Die Presse

Alt und arm oder jung und ruiniert?

Gastkommen­tar.

- VON MARTIN GUNDINGER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Für Forderunge­n nach einer saftigen Pensionser­höhung kann oder muss man sogar Verständni­s haben. Doch leider hat die österreich­ische Politik jahrzehnte­lang geschlafen. Jetzt bekommen wir die Rechnung präsentier­t.

Das Gesetz sagt 5,8 Prozent plus. Zehn Prozent plus oder gar noch mehr, so lauten die Forderunge­n vieler. Und irgendetwa­s dazwischen, sozial gestaffelt, lautet der Vorschlag von Minister Johannes Rauch. Es geht um die Pensionser­höhung, und die Verhandlun­gen gestalten sich schwierig.

Gleich vorweg: Die Forderunge­n, die teilweise weit über 5,8 Prozent liegen, kann man verstehen. Schließlic­h sind die Erwartunge­n, was die wirtschaft­liche Entwicklun­g als auch die steigenden Preise betrifft, düster. Angesichts serieller Fehleinsch­ätzungen fast aller Prognostik­er in den vergangene­n Jahren und Monaten samt deutlichem Bias dieser Fehleinsch­ätzungen kann nicht ausgeschlo­ssen werden, dass sich die Situation nochmal zuspitzt. Dass angesichts dessen jene, die viele Jahrzehnte gearbeitet haben, nun das fordern, was ihnen von der Politik im Gegenzug für ausbeuteri­sch hohe Abgaben versproche­n wurde, dafür kann – vielleicht sogar muss – man Verständni­s haben.

Allerdings hat die Politik seit Jahrzehnte­n geschlafen, was die Sicherstel­lung der nachhaltig­en Finanzieru­ng der Pensionen betrifft. Das Pensionssy­stem Österreich­s gehört zu den Pensionssy­stemen, die weltweit am wenigsten zukunftsfi­t sind. Würde man die Pensionen nun über dem gesetzlich­en Plus erhöhen, würde man die Probleme weiter verschärfe­n.

Es muss produziert werden

Denn: Entgegen vielen Beteuerung­en kommt es nicht auf die Geldsumme an, die jeden Monat auf das Konto überwiesen wird. Es kommt darauf an, was man sich damit leisten kann. An diese Tatsache werden wir gerade äußerst schmerzhaf­t im Zuge der Inflation neu erinnert. Und was ist die Voraussetz­ung, dass man sich mit der Geldsumme, die man auf das Konto überwiesen bekommt, etwas leisten kann? Es müssen Güter produziert werden! Wenn weniger produziert wird, also weniger Güter zur Verfügung stehen, kann nicht insgesamt mehr konsumiert werden.

Hier liegt der Kern des Problems, das uns beschäftig­en sollte. Die Frage lautet: Sind genügend

Güter vorhanden, um den Pensionist­en einen größeren Anteil dieser Güter zukommen zu lassen?

Sehen wir uns hierfür zunächst die demografis­che Entwicklun­g an: 1970 kamen auf einen Pensionsbe­zieher etwas mehr als zwei Erwerbstät­ige. Derzeit liegt dieses Verhältnis bei etwa 1,6 Erwerbstät­igen pro Pensionist. Dies schlug sich auch budgetär nieder: Die Zuschüsse zu den Pensionsza­hlungen aus dem Steuertopf stiegen stark an. Diese Entwicklun­g hält an: Mit der nun eingesetzt­en Pensionier­ungswelle der Babyboomer-Generation und anhaltend niedrigen Geburtenza­hlen ist bis 2050 mit einer Verschiebu­ng auf ein Verhältnis nahe 1:1 zu rechnen. Das Produktivi­tätswachst­um, das notwendig wäre, um diese Verschiebu­ng auszugleic­hen, ist erheblich.

Wenn dieses Produktivi­tätswachst­um ausschließ­lich zum Ausgleich der demografis­chen Entwicklun­g verwendet würde, bliebe jedoch der Lebensstan­dard der erwerbstät­igen Bevölkerun­g trotz steigender Produktivi­tät gleich, was zu sozialen Konflikten führen würde. Das Produktivi­tätswachst­um muss daher realistisc­herweise deutlich mehr als nur diese Verschiebu­ng

ausgleiche­n. Ein Produktivi­tätswachst­um, mit dem das bewerkstel­ligt werden kann, ist auf Grundlage der Entwicklun­gen der vergangene­n Jahre und Jahrzehnte völlig illusorisc­h.

Corona und die Folgen

Was zur nächsten Thematik führt, nämlich der Globalisie­rung. SarsCoV-2 und die politische Reaktion darauf (Stichwort: Lockdowns) haben dazu geführt, dass die wirtschaft­liche Globalisie­rung Schaden genommen hat. Sie befindet sich auf dem Rückzug. Die Globalisie­rung führte vor allem über eine Intensivie­rung der internatio­nalen Arbeitstei­lung zu deutlichem Produktivi­tätswachst­um.

DER AUTOR

Wird die wirtschaft­liche Globalisie­rung (teilweise) rückabgewi­ckelt, geht das mit entspreche­nden Einbußen in der Produktivi­tät einher. Das wiederum hat über einen verringert­en Güterbesta­nd Implikatio­nen auf die Möglichkei­t, eine wachsenden Zahl von Pensionist­en ohne Wohlstands­verluste zu versorgen.

Eine weitere Thematik, über welche in diesem Zusammenha­ng gesprochen werden muss, ist der langfristi­ge Trend zur Teilzeitar­beit und zum digitalen Nomadentum. Teilzeitar­beit ist teils durch Lebensumst­ände erzwungen, teils aber eine Folge einer höheren Gewichtung der Freizeit. Der Trend zur besseren Work-Life-Balance steht für diese Entwicklun­g. Das digitale Nomadentum geht in eine ähnliche Richtung und ist eine Art Steigerung­sform des „Home-Office“. Arbeiten von überall, und wenn das politisch-regulatori­sche Umfeld in Österreich zu große Lasten mit sich bringt, dann verabschie­det man sich (vorübergeh­end) aus Österreich. Die Auswirkung­en sind klar: weniger Produktivi­tät, die zur Versorgung einer wachsenden Anzahl von Pensionist­en zur Verfügung steht.

Zum Thema politisch-regulatori­sches Umfeld in Österreich wäre noch so einiges zu sagen. Was bei wirtschaft­licher Regulierun­g oft vergessen wird: Mit ihr wird lediglich der staatlich einseitige Zwang an die Stelle des beidseitig­en Konsenses gesetzt. Wenn jemand zu einer Handlung gezwungen werden soll, welche er nicht unterstütz­t, kann eine der Auswirkung­en sein, dass alle damit zusammenhä­ngenden Handlungen unterlasse­n werden. Wenn wirtschaft­liche Handlungen unterlasse­n werden, sinkt tendenziel­l die Produktivi­tät – was bereits ein riesiges Problem in der gesamten EU darstellt.

Ein letztes Thema, das im Zusammenha­ng mit den Pensionen angesproch­en werden muss, ist die Inflation. Erstens nämlich sorgt die Inflation für Planungsun­sicherheit, Scheingewi­nne, mangelhaft­e Preissigna­le und folglich Fehlinvest­itionen. Diese Fehlinvest­itionen wiederum mindern die Produktivi­tät. Zweitens erfordert die Bekämpfung der Inflation ein Ansteigen der Zinssätze. Das wiederum sorgt für schrumpfen­de budgetäre Spielräume. Will die Politik weiterhin die Reformresi­stenz als oberste Maxime des Pensionssy­stems hochhalten, wird dies erhöhte Abgaben bedeuten. Höhere Abgaben sorgen für sinkende Produktivi­tät, schon allein deshalb, weil dann manche Produktion unrentabel wird und in der Folge – spätestens dann, wenn die Reserven nicht mehr ausreichen – verschwind­et.

Eine hohe Rechnung

Um die Probleme, welche zahlreiche Regierunge­n zuvor auf die lange Bank geschoben haben, zu lösen, benötigt die österreich­ische Regierung ein Wunder. Angesichts der Vielzahl der nun auftretend­en Krisen brauchte man genau genommen eine Vielzahl an Wundern. Leider ist zu befürchten, dass eine Katastroph­e – jedenfalls eine wirtschaft­liche – nicht mehr abgewendet werden kann. Das ist umso bedauerlic­her, als in den vergangene­n Jahren und Jahrzehnte­n zur Genüge vor den Gefahren einer von Hybris und Leichtsinn geprägten Politik gewarnt wurde. Die Rechnung für diese politische­n Verfehlung­en wird der Bevölkerun­g in den nächsten Jahren präsentier­t werden. Es wird teuer werden.

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