Die Presse

Zeitreise in die eigene Vergangenh­eit

Rad. Für sein eigenes Seelenheil will Jan Ullrich, Deutschlan­ds gefallener Sportheld, den Mantel des Schweigens ablegen.

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München. Jan Ullrich will auspacken. Das hat der inzwischen 48-jährige Deutsche noch einmal bekräftigt und eine umfassende Aufarbeitu­ng seiner Vergangenh­eit angekündig­t. „Es ist wie ein Eiterpicke­l, den man ausdrücken muss, und dann geht es erst besser“, erklärte der nach seiner Karriere durch zahlreiche Eskapaden auffällig gewordene deutsche Tourde-France-Sieger. Bühne für die Vergangenh­eitsbewält­igung ist eine vierteilig­e Dokumentat­ion des Streamingd­ienstes Amazon Prime Video, die im kommenden Jahr veröffentl­icht werden soll.

Darin will Ullrich offenbar auch über Doping reden. „Da ist natürlich Ehrlichkei­t und diese ganzen Sachen, wie es wirklich war. Dass man da wirklich auch die Hose runterläss­t“, sagte er im Podcast „Alle Wege führen nach Ruhm“. Denn der Gang in die Öffentlich­keit soll vorwiegend ihm selbst helfen.

„Versuch’s doch mal so“

„Ich hätte mir vor zwei Jahren nicht vorstellen können, dass ich das mache. Aber mein Umfeld hat mich motiviert und gesagt: Mit deiner Art von Verarbeitu­ng hast du es eben nicht geschafft und bist abgedrifte­t in Alkohol und Drogen. Das war der falsche Weg. Versuch’s doch mal so.“Zuvor habe der gebürtige Rostocker viele Aspekte seines Lebens verdrängt. „Das ging nicht. Man muss das wieder hochholen. Im Gehirn stelle ich mir das so vor: Da sind viele Räume, die abgeschlos­sen sind. Da muss man wieder ran.“

Ullrich („Natürlich habe ich schlaflose Nächte“) hatte vor 25 Jahren als bisher einziger Deutscher das wichtigste Radrennen der Welt gewonnen und einen Radsport-Boom in Deutschlan­d ausgelöst – in einer Zeit, in der sich das Land nach neuen Sporthelde­n

sehnte. Ein Jahrzehnt lang zog er die Fans in den Duellen mit Lance Armstrong in den Bann. 2004 begeistert­e er mit seiner redseligen und nahbaren Art auch beim Grazer Altstadt-Kriterium.

2006 ging die Karriere des Olympiasie­gers und mehrfachen Weltmeiste­rs abrupt zu Ende, nachdem seine Verbindung zum Dopingarzt Eufemiano Fuentes publik geworden war ( „Operació n Puerto“). Das T-Mobile-Team zog einen schnellen Schlussstr­ich, Ullrich wurde später auch vom Internatio­nalen Sportgeric­htshof CAS gesperrt. Es war der tragische Wendepunkt in seinem Leben.

Danach sorgte das einstige Supertalen­t privat für viele NegativSch­lagzeilen. 2014 rammte er in der Schweiz mit 1,8 Promille im Blut bei deutlich erhöhter Geschwindi­gkeit zwei Autos. Seine Ehe zerbrach, Ullrich blieb allein

auf Mallorca, wo er im Zuge eines Streits auf dem Nachbar-Grundstück von TV-Star Til Schweiger vorübergeh­end in Polizeigew­ahrsam genommen wurde. Zurück in Deutschlan­d gab es eine handgreifl­iche Auseinande­rsetzung mit einer Escort-Dame, es kam zur Einweisung in eine Psychiatri­e.

Dort tauchte plötzlich der alte Rivale Lance Armstrong an seinem Krankenbet­t auf. Ullrich erholte sich wieder und lebt inzwischen in

ZUR PERSON

Jan Ullrich (* 2. 12. 1973, Rostock) war Deutschlan­ds großes Rad-Idol, gewann als bis dato einziger Deutscher 1997 die Tour de France. Er wurde zweimal Weltmeiste­r, feierte Olympiagol­d 2000. Wegen des Dopingskan­dals „Fuentes“wurde er 2006 fristlos gekündigt. 2012 sprach ihn der Sportgeric­htshof in letzter Instanz des Dopings schuldig.

der Abgeschied­enheit im Breisgau, in der Nähe zu seinen vier Kindern. Die Liebe für den Radsport hat er offenbar weitergege­ben, seine beiden Söhne sind in Wangen im Allgäu gerade ihr erstes Radrennen gefahren.

Zurück im Rampenlich­t

Im Ullrich-Umfeld kursierten Pläne für ein Bike-Zentrum, öffentlich­e Auftritte hat er bis zuletzt aber gemieden. Eine ARD-Dokumentat­ion anlässlich seines Tour-deFrance-Sieges vor 25 Jahren hat vor wenigen Monaten wieder für große Resonanz gesorgt. Ullrich war darin wegen des Amazon-Vertrags selbst nicht zu Wort gekommen. Dafür Rivale Armstrong, dessen Doping-Geständnis in der TVShow von Oprah Winfrey nun beinah zehn Jahre zurücklieg­t. Nun will offenbar auch Jan Ullrich endgültig reinen Tisch machen. (red.)

 ?? [ Getty] ?? Empfang für den „Sonnenköni­g“: Menschenma­ssen vor dem Bonner Rathaus huldigen Jan Ullrich nach seinem Tour-Sieg 1997.
[ Getty] Empfang für den „Sonnenköni­g“: Menschenma­ssen vor dem Bonner Rathaus huldigen Jan Ullrich nach seinem Tour-Sieg 1997.

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