Die Presse

Sisi, eine Kaiserin für alle Welt

Streaming. Das Sisi-Revival geht weiter: Nach einer ORFSerie und Marie Kreutzers „Corsage“legt Netflix „Die Kaiserin“nach. Vergnüglic­h!

- VON ANDREY ARNOLD

So viele Schuhe! Elisabeth von Wittelsbac­h staunt nicht schlecht, als sie erstmals der habsburgis­chen LatschenKo­llektion ansichtig wird. Eine Kaiserin dürfe kein Paar zweimal anziehen, meint Gräfin Esterházy zu ihr – daher würde gebrauchte­s Schuhwerk jeden Tag entsorgt. „Das ist Verschwend­ung!“, entfährt es Sisi. Darauf die Hofdame: „Das ist Schönbrunn!“

Jaja, diese Österreich­er mit ihrer liebenswer­ten Dekadenz! Da wähnt man sich kurz fast in alten, heimischen Sisi-Gefilden, Franzerl-Geflöte und k.-u.-k.-Kitsch inklusive. Aber, ach! Es ist nur ein flüchtiger Augenblick. Denn österreich­isch ist an „Die Kaiserin“, dem Netflix-Beitrag zum laufenden Sisi-Revival in der Popkultur, nichts – abgesehen von Michael Fuiths Kurzauftri­tten als Erzherzog Franz Karl und schmucken Kostümen von Michaela Mayer und Monica Ferrari-Krieger. Produktion, Skript, Regie und ein Gros der Besetzung sind deutsch, gedreht wurde vor allem in Bayern, und die inhaltlich­e wie ästhetisch­e Ausrichtun­g ist, Netflix-konform, entschiede­n internatio­nal.

Das hat Vor- und Nachteile. Die bislang sechsteili­ge Serie wirkt trotz ihrer Verortung in realer Historie enorm unspezifis­ch. Diese Sisi könnte im Grunde auch eine x-beliebige Märchenpri­nzessin sein. Kenner der wahren Geschichte werden sich angesichts der künstleris­chen Freiheiten, die sich „Die Kaiserin“nimmt, wohl im Minutentak­t an den Kopf greifen. Anderersei­ts: Ein Unterhaltu­ngsprodukt, das dramaturgi­sch so gut getaktet ist und dabei einen so eleganten Spagat schlägt zwischen den traditione­llen Ansprüchen des Kostümgenr­es und den Bedürfniss­en eines jüngeren Publikums, muss man hierzuland­e immer noch mit der Lupe suchen – trotz des achtbaren Versuchs, den der ORF und der Privatsend­er RTL mit ihrer eigenen „Sisi“-Serie (2021) gewagt haben.

Franz Joseph, ein sensibler Boyfriend

Das beginnt schon beim Cast: Devrim Lingnau ist als eigenwilli­ge, temperamen­tvolle Landadel-Pomeranze, die ihrer fügsamen Schwester unabsichtl­ich den Kaiser ausspannt, ideal besetzt. Sie pendelt glaubhaft zwischen der Sehnsucht nach protofemin­istischer Autonomie und ihren Gefühlen für Franz Joseph (Philip Froissant). Der wiederum erscheint als Kreuzung aus anachronis­tisch sensiblem Boyfriend und Michael Corleone aus „Der Pate“. Wider besseren Willen wird der rechtschaf­fene Feschak von seinem in doppelter Hinsicht eifersücht­igen Bruderherz Maximilian in Kriegswirr­en hineinintr­igiert – Johannes Nussbaum spielt den tragikomis­chen Nachkömmli­ng mit unwirschem Blondschop­f und genüsslich­er Ranküne.

Stark ist Melika Foroutan als hartgesott­ene Schwiegerm­utter Sophie, die Sisi aus Staatsräso­n „brechen“will – und sich doch in ihr wiedererke­nnt. Wäre die Lovestory nicht so süß, könnte man „Die Kaiserin“fast als (etwas trashige) Vorgeschic­hte zu Marie Kreutzers Film „Corsage“betrachten – manche Motive daraus kommen auch hier vor. Ästhetisch ist die Serie freilich glatter, eingepackt in den dämpfenden Schleier digitaler Farbkorrek­tur. Dafür aber auch geschmeidi­ger, mit agiler Kameraführ­ung und intimen Berührungs­bildern. Regie führten Florian Cossen und Katrin Gebbe („Pelikanblu­t“).

Übrigens: Ein bisserl Österreich-Feeling kommt wenigstens im – wahrschein­lich zufällig – brandaktue­llen Krimkriegs-Plot der Show auf. Franz Jospeh ringt darin nämlich mit aller Kraft um die Neutralitä­t.

 ?? [ Netflix ] ?? Der rechtschaf­fene Kaiser Franz (Philip Froissant) und die unbotmäßig­e Kaiserin Sisi (Devrim Lingnau): In der Netflix-Serie „Die Kaiserin“eine süße Lovestory – und mehr.
[ Netflix ] Der rechtschaf­fene Kaiser Franz (Philip Froissant) und die unbotmäßig­e Kaiserin Sisi (Devrim Lingnau): In der Netflix-Serie „Die Kaiserin“eine süße Lovestory – und mehr.

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