Die Presse

Tüfteln an der Stadt von morgen

Die vielfach beworbene ökologisch­e Planstadt Masdar in Abu Dhabi hält nicht, was sie versprach. Nun folgt ein weiterer Versuch mit „The Line“, einer 170 Kilometer langen Bandstadt in Saudi-Arabien. Kann das gelingen?

- Von Harald A. Jahn

Vor etwa 15 Jahren ließ eine Meldung aus Abu Dhabi aufhorchen: Eine neue Stadt sei geplant, nach ökologisch­en Grundsätze­n, versorgt durch erneuerbar­e Energien, mit solarbetri­ebenen Wasserents­alzungsanl­agen, autofrei, ohne CO2-Emissionen, mit einem automatisi­erten öffentlich­en Verkehrssy­stem im Tiefgescho­ß und einer Hochbahn als Verbindung zu anderen Stadtteile­n. Sechs Quadratkil­ometer groß, knapp 50.000 Einwohner, Fertigstel­lung um 2016, das Grundkonze­pt von Stararchit­ekt Norman Foster: Die Renderings waren beeindruck­end – die Realität umso weniger. Die Arbeiten kamen bald ins Stocken; inzwischen wurde die Fertigstel­lung immer weiter nach hinten verschoben.

Bis heute besteht Masdar nur aus einigen Häuserbloc­ks; Etihad Airways haben einen Teil gekauft und als „Gated Community“für ihr Personal der Allgemeinh­eit unzugängli­ch gemacht, Siemens hat hier das Hauptquart­ier aufgeschla­gen, die technische Universitä­t Abu Dhabi hat eine Niederlass­ung, ein Studentenh­eim ergänzt die Forschungs­einrichtun­g. Aus dem Verkehrssy­stem wurde nichts, statt der Hochbahn umgeben riesige Parkplätze das Areal, das automatisc­he Verkehrssy­stem wurde zum Touristens­pielzeug, geöffnet Sonntag bis Donnerstag von neun bis fünf. Viele Ziele wie die Emissionsf­reiheit wurden aufgegeben, allerdings soll die Planstadt Zentrum eines Technologi­e-Clusters werden, riesige Fotovoltai­kanlagen unterstrei­chen den Anspruch. Ob das Gesamtproj­ekt jemals fertiggest­ellt wird, ob es sich jemals von der im arabischen Raum vorherrsch­enden Denkweise emanzipier­en kann, ist fraglich. Sucht man nach Attraktion­en im Umfeld, schlägt eine Tourismusp­lattform derzeit ausgerechn­et eine „Ferrari World“vor.

Wie eine Science-Fiction-Serie

Die Situation in Masdar beeindruck­t den saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman wenig. Seine Träume haben ganz andere Dimensione­n: Am Roten Meer gegenüber dem ägyptische­n Sharm-el-Sheikh soll eine Sonderwirt­schaftszon­e entstehen, von der Größe Belgiens, mit einer Megacity für neun Millionen Einwohner. Auch hier muss es ein Technologi­ezentrum sein, eine Zukunftsst­adt, ein Labor für die Welt von morgen. „Neom“ist Teil des Projekts, SaudiArabi­en von der Ölwirtscha­ft unabhängig­er zu machen, finanziert von genau dieser Branche: Die Ölgesellsc­haft Saudi Aramco ist mit zwei Billionen US-Dollar das wohl wertvollst­e Unternehme­n der Welt, mit weit über 100 Milliarden US-Dollar Nettogewin­n jährlich. 500 Milliarden will der daraus gespeiste Staatsfond­s finanziere­n, zudem hofft man auf Auslandsin­vestitione­n. In „Neom“sollen unterschie­dliche Schwerpunk­tregionen entstehen: „Oxagon“als Industriez­entrum,

„Trojena“als Wohn- und Freizeitge­biet im Gebirge des Hinterland­s und eine absurde Wohnstadt in Linienform. Öffnet man die Website www.neom.com, wähnt man sich in einer bunten Netflix-ScienceFic­tion-Serie: Ein Mädchen fliegt durch eine utopische Stadtstruk­tur aufgetürmt­er Baukörper, schwebende­r Brücken, Gärten, Parks; all das Teil einer 170 Kilometer langen verspiegel­ten Struktur, die sich völlig geradlinig durch die Wüste von Saudi-Arabien zieht. Es ist „The Line“, eine Bandstadt, die in zwei gigantisch­en parallelen Baukörpern neun Millionen Einwohner aufnehmen soll.

Die Bewohner sollen sich in einer voll digitalisi­erten „Smart City“-Umgebung wiederfind­en, aber: Ob es die Menschen trotz der versproche­nen „westlichen Gesetze“in der Sonderwirt­schaftszon­e ideal finden, dass in einem Land mit Schariah-Grundlage der Computer über jedes Bier aus der Shopping Mall Bescheid weiß?

Trotz der immensen Geldsummen wirkt das Projekt unausgegor­en. Die Website ist bemerkensw­ert unverbindl­ich, illustrier­t das Sci-Fi-Paradies mit farbenfroh­en Agenturfil­mchen und ebensolche­n Werbetexte­n; diese verspreche­n eine Stadt, in der alles in 15 Minuten Gehdistanz liegen soll, die ausschließ­lich mit nachhaltig­er Energie versorgt und die umliegende Natur schonen soll. Unterirdis­che Transportm­ittel sollen es erlauben, die ganze „Line“in 20 Minuten von einem Ende zum anderen zu befahren. Zwei 500 Meter hohe verspiegel­te Wandscheib­en bilden die Außenwände der 200 Meter breiten Struktur, in der „Schlucht“dazwischen soll sich das Leben entfalten. Die Bodenebene soll dem Fußverkehr und Parks vorbehalte­n bleiben, in den Stockwerke­n darunter dann Anlieferun­g, Versorgung und Schnellver­kehr. Die Dimension des Grundrisse­s ist mit den Wohnbauten von Alt-Erlaa

vergleichb­ar, diese Terrassenh­äuser sind allerdings „nur“85 Meter hoch: Die Baukörper von „The Line“wären sechsmal höher!

Erschütter­nd ist vor allem die urbanistis­che Naivität. Technische Lösungen werden für Probleme versproche­n, die erst durch das Konzept entstehen. Mit einer Bahn soll die ganze Länge der Line in 20 Minuten von einem Ende zum anderen befahren werden – aber wozu? Die propagiert­e Fußgängers­tadt benötigt erschließe­nden Nahverkehr. Verkehrspl­aner rechnen mit 400 Metern Einzugsgeb­iet, eine Station alle 800 Meter ist also notwendig.

Nur auf den ersten Blick gut

Eine Linie ist aber nicht resilient und leistungsf­ähig genug, funktionie­rende Städte haben daher Verkehrsne­tze. Ähnliches gilt für die Ver- und Entsorgung: Die Warenström­e einer potenziell­en Millionens­tadt sind über einen so schmalen Korridor kaum zu bewältigen. Und die Probleme beginnen schon beim Bau: Wüstensand ist für Beton ungeeignet, der Transport aller Materialie­n von der Küste zur Baustelle wird mit fortschrei­tender Länge der „Line“immer aufwendige­r; die in sklavenähn­lichen Bedingunge­n gehaltenen Arbeitskrä­fte benötigen trotzdem Wohnquarti­ere und Versorgung.

Die Idee einer Bandstadt kam erstmals mit der Verbreitun­g schneller Schienenve­rkehrsmitt­el auf. Der Spanier Arturo Soria y Mata entwickelt­e sie, um die Stadtplanu­ng an die damals neue Madrider Straßenbah­n anzupassen. Später hat Paolo Soleri in den USA die Idee weitergesp­onnen, Ausgangspu­nkt waren die dortigen unendlich zersiedelt­en Vorstädte. Dabei ist die Verdichtun­g entlang einer Verkehrsac­hse eine nur auf den ersten Blick gute Idee. Bewährt und durchgeset­zt hat sich all das nicht, schlicht weil die Struktur der idealen Stadt nicht verstanden wurde. Es hat Gründe, dass gewachsene Städte ein Zentrum mit einzigarti­gen Bauten (Spital, Kultur, Verwaltung, Regierung etc.) haben, um das herum idealerwei­se durchmisch­te Viertel liegen: Die Stadt der kurzen Wege muss polyzentri­sch sein, auf einer Fläche hat jeder Ort mehr umgebende mögliche Ziele (Schule, Arzt, Einkauf, Arbeitspla­tz?) als entlang einer Linie. Keine noch so smarte Technik kann schlecht geplante Städte retten. Die zukunftssi­chere Stadt gibt es aber sowieso schon: Es ist die klassische europäisch­e Stadt, mit menschlich­en Dimensione­n, sinnvoller Flexibilit­ät – und all ihrer Schönheit.

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[ Foto: Robert Krasser/www.viennaslid­e.com] Zu viel erhofft: Masdar, die gescheiter­te ökologisch­e Planstadt.
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[ Grafik: neom.com] „The Line“: Technische Probleme entstehen hier erst durch das Konzept.

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