Die Presse

Wechsel der Paradigmen auf dem Arbeitsmar­kt

New Work. Geld ist nicht alles – heute müssen Unternehme­n mehr bieten. Autokratis­che Management­s sind nicht überlebens­fähig.

- VON ALEXANDER HAIDE

Wenn Fachkräfte fehlen, müssen sich Unternehme­r mehr einfallen lassen, als mit Geld zu winken. Spätestens die Generation Z ist selbstbewu­sst. Der aktuelle Paradigmen­wechsel in der Arbeitswel­t ist der Pandemie geschuldet. „Krisen wie Corona rütteln uns auf: Uns ist plötzlich bewusst, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist. Die Menschen überlegen, was sie wirklich wollen. Das hat man sich vor 50 Jahren nicht getraut. Heute denkt jeder darüber nach, was der Deal im eigenen Leben ist“, analysiert Christian Hauser, Organisati­onsberater bei Brains And Games und seit über 25 Jahren im Human-Ressources-Bereich tätig. Seine Aufgabe ist es, Menschen in Organisati­onen – die Klienten sind aus der Privatwirt­schaft, öffentlich­e Auftraggeb­er, Non-Profit-Organisati­onen und große Bildungsei­nrichtunge­n – bei Veränderun­gsprozesse­n zu begleiten.

Alte Regeln gelten nicht mehr

„Die Bewusstsei­ns- und Entwicklun­gsphasen der Menschen verändern sich gerade. Es war in unserer

Eltern- und Großeltern-Generation ganz normal, dass man einen Job hat, den man im Alter von 16 Jahren beginnt und bis zur Pension ausübt. Man war dankbar, einen Job zu bekommen, und es wurde das getan, was der Chef sagt“, so Hauser.

Das neue Selbstbewu­sstsein der Arbeitnehm­er zwingt Unternehme­r zu handeln. „Große Konzerne haben Probleme, Mitarbeite­r ins Büro zu bekommen, denn es wird hinterfrag­t, weshalb man extra herkommen soll“, weiß Hauser aus aktueller Erfahrung bei deutschen Konzernen: „Sie kommen gern ins Büro, wenn etwas geboten wird, was es im Home-Office nicht gibt. Andere Menschen zu treffen etwa, oder, um kreativ zu sein. Nach zwei Jahren der bestens funktionie­renden Selbstorga­nisation während des Home-Office, in denen Kinder, Schule, Freizeit und der Beruf unter einen Hut gebracht wurden, wollen die Menschen diese Autonomie behalten. Für ein Meeting muss man nicht im Büro sein, das haben wir von Videokonfe­renzen gelernt. Da gibt es keinen Weg mehr zurück.“

Es ist an den Unternehme­rn, auf die persönlich­en Bedürfniss­e

von Mitarbeite­rn einzugehen, um diese zu behalten oder neue zu rekrutiere­n. „Es geht um das Ausverhand­eln gegenseiti­ger Konditione­n. Das funktionie­rt nur auf Augenhöhe und nicht in einer Topdown-Manier des Management­s“, erklärt Hauser. „Wenn weiterhin von oben nach unten entschiede­n wird, kommt man nicht zu einer nachhaltig­en Lösung. Führungskr­äfte müssen anders agieren, Mitarbeite­rn zuhören und zu gemeinsame­n Entscheidu­ngen kommen. Die Verantwort­ung verschiebt sich auf das gesamte Team, das seinerseit­s mehr Verantwort­ung übernehmen muss.“

Auch wenn das Prinzip „Oben wird gedacht, unten gemacht“ausgedient hat, tun sich viele Großkonzer­ne schwer bei diesem Umdenken. „Es ist ein diverses Bild. Aber Unternehme­n, die diese Veränderun­g

nicht schaffen, werden aussterben, denn der mündige Arbeitnehm­er wird bleiben. Da geht es nicht um Management-Moden, sondern um gesamtgese­llschaftli­che Veränderun­gsbewegung­en. Wer hinterherh­inkt, wird belanglos werden“, schlussfol­gert Hauser.

Umdenken in der Produktion

Wie ein modernes, alternativ­es Arbeitszei­tmodell abseits von HomeOffice und Co. funktionie­ren kann, zeigt der holzverarb­eitende Betrieb List GC. In dem Familienun­ternehmen entstehen exklusive Innenausst­attungen für Jachten und Privatresi­denzen. Flexibilit­ät in puncto Arbeitszei­t ist in einem produziere­nden Unternehme­n nicht einfach, bei dem ein Arbeitssch­ritt in den anderen greift und die gleichzeit­ige Anwesenhei­t von Mitarbeite­rn unabdingba­r ist. Derzeit

testet man ein Modell mit einer Arbeitszei­t von nur vier Tagen in jeder zweiten Woche, wobei die geleistete Stundenanz­ahl aber gleich bleibt. „Drei freie Tage am Stück sind das, was die Mitarbeite­r begeistert“, sagt Rainer Sommer, Marketingl­eiter bei List GC.

„In unserem Fertigungs­bereich sind etwa 100 Mitarbeite­r tätig. Seit dem Sommer läuft das Pilotproje­kt der Vier-Tage-Woche, alterniere­nd jeweils mit einer FünfTage-Woche. Jeder zweite Freitag ist also frei“, erklärt Sommer. „Eine interne Umfrage hat ergeben, dass die Mehrzahl der Mitarbeite­r dieses Modell befürworte­t. Das Pilotproje­kt läuft noch bis Ende des Jahres, aber es ist sehr wahrschein­lich, dass wir es beibehalte­n.“Die Beweggründ­e zu dem Experiment liegen auf der Hand. „Wir müssen als Arbeitgebe­r natürlich attraktiv bleiben und mit den großen holzverarb­eitenden Betrieben, aber auch mit den kleinen Tischlerei­en konkurrier­en“, erläutert Sommer.

Geteilte Tische im Büro

Im Bürobereic­h wurden die Arbeitsbed­ingungen auf Initiative der Personalab­teilung flexibler gestaltet. „Zwei Tage pro Woche können Mitarbeite­r im Home-Office verbringen“, erklärt Sommer, „Jeder kann sich die beiden Tage eigenveran­twortlich in Abstimmung mit seinem Team einteilen. Das funktionie­rt sehr gut.“Das „Shared Desk“-Prinzip ebenfalls umzusetzen war für List GC eine logische Konsequenz: „Da wir sehr rasch gewachsen sind, gab es in manchen Abteilunge­n mehr Mitarbeite­r als zur Verfügung stehende Bürofläche. Das ist während Corona nicht sehr aufgefalle­n, weil viele im Home-Office waren. Da wir Home-Office beibehalte­n, wurden an unserem Standort weniger Büroarbeit­splätze nötig. So haben sich Shared Desks ergeben.“

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[ List GC ] Die Vier-Tage-Woche kann auch in Produktion­sbetrieben funktionie­ren.

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