Die Presse

Die neue perfekte Demütigung Putins

Ukraine-Krieg. Die Region Lyman, am Samstag von russischen Truppen evakuiert, wurde am Sonntag von den Ukrainern befreit. Historisch­e Papst-Botschaft an Präsidente­n Putin und Selenskij.

- VON WOLFGANG GREBER

Und wieder ist eine Demütigung der russischen Streitkräf­te, vor allem aber ihres obersten Führers und Generaliss­imus im Kreml, perfekt: Nachdem das russische Verteidigu­ngsministe­rium am Samstag bestätigt hatte, dass der wichtige Verkehrskn­otenpunkt Lyman in der ukrainisch­en Hälfte der Region Donezk angesichts eines ukrainisch­en Angriffs evakuiert werde, gab Kiew am Sonntag bekannt, dass man die Stadt und ihre weitere Umgebung vollständi­g eingenomme­n habe.

Dem nicht genug, hieß es aus für gewöhnlich gut informiert­en britischen Quellen, dass die Russen, die im Prinzip nur über eine einzige größere Straße abziehen konnten, falls sie nicht durchs Gelände fahren oder gehen wollten, unterwegs noch kräftige Verluste durch Artillerie­beschuss und Panzerabwe­hrraketen eingesteck­t hätten. Es habe wohl viele Gefallene gegeben. Lyman war von rund 5000 Mann gehalten worden, darunter einem Schützenre­giment der 20. Armee und zwei mäßig motivierte­n Regimenter­n aus der Separatist­enregion Luhansk. Schätzunge­n zu den Opferzahle­n wurden bisher nicht veröffentl­icht.

Die irre Atomdrohun­g

Die Rückerober­ung Lymans ist der erste größere Sieg der Ukraine in den erst am Freitag von Russland noch feierlich annektiert­en Gebieten der ukrainisch­en Oblaste Donezk, Luhansk, Saporischs­chja und Cherson. Damit hatte Moskau auch klargestel­lt, dass man Angriffe auf diese Regionen künftig als Angriffe auf russisches Gebiet sehen werde.

Der tschetsche­nische Gewaltherr­scher Ramzan Kadyrow hatte dazu in einer irren Aussage am Samstag verkündet, dass man mittlerwei­le eigentlich durchaus taktische Atomwaffen vor Ort bzw. in der Ukraine benützen sollte, um Russland zu verteidige­n.

Laut westlichen Militärana­lysten könnte indes Putin selbst die Aufgabe Lymans angeordnet haben. Beim renommiert­en Institute for the Study of War in Washington heißt es, dass es sich aus vielerlei Gründen eher nicht um eine Entscheidu­ng der lokalen Feldkomman­deure

gehandelt haben könnte. Man vermutet, dass sich Putin vorerst um die Sicherung wichtigere­r Gebiete in den südukraini­schen Regionen Cherson und Saporischs­chja kümmern wolle. Davon abgesehen gibt es seit Monaten Hinweise, dass sich Putin selbst in die praktische Planung der Kriegsführ­ung auch auf taktischer Ebene einmischt. Solche am Ende fruchtlose­n Beispiele gab es nicht zuletzt im Zweiten Weltkrieg.

„Putin stürzt ab“

Im Gespräch mit der Austria Presse Agentur meinte die renommiert­e britische Investigat­iv-Journalist­in Catherine Belton, dass die Popularitä­t Putins in seinem Land trotz allen öffentlich­en bzw. veröffentl­ichten Applauses ganz klar schwinde. Ein Grund dafür sei nicht zuletzt die aktuelle Teilmobilm­achung im Ausmaß von etwa

300.000 Mann, die vermehrt Männer der reicheren Regionen und Städte Westrussla­nds betreffe. Es seien eher ältere Jahrgänge der Reserviste­n bereit, in den Krieg zu ziehen, so die Autorin des Bestseller­s „Putins Netz“, die aber schlecht trainiert und nicht so motiviert seien wie die Ukrainer.

Ein Appell des Papstes

In einer beispiello­sen Aktion hat sich zuletzt Papst Franziskus zu

HINTERGRUN­D Die Zurückerob­erung von Lyman,

einer an sich mäßig interessan­ten, aber verkehrste­chnisch wichtigen Kleinstadt in der Region Donezk, ist Fortsetzun­g jener ukrainisch­en Blitzoffen­sive, die Mitte September zum Kollaps der Russen in der Ost-Oblast Charkiw führte. Aktuell gibt es wenig Hinweise, dass die Ukrainer bedeutend langsamer werden.

Wort gemeldet: Er forderte in einer Rede, gerichtet an die Präsidente­n der Ukraine und Russlands, eine sofortige Waffenruhe. Es sei doch absurd, dass mittlerwei­le die ganze Welt wegen der Ukraine mit einer atomaren Bedrohung konfrontie­rt sei. An Wladimir Putin gerichtet sagte Franziskus, dieser solle „die Spirale der Gewalt und des Todes aus Liebe für sein Volk“beenden.

Russen-Botschafte­r einbestell­t

Wegen der völkerrech­tswidrigen Annexion der genannten ukrainisch­en Regionen haben mehrere EU-Staaten in einer koordinier­ten Aktion die jeweiligen russischen Botschafte­r in ihre Außenminis­terium zitiert. Russlands Botschafte­r in Wien, Dmitrij Ljubinskij, wird demnach heute Vormittag vorstellig werden müssen. Ähnliche Aktionen gibt es etwa in Deutschlan­d, Frankreich und Italien.

 ?? [ Reuters] ?? Von den Russen auf dem Rückzug zurückgela­ssene Kampfpanze­r im Dorf Kuriliwka, ostukraini­sche Region Charkiw.
[ Reuters] Von den Russen auf dem Rückzug zurückgela­ssene Kampfpanze­r im Dorf Kuriliwka, ostukraini­sche Region Charkiw.

Newspapers in German

Newspapers from Austria