Gugging: Ästhet geht, Vermittlerin kommt
Neubesetzung. Das Museum Gugging, die international bekannte Kunsthalle für Art brut, bekommt mit Nina Ansperger eine neue Direktorin. Johann Feilacher verabschiedet sich mit einer großartigen Sonderschau – auch eine Hommage auf ihn selbst.
Der Boden der Kritzendorfer Hütte, in der August Walla, Star der Gugginger Künstler (1936–2001), als Junger hauste, war jahrelang versperrt, mehrfach überschwemmt, mit Tierkot verdreckt. Teile der bemalten Flächen konnte Johann Feilacher aber bergen, seine Frau sie restaurieren. Jetzt sind sie Prunkstücke der neuen Sonderausstellung in Gugging: Vollgepinselt mit der verstörenden Symbolik, die Wallas ewiges Kindheitsuniversum prägten: „NSDAP“steht hier neben „KPÖ“, oder neben dem Satz, dass er seine Mama mehr liebe als Jesus. Diese Mama, die ihm Mädchenkleider angezogen und mit der Großmutter eingesperrt hat. Walla glaubte, der Hitler aus dem Radio sei sein Vater. Und die Russen hätten ihn, das Mädchen, zum Buben umoperiert.
Stundenlang könnte man Feilacher bei diesen Geschichten zuhören. Es gibt wenige, wahrscheinlich keinen Zweiten, der sich derart umfassend auskennt in dieser seltsamen, faszinierenden Welt der Art brut. So hat Jean Dubuffet einst die Gattung der von kulturellen Einflüssen (möglichst) freien Kunst genannt. Dazu zählte er auch, was früher – aus heutiger Sicht despektierlich – „Kunst der Geisteskranken“hieß. Ihr weltweit bekanntes Zentrum ist Gugging in Niederösterreich. Und Johann Feilacher, Psychiater, Sammler, Manager und Bildhauer, ist dessen Stratege.
1986 übernahm er von Leo Navratil das Zentrum für Kunst- und Psychotherapie. Er wandelte es ins legendäre Haus der Künstler um, in dem heute 15 Personen (davon 14 Männer) leben und künstlerisch arbeiten. Sie stehen in der Nachfolge berühmter Vorgänger wie Walla, Johann Hauser, Oswald Tschirtner, die Feilacher in den Neunzigern
ZUR PERSON
mit Wanderausstellungen in die USA und nach Japan gebracht hat. 2006 gründete er das Museum Gugging, vom Land Niederösterreich betrieben, von ihm geleitet. Ende 2022 zieht sich der 68-Jährige zurück. Er übergibt an seine Wunschnachfolgerin: Nina Ansperger. Sie ist seit 13 Jahren im Museum, das eigentlich eine Kunsthalle ohne eigene Sammlung ist, für die Ausstellungsproduktion und die Vermittlung zuständig. Sie setzte sich gegen acht weitere Bewerber durch.
David Bowie soll Besucher anlocken
Eine nahtlose Übergabe an die nächste (Schülerinnen-)Generation also. Wie sich Ansperger unterscheiden will vom bisherigen Vorgesetzten? „Er ist der absolute Ästhet, ich die absolute Vermittlerin“, meint sie. Sie möchte ein Museum weiter öffnen, vor dem neue Besucher noch immer zurückscheuen, weil sie denken, es liege in einem „Irrenhaus“,
wie Feilacher anmerkt. Dazu will sie niederschwelliger kommunizieren. Mit dem Sternenglanz von Gugging-Fans wie David Bowie etwa, dessen Name gleich im Titel von Anspergers erster Sonderschau im März auftaucht: „Gugging inspiriert! Bowie bis Roth“.
Doch erst einmal verabschiedet sich Feilacher mit einer Hommage an sich selbst: „Brut Favorites! Feilachers Choice“. Eine Eitelkeit, die man verzeihen möchte. Denn seine seine Interessen spiegeln auch die Entwicklung und Verbreiterung der Art brut wider. Mittlerweile kommt kein Moderne-Museum von Rang ohne sie aus. Seit der Biennale Venedig 2013 rücken auch Outsider-Art (der US-Begriff ist weiter) und Stammeskunst in den Kanon vor. Ein Fokus liegt auch hier auf Frauen, die speziell im psychiatrischen Rahmen lang künstlerische Benachteiligungen erfuhren. Dabei ist die beste Artbrut-Objektkünstlerin überhaupt laut Feilacher
weiblich: Der Raum, in dem er die Faden-Puppenfetische von Judith Scott (1943–2005) mit abstrakt bemalten Stammesschilden aus Papua-Neuguinea ausstellt, ist einer der stärksten der Ausstellung. In ihr sind auch viele Leihgaben von ihm selbst zu finden. Und er will mit ihr provozieren – wenn er etwa gefundene Artefakte wie Paletten oder Malunterlagen als Kunstwerke ausstellt, um zu zeigen, was wir ästhetisch heute alles zu schätzen gelernt haben.
Ein echter Abschied ist es nicht: Feilacher bleibt eine mächtige Figur der Art-brutSzene. Er leitet das Haus der Künstler, ist im Vorstand der NÖ Gugging Privatstiftung und Geschäftsführer der Art Brut KG, die Nachlässe wie jenen Wallas betreut. Auch das Museum wird also ohne ihn nicht auskommen. Und wir dürfen ihm weiter zuhören.