Die neue perfekte Demütigung Putins
Ukraine-Krieg. Die Region Lyman, am Samstag von russischen Truppen evakuiert, wurde am Sonntag von den Ukrainern befreit. Historische Papst-Botschaft an Präsidenten Putin und Selenskij.
Und wieder ist eine Demütigung der russischen Streitkräfte, vor allem aber ihres obersten Führers und Generalissimus im Kreml, perfekt: Nachdem das russische Verteidigungsministerium am Samstag bestätigt hatte, dass der wichtige Verkehrsknotenpunkt Lyman in der ukrainischen Hälfte der Region Donezk angesichts eines ukrainischen Angriffs evakuiert werde, gab Kiew am Sonntag bekannt, dass man die Stadt und ihre weitere Umgebung vollständig eingenommen habe.
Dem nicht genug, hieß es aus für gewöhnlich gut informierten britischen Quellen, dass die Russen, die im Prinzip nur über eine einzige größere Straße abziehen konnten, falls sie nicht durchs Gelände fahren oder gehen wollten, unterwegs noch kräftige Verluste durch Artilleriebeschuss und Panzerabwehrraketen eingesteckt hätten. Es habe wohl viele Gefallene gegeben. Lyman war von rund 5000 Mann gehalten worden, darunter einem Schützenregiment der 20. Armee und zwei mäßig motivierten Regimentern aus der Separatistenregion Luhansk. Schätzungen zu den Opferzahlen wurden bisher nicht veröffentlicht.
Die irre Atomdrohung
Die Rückeroberung Lymans ist der erste größere Sieg der Ukraine in den erst am Freitag von Russland noch feierlich annektierten Gebieten der ukrainischen Oblaste Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson. Damit hatte Moskau auch klargestellt, dass man Angriffe auf diese Regionen künftig als Angriffe auf russisches Gebiet sehen werde.
Der tschetschenische Gewaltherrscher Ramzan Kadyrow hatte dazu in einer irren Aussage am Samstag verkündet, dass man mittlerweile eigentlich durchaus taktische Atomwaffen vor Ort bzw. in der Ukraine benützen sollte, um Russland zu verteidigen.
Laut westlichen Militäranalysten könnte indes Putin selbst die Aufgabe Lymans angeordnet haben. Beim renommierten Institute for the Study of War in Washington heißt es, dass es sich aus vielerlei Gründen eher nicht um eine Entscheidung der lokalen Feldkommandeure
gehandelt haben könnte. Man vermutet, dass sich Putin vorerst um die Sicherung wichtigerer Gebiete in den südukrainischen Regionen Cherson und Saporischschja kümmern wolle. Davon abgesehen gibt es seit Monaten Hinweise, dass sich Putin selbst in die praktische Planung der Kriegsführung auch auf taktischer Ebene einmischt. Solche am Ende fruchtlosen Beispiele gab es nicht zuletzt im Zweiten Weltkrieg.
„Putin stürzt ab“
Im Gespräch mit der Austria Presse Agentur meinte die renommierte britische Investigativ-Journalistin Catherine Belton, dass die Popularität Putins in seinem Land trotz allen öffentlichen bzw. veröffentlichten Applauses ganz klar schwinde. Ein Grund dafür sei nicht zuletzt die aktuelle Teilmobilmachung im Ausmaß von etwa
300.000 Mann, die vermehrt Männer der reicheren Regionen und Städte Westrusslands betreffe. Es seien eher ältere Jahrgänge der Reservisten bereit, in den Krieg zu ziehen, so die Autorin des Bestsellers „Putins Netz“, die aber schlecht trainiert und nicht so motiviert seien wie die Ukrainer.
Ein Appell des Papstes
In einer beispiellosen Aktion hat sich zuletzt Papst Franziskus zu
HINTERGRUND Die Zurückeroberung von Lyman,
einer an sich mäßig interessanten, aber verkehrstechnisch wichtigen Kleinstadt in der Region Donezk, ist Fortsetzung jener ukrainischen Blitzoffensive, die Mitte September zum Kollaps der Russen in der Ost-Oblast Charkiw führte. Aktuell gibt es wenig Hinweise, dass die Ukrainer bedeutend langsamer werden.
Wort gemeldet: Er forderte in einer Rede, gerichtet an die Präsidenten der Ukraine und Russlands, eine sofortige Waffenruhe. Es sei doch absurd, dass mittlerweile die ganze Welt wegen der Ukraine mit einer atomaren Bedrohung konfrontiert sei. An Wladimir Putin gerichtet sagte Franziskus, dieser solle „die Spirale der Gewalt und des Todes aus Liebe für sein Volk“beenden.
Russen-Botschafter einbestellt
Wegen der völkerrechtswidrigen Annexion der genannten ukrainischen Regionen haben mehrere EU-Staaten in einer koordinierten Aktion die jeweiligen russischen Botschafter in ihre Außenministerium zitiert. Russlands Botschafter in Wien, Dmitrij Ljubinskij, wird demnach heute Vormittag vorstellig werden müssen. Ähnliche Aktionen gibt es etwa in Deutschland, Frankreich und Italien.