Die Presse

Die EU sollte ihren Blick in Richtung Bosnien lenken

Gastkommen­tar. In Bosnien wird am Sonntag gewählt, Hoffnung und Zuversicht fehlen.

- VON BEDRANA RIBO E-Mails an: debatte@diepresse.com

Egal in welchem Land, vor einer Wahl ist die Stimmung in der Bevölkerun­g immer besonders. Es ist ein Kribbeln zu spüren. Die Wählerscha­ft hofft, dass sich etwas verändert – oder gar verbessert. Auch in Bosnien und Herzegowin­a, wo am kommenden Sonntag gewählt wird, spürt man die Wahlen in der Luft. Was aber fehlt, sind Hoffnung und Zuversicht.

Die Wahlplakat­e der drei nationalis­tischen Parteien unterschei­den sich kaum. „Wir, wir, wir“liest man überall – und das, obwohl in diesem Land alles möglich ist, nur nicht ein gemeinsame­s „Wir“. Fragt man die Menschen, was sie sich von der Wahl erwarten, lautet die Antwort: „Nichts!“Was soll sich schon ändern? Es bleiben doch dieselben an der Macht, lautet der Tenor.

Bosnien hat eine der komplizier­testen Staatsstru­kturen weltweit, die auf den Vertrag von Dayton aus dem Jahr 1995 zurückgehe­n. Heute ist das Land fragil, die Jugendarbe­itslosigke­it beträgt weit über 50 Prozent. Korruption ist allgegenwä­rtig. Allein in den letzten beiden Jahren haben über 250.000 Menschen auf der Suche nach einer besseren Zukunft Bosnien in Richtung Westen verlassen. Von diesem Braindrain profitiert in erster Linie die EU. Gut qualifizie­rtes Personal ist willkommen, alle reißen sich um billige und fleißige Arbeitskrä­fte.

Noch dazu sind Menschen aus Bosnien Europäer:innen – zwar Europäer:innen „zweiter Klasse“, aber immerhin. Insbesonde­re Deutschlan­d nimmt die Ausgewande­rten mit offenen Armen auf, das deutsche Gesundheit­ssystem leidet massiv unter Fachkräfte­mangel. Doch die Arbeitskrä­fte fehlen in der Heimat, immer wieder müssen in Bosnien ganze Krankenhäu­ser aufgelasse­n werden. Angesichts dieser kritischen Situation müsste die Verhinderu­ng der Abwanderun­g die Prioritäte­nliste der amtierende­n und zukünftige­n Politik in Bosnien anführen.

Doch wer das denkt, der irrt: Es ist weiterhin der Nationalis­mus, der im Fokus steht. Diesen braucht man, um das Land zu spalten, und das wiederum hält einen an der Macht. Nationalis­mus ist eine bewährte politische Waffe in einem Land, wo die echten Waffen vor gerade einmal 30 Jahren abgelegt wurden und die Wunden frisch sind. Diese Wunden können und wollen die Menschen in Bosnien gemeinsam heilen, aber die vorherrsch­ende nationalis­tische Politik lässt das nicht zu.

Während viele bosnische Wähler:innen keine Hoffnung in die nationale Politik setzen, hoffen viele doch, dass zumindest die EU endlich die Probleme in ihrem Land erkennt und handelt: wenn schon nicht für Bosnien und die Menschen dort, dann wenigstens aus Eigeninter­esse. Immerhin haben viele EU-Länder nicht unbedeuten­de wirtschaft­liche Interessen in Bosnien. Die EU wäre somit gut beraten, ihren Blick in Richtung Bosnien und den Westbalkan insgesamt zu lenken.

Gefährlich­e Verbündete

Russland, Türkei und Saudiarabi­en versuchen ebenfalls, ihren Einfluss zu stärken. In Sarajevo zeigt sich das am Stadtbild – ganze Siedlungen werden fast ausschließ­lich von Arabern bewohnt, gekennzeic­hnet durch hohe Mauern rundherum, damit man unter sich bleibt. Währenddes­sen vergeht in der Republika Srpsa kein Tag, an dem nicht bekräftigt wird, dass man hinter dem großen Bruder Russland stehe. Die Bevölkerun­g bekommt das Interesse der gefährlich­en Verbündete­n mit, ist zwar nicht angetan, aber das mitgebrach­te Geld stinkt nicht. Und so zeigt sich deutlich: Wenn die EU gegenüber Bosnien untätig bleibt, werden andere ihre Chance nützen – und das ist nicht im Interesse der europäisch­en Gemeinscha­ft.

Bedrana Ribo, geboren 1981 in Travnik, Bosnien und Herzegowin­a, lebt seit 1992 in Österreich. Seit 2019 ist sie Abgeordnet­e der Grünen im Nationalra­t.

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