Den müsste sie jetzt „eigentlich wieder einkassieren“, womit sie sich allerdings zum „Wächter über Wahlergebnisse“aufspielen würde. Dazu habe sie „weder Auftrag noch Legitimation“, wie Heinemann auf der ZEW-Website schreibt.
Anders gesagt: Die Zinsmanipulation der EZB zwecks besserer Finanzierung von klammen Staaten erfordert aufseiten der Euroländer-Regierungen einen verantwortlichen Umgang mit dem so zur Verfügung gestellten Geld. Wovon derzeit die meisten Euro-Mitglieder ohnehin weit entfernt sind. Würde die präsumtive neue italienische Regierungschefin Giorgia Meloni ihre im Wahlkampf abgegebenen populistischen Versprechen verwirklichen, dann käme die EZB mit ihrem TPI aber in ein echtes Dilemma. Und der Euro dazu, denn diese Konstellation wäre geradezu eine Einladung auf Finanzmarktwetten gegen Italien und gegen den Euro.
In den ersten Tagen nach den Parlamentswahlen sieht es freilich so aus, als würde Meloni eher auf Wohlverhalten gegenüber EU und EZB setzen. Und als würden diese das belohnen wollen. Spannend wird es für Europa spätestens, wenn die Kabinettsliste der wohl kommenden Rechtsregierung feststeht
– besonders die Besetzung des Finanzministeriums. Dann erst wird sich zeigen, ob der Euro wirklich vor einer Zerreißprobe steht.
Zu einer solchen könnte es jedenfalls kommen, wenn in weiteren Ländern euroskeptische Parteien an die Macht kommen. Und dieses Szenario ist nicht so unwahrscheinlich. Schließlich gilt als sicher, dass der völlig missglückte Umgang Europas mit irregulärer Migration ganz wesentlich zu den rechtspopulistischen Wahlerfolgen in Schweden und Italien beigetragen hat. Derzeit eskaliert die Lage so richtig: Die irregulären Einreisen dürften heuer locker das Niveau des Jahres 2015 erreichen. Die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sind in dieser Rechnung noch gar nicht enthalten.
Die Politik reagiert darauf hilflos wie gewohnt. Besonders in Österreich, wo der harten Migrationsrhetorik des Innenministers eine diametral entgegengesetzte Praxis gegenübersteht. „2015 haben wir die, die weiterreisen wollten, zur deutschen Grenze gebracht. Jetzt holen wir sie in Innsbruck aus dem Zug und zwingen sie, in Österreich einen Asylantrag zu stellen“, sagte ein Involvierter dazu fassungslos zur „Presse“.
Über die budgetären Kosten dieses Vorgehens redet niemand mehr. Eine Gesamtrechnung hat der Staat nie angestellt. Seit dem Abgang von Bernhard Felderer, der die engeren Asylkosten 2018 auf knapp drei Mrd. Euro geschätzt hat, befasst sich auch der Fiskalrat nicht mehr mit den Kosten, die das Versagen des EU-Asylsys
tems, das zu massivem Missbrauch des Asylwesens führt, verursacht.
Dieses „Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen“bei einem offensichtlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problem führt nicht nur zu hohen volkswirtschaftlichen Kosten, es befeuert auch das Misstrauen gegenüber etablierten Parteien.
In Deutschland scheint man langsam zu begreifen, dass ein Problem nicht verschwindet, wenn man es ignoriert: Dort hat, wie eingangs erwähnt, die eher linke Innenministerin, die bisher gegen Zuwanderungsrestriktionen aufgetreten ist, ziemlich offen Ross und Reiter benannt: Man müsse endlich „illegale Einreisen“von schlecht qualifizierten Arbeitsmigranten stoppen, um Ressourcen für jene frei zu haben, „die unsere Hilfe wirklich benötigen“.
Eine Gesamtstatistik über die Kosten haben freilich auch die Deutschen nicht, die Schätzungen liegen dort bei mindestens 40 Mrd. Euro im Jahr. Kürzlich hat allerdings der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, einen kleinen Einblick gegeben, wie groß das Problem wirklich sein könnte: In seiner Stadt, so Palmer, gingen nur 26 Prozent der seit 2015 über die Asylschiene Gekommenen einer voll sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, obwohl sie in Tübingen besonders gefördert würden. Es fehle „der Anreiz, eine Arbeit aufzunehmen“. Das sei „beunruhigend“, schüre soziale Konflikte und überfordere auf Dauer den Sozialstaat. Und darauf müsse die Politik reagieren.
Tut sie das nicht, dann werden europakritische populistische Strömungen in Europa wohl weiter vordringen.