Wechsel der Paradigmen auf dem Arbeitsmarkt
New Work. Geld ist nicht alles – heute müssen Unternehmen mehr bieten. Autokratische Managements sind nicht überlebensfähig.
Wenn Fachkräfte fehlen, müssen sich Unternehmer mehr einfallen lassen, als mit Geld zu winken. Spätestens die Generation Z ist selbstbewusst. Der aktuelle Paradigmenwechsel in der Arbeitswelt ist der Pandemie geschuldet. „Krisen wie Corona rütteln uns auf: Uns ist plötzlich bewusst, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist. Die Menschen überlegen, was sie wirklich wollen. Das hat man sich vor 50 Jahren nicht getraut. Heute denkt jeder darüber nach, was der Deal im eigenen Leben ist“, analysiert Christian Hauser, Organisationsberater bei Brains And Games und seit über 25 Jahren im Human-Ressources-Bereich tätig. Seine Aufgabe ist es, Menschen in Organisationen – die Klienten sind aus der Privatwirtschaft, öffentliche Auftraggeber, Non-Profit-Organisationen und große Bildungseinrichtungen – bei Veränderungsprozessen zu begleiten.
Alte Regeln gelten nicht mehr
„Die Bewusstseins- und Entwicklungsphasen der Menschen verändern sich gerade. Es war in unserer
Eltern- und Großeltern-Generation ganz normal, dass man einen Job hat, den man im Alter von 16 Jahren beginnt und bis zur Pension ausübt. Man war dankbar, einen Job zu bekommen, und es wurde das getan, was der Chef sagt“, so Hauser.
Das neue Selbstbewusstsein der Arbeitnehmer zwingt Unternehmer zu handeln. „Große Konzerne haben Probleme, Mitarbeiter ins Büro zu bekommen, denn es wird hinterfragt, weshalb man extra herkommen soll“, weiß Hauser aus aktueller Erfahrung bei deutschen Konzernen: „Sie kommen gern ins Büro, wenn etwas geboten wird, was es im Home-Office nicht gibt. Andere Menschen zu treffen etwa, oder, um kreativ zu sein. Nach zwei Jahren der bestens funktionierenden Selbstorganisation während des Home-Office, in denen Kinder, Schule, Freizeit und der Beruf unter einen Hut gebracht wurden, wollen die Menschen diese Autonomie behalten. Für ein Meeting muss man nicht im Büro sein, das haben wir von Videokonferenzen gelernt. Da gibt es keinen Weg mehr zurück.“
Es ist an den Unternehmern, auf die persönlichen Bedürfnisse
von Mitarbeitern einzugehen, um diese zu behalten oder neue zu rekrutieren. „Es geht um das Ausverhandeln gegenseitiger Konditionen. Das funktioniert nur auf Augenhöhe und nicht in einer Topdown-Manier des Managements“, erklärt Hauser. „Wenn weiterhin von oben nach unten entschieden wird, kommt man nicht zu einer nachhaltigen Lösung. Führungskräfte müssen anders agieren, Mitarbeitern zuhören und zu gemeinsamen Entscheidungen kommen. Die Verantwortung verschiebt sich auf das gesamte Team, das seinerseits mehr Verantwortung übernehmen muss.“
Auch wenn das Prinzip „Oben wird gedacht, unten gemacht“ausgedient hat, tun sich viele Großkonzerne schwer bei diesem Umdenken. „Es ist ein diverses Bild. Aber Unternehmen, die diese Veränderung
nicht schaffen, werden aussterben, denn der mündige Arbeitnehmer wird bleiben. Da geht es nicht um Management-Moden, sondern um gesamtgesellschaftliche Veränderungsbewegungen. Wer hinterherhinkt, wird belanglos werden“, schlussfolgert Hauser.
Umdenken in der Produktion
Wie ein modernes, alternatives Arbeitszeitmodell abseits von HomeOffice und Co. funktionieren kann, zeigt der holzverarbeitende Betrieb List GC. In dem Familienunternehmen entstehen exklusive Innenausstattungen für Jachten und Privatresidenzen. Flexibilität in puncto Arbeitszeit ist in einem produzierenden Unternehmen nicht einfach, bei dem ein Arbeitsschritt in den anderen greift und die gleichzeitige Anwesenheit von Mitarbeitern unabdingbar ist. Derzeit
testet man ein Modell mit einer Arbeitszeit von nur vier Tagen in jeder zweiten Woche, wobei die geleistete Stundenanzahl aber gleich bleibt. „Drei freie Tage am Stück sind das, was die Mitarbeiter begeistert“, sagt Rainer Sommer, Marketingleiter bei List GC.
„In unserem Fertigungsbereich sind etwa 100 Mitarbeiter tätig. Seit dem Sommer läuft das Pilotprojekt der Vier-Tage-Woche, alternierend jeweils mit einer FünfTage-Woche. Jeder zweite Freitag ist also frei“, erklärt Sommer. „Eine interne Umfrage hat ergeben, dass die Mehrzahl der Mitarbeiter dieses Modell befürwortet. Das Pilotprojekt läuft noch bis Ende des Jahres, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass wir es beibehalten.“Die Beweggründe zu dem Experiment liegen auf der Hand. „Wir müssen als Arbeitgeber natürlich attraktiv bleiben und mit den großen holzverarbeitenden Betrieben, aber auch mit den kleinen Tischlereien konkurrieren“, erläutert Sommer.
Geteilte Tische im Büro
Im Bürobereich wurden die Arbeitsbedingungen auf Initiative der Personalabteilung flexibler gestaltet. „Zwei Tage pro Woche können Mitarbeiter im Home-Office verbringen“, erklärt Sommer, „Jeder kann sich die beiden Tage eigenverantwortlich in Abstimmung mit seinem Team einteilen. Das funktioniert sehr gut.“Das „Shared Desk“-Prinzip ebenfalls umzusetzen war für List GC eine logische Konsequenz: „Da wir sehr rasch gewachsen sind, gab es in manchen Abteilungen mehr Mitarbeiter als zur Verfügung stehende Bürofläche. Das ist während Corona nicht sehr aufgefallen, weil viele im Home-Office waren. Da wir Home-Office beibehalten, wurden an unserem Standort weniger Büroarbeitsplätze nötig. So haben sich Shared Desks ergeben.“