Alt und arm oder jung und ruiniert?
Gastkommentar.
Für Forderungen nach einer saftigen Pensionserhöhung kann oder muss man sogar Verständnis haben. Doch leider hat die österreichische Politik jahrzehntelang geschlafen. Jetzt bekommen wir die Rechnung präsentiert.
Das Gesetz sagt 5,8 Prozent plus. Zehn Prozent plus oder gar noch mehr, so lauten die Forderungen vieler. Und irgendetwas dazwischen, sozial gestaffelt, lautet der Vorschlag von Minister Johannes Rauch. Es geht um die Pensionserhöhung, und die Verhandlungen gestalten sich schwierig.
Gleich vorweg: Die Forderungen, die teilweise weit über 5,8 Prozent liegen, kann man verstehen. Schließlich sind die Erwartungen, was die wirtschaftliche Entwicklung als auch die steigenden Preise betrifft, düster. Angesichts serieller Fehleinschätzungen fast aller Prognostiker in den vergangenen Jahren und Monaten samt deutlichem Bias dieser Fehleinschätzungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Situation nochmal zuspitzt. Dass angesichts dessen jene, die viele Jahrzehnte gearbeitet haben, nun das fordern, was ihnen von der Politik im Gegenzug für ausbeuterisch hohe Abgaben versprochen wurde, dafür kann – vielleicht sogar muss – man Verständnis haben.
Allerdings hat die Politik seit Jahrzehnten geschlafen, was die Sicherstellung der nachhaltigen Finanzierung der Pensionen betrifft. Das Pensionssystem Österreichs gehört zu den Pensionssystemen, die weltweit am wenigsten zukunftsfit sind. Würde man die Pensionen nun über dem gesetzlichen Plus erhöhen, würde man die Probleme weiter verschärfen.
Es muss produziert werden
Denn: Entgegen vielen Beteuerungen kommt es nicht auf die Geldsumme an, die jeden Monat auf das Konto überwiesen wird. Es kommt darauf an, was man sich damit leisten kann. An diese Tatsache werden wir gerade äußerst schmerzhaft im Zuge der Inflation neu erinnert. Und was ist die Voraussetzung, dass man sich mit der Geldsumme, die man auf das Konto überwiesen bekommt, etwas leisten kann? Es müssen Güter produziert werden! Wenn weniger produziert wird, also weniger Güter zur Verfügung stehen, kann nicht insgesamt mehr konsumiert werden.
Hier liegt der Kern des Problems, das uns beschäftigen sollte. Die Frage lautet: Sind genügend
Güter vorhanden, um den Pensionisten einen größeren Anteil dieser Güter zukommen zu lassen?
Sehen wir uns hierfür zunächst die demografische Entwicklung an: 1970 kamen auf einen Pensionsbezieher etwas mehr als zwei Erwerbstätige. Derzeit liegt dieses Verhältnis bei etwa 1,6 Erwerbstätigen pro Pensionist. Dies schlug sich auch budgetär nieder: Die Zuschüsse zu den Pensionszahlungen aus dem Steuertopf stiegen stark an. Diese Entwicklung hält an: Mit der nun eingesetzten Pensionierungswelle der Babyboomer-Generation und anhaltend niedrigen Geburtenzahlen ist bis 2050 mit einer Verschiebung auf ein Verhältnis nahe 1:1 zu rechnen. Das Produktivitätswachstum, das notwendig wäre, um diese Verschiebung auszugleichen, ist erheblich.
Wenn dieses Produktivitätswachstum ausschließlich zum Ausgleich der demografischen Entwicklung verwendet würde, bliebe jedoch der Lebensstandard der erwerbstätigen Bevölkerung trotz steigender Produktivität gleich, was zu sozialen Konflikten führen würde. Das Produktivitätswachstum muss daher realistischerweise deutlich mehr als nur diese Verschiebung
ausgleichen. Ein Produktivitätswachstum, mit dem das bewerkstelligt werden kann, ist auf Grundlage der Entwicklungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte völlig illusorisch.
Corona und die Folgen
Was zur nächsten Thematik führt, nämlich der Globalisierung. SarsCoV-2 und die politische Reaktion darauf (Stichwort: Lockdowns) haben dazu geführt, dass die wirtschaftliche Globalisierung Schaden genommen hat. Sie befindet sich auf dem Rückzug. Die Globalisierung führte vor allem über eine Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung zu deutlichem Produktivitätswachstum.
DER AUTOR
Wird die wirtschaftliche Globalisierung (teilweise) rückabgewickelt, geht das mit entsprechenden Einbußen in der Produktivität einher. Das wiederum hat über einen verringerten Güterbestand Implikationen auf die Möglichkeit, eine wachsenden Zahl von Pensionisten ohne Wohlstandsverluste zu versorgen.
Eine weitere Thematik, über welche in diesem Zusammenhang gesprochen werden muss, ist der langfristige Trend zur Teilzeitarbeit und zum digitalen Nomadentum. Teilzeitarbeit ist teils durch Lebensumstände erzwungen, teils aber eine Folge einer höheren Gewichtung der Freizeit. Der Trend zur besseren Work-Life-Balance steht für diese Entwicklung. Das digitale Nomadentum geht in eine ähnliche Richtung und ist eine Art Steigerungsform des „Home-Office“. Arbeiten von überall, und wenn das politisch-regulatorische Umfeld in Österreich zu große Lasten mit sich bringt, dann verabschiedet man sich (vorübergehend) aus Österreich. Die Auswirkungen sind klar: weniger Produktivität, die zur Versorgung einer wachsenden Anzahl von Pensionisten zur Verfügung steht.
Zum Thema politisch-regulatorisches Umfeld in Österreich wäre noch so einiges zu sagen. Was bei wirtschaftlicher Regulierung oft vergessen wird: Mit ihr wird lediglich der staatlich einseitige Zwang an die Stelle des beidseitigen Konsenses gesetzt. Wenn jemand zu einer Handlung gezwungen werden soll, welche er nicht unterstützt, kann eine der Auswirkungen sein, dass alle damit zusammenhängenden Handlungen unterlassen werden. Wenn wirtschaftliche Handlungen unterlassen werden, sinkt tendenziell die Produktivität – was bereits ein riesiges Problem in der gesamten EU darstellt.
Ein letztes Thema, das im Zusammenhang mit den Pensionen angesprochen werden muss, ist die Inflation. Erstens nämlich sorgt die Inflation für Planungsunsicherheit, Scheingewinne, mangelhafte Preissignale und folglich Fehlinvestitionen. Diese Fehlinvestitionen wiederum mindern die Produktivität. Zweitens erfordert die Bekämpfung der Inflation ein Ansteigen der Zinssätze. Das wiederum sorgt für schrumpfende budgetäre Spielräume. Will die Politik weiterhin die Reformresistenz als oberste Maxime des Pensionssystems hochhalten, wird dies erhöhte Abgaben bedeuten. Höhere Abgaben sorgen für sinkende Produktivität, schon allein deshalb, weil dann manche Produktion unrentabel wird und in der Folge – spätestens dann, wenn die Reserven nicht mehr ausreichen – verschwindet.
Eine hohe Rechnung
Um die Probleme, welche zahlreiche Regierungen zuvor auf die lange Bank geschoben haben, zu lösen, benötigt die österreichische Regierung ein Wunder. Angesichts der Vielzahl der nun auftretenden Krisen brauchte man genau genommen eine Vielzahl an Wundern. Leider ist zu befürchten, dass eine Katastrophe – jedenfalls eine wirtschaftliche – nicht mehr abgewendet werden kann. Das ist umso bedauerlicher, als in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zur Genüge vor den Gefahren einer von Hybris und Leichtsinn geprägten Politik gewarnt wurde. Die Rechnung für diese politischen Verfehlungen wird der Bevölkerung in den nächsten Jahren präsentiert werden. Es wird teuer werden.