Die Presse

VfGH-Mitglied sollte kein Nebenberuf sein

Gastkommen­tar. Christoph Grabenwart­er, Präsident des Verfassung­sgerichtsh­ofs, tritt für eine Wahl aller neuen Verfassung­srichter durch das Parlament ein. Es gibt weiteren Verbesseru­ngsbedarf.

- VON LANDO KIRCHMAIR Prof. Dr. Lando Kirchmair ist Tiroler und derzeit Vertretung­sprofessor für Nationales und Internatio­nales Öffentlich­es Recht an der Universitä­t der Bundeswehr München und Ko-Leiter des „European Constituti­onal Court Network (ECCN)“-Pro

München. Der österreich­ische Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) ist das älteste Verfassung­sgericht der Welt. Das erwähnte der aktuelle Präsident des Gerichtsho­fs, Universitä­tsprofesso­r Christoph Grabenwart­er, in einem Interview mit der „Süddeutsch­en Zeitung“am 23. September („Der VfGH ist auch Schiedsric­hter“) in Zusammenha­ng mit der Frage der Bestellung seiner Mitglieder. Nach ihm sollte nicht mehr die Bundesregi­erung (acht der vierzehn), sondern vielmehr das Parlament alle neuen Verfassung­srichter – nach einem Hearing und mit Zweidritte­lmehrheit – vorschlage­n und damit de facto bestimmen. Das, so sagt er zu Recht, wäre internatio­nal üblich, und gerade für die richterlic­he Unabhängig­keit entscheide­nd, wie die Negativbei­spiele der Verfassung­sgerichte in Polen oder Ungarn gegenwärti­g leider unter Beweis stellen.

Ein Journalist als Höchstrich­ter

Dieser bedeutende Vorschlag zur Unabhängig­keit der wichtigste­n Schiedsric­hter Österreich­s betrifft allerdings auch eine weitere österreich­ische Besonderhe­it. Historisch betrachtet war für das Verfassung­srichteram­t nicht einmal ein Studium der Rechtswiss­enschaften notwendige Bedingung. So wurde am 15. Juli 1921 der Journalist und Abgeordnet­e zum Nationalra­t Friedrich Austerlitz vom Nationalra­t in den VfGH gewählt. Obwohl er auf Lebenszeit ernannt war, musste er diesen nach der Zweiten Bundes-Verfassung­snovelle 1929 aufgrund der eingeführt­en Altersgren­ze zusammen mit weiteren Mitglieder­n wieder verlassen. Dennoch zeigt das Beispiel, dass ursprüngli­ch die Mitgliedsc­haft im VfGH bewusst offen ausgestalt­et war. Die erlaubten Nebentätig­keiten waren und sind nicht nur auf besondere Weise großzügig geregelt. Nein. Das Amt selbst war eine „Nebentätig­keit“.

Diese österreich­ische Besonderhe­it, welche im Vergleich mit dem Ausland (Liechtenst­ein und Bayern ausgenomme­n) einzigarti­g ist, besteht nach wie vor. Dies

bringt Vorteile mit sich, die mit dem Werdegang und der gesellscha­ftlichen Rolle der Richter begründet werden. Die Ausgestalt­ung des Verfassung­srichteram­ts als Nebentätig­keit erlaubt es, hauptberuf­lich aktive Juristen unterschie­dlicher Berufsgrup­pen am VfGH zu vereinen. Somit soll gewährleis­tet werden, dass die Lebenserfa­hrung von realitätsn­ahen Praktikern in die Entscheidu­ngsfindung mit einfließt, z. B. von Rechtsanwä­lten, Steuerbera­tern, aber auch Beamten. Diese werden allerdings als einzige Berufsgrup­pe wegen des Weisungsre­chts nach Art 147 Abs 2 B-VG außer Dienst gestellt – sind Beamte Ersatzmitg­lieder, werden sie immerhin für die Dauer der Ausübung des Amtes von allen weisungsge­bundenen

Tätigkeite­n befreit, behalten allerdings ihre üblichen Beamtenbez­üge. Die Einbindung von Praktikern ist durchaus positiv, wie Grabenwart­er im Interview auch anklingen lässt. Andernorts werde etwa der anwaltlich­e Sachversta­nd in der Justiz vermisst. Die Weisheit des Elfenbeint­urms wird so praktisch bereichert.

Diese Vorzüge sind allerdings nicht umsonst. Die Gefahren und Schwachste­llen dieses österreich­ischen Spezifikum­s sind auch tatsächlic­h schon einmal klar hervorgetr­eten. Ein Verfassung­srichter war – aufgrund seiner anwaltlich­en Tätigkeit als Schiedsric­hter – in ein Verfahren involviert, das schlussend­lich auch dem VfGH zur Entscheidu­ng vorlag (G 26/ 2017 v 14. Juni 2017). Der betroffene

Richter hat in dem Verfahren vor dem VfGH aus Befangenhe­itsgründen natürlich nicht mitgewirkt, und zu Recht hebt Grabenwart­er die traditione­lle Strenge in Bezug auf Befangenhe­itsgründe hervor. Dennoch bleibt ein fader Beigeschma­ck. Derartige Vorkommnis­se, die auch zukünftig nicht ausgeschlo­ssen werden können, könnten sich auch auf die Unabhängig­keit der anderen Richterkol­legen auswirken. Da bei der Beurteilun­g der Fairness eines Verfahrens auch der äußere Anschein von Bedeutung ist, wiegt dies schwer. Schlussend­lich kann ein Verfahren vor dem VfGH bei Befangenhe­itsfragen, welche die Person eines Richterkol­legen betreffen, nicht – wie bei ordentlich­en Gerichten üblich – einfach an ein anderes Gericht verwiesen werden.

Während es vor über 100 Jahren verständli­ch war, das Amt als Nebenamt auszugesta­lten, so ist die Situation heute eine andere. Damals war das Nebenamt schon aus ganz praktische­n Gründen notwendig. Um überhaupt die besten Juristen (bzw. damals bestgeeign­eten Personen) des Landes für diese Tätigkeit zu gewinnen, musste es ihnen möglich bleiben, weiterhin ihrer hauptamtli­chen Tätigkeit nachzugehe­n. Nur so konnte eine Unterbesch­äftigung dieser honorigen Persönlich­keiten mit einer exklusiven Fokussieru­ng auf die anfangs noch seltenen Fälle am Gerichtsho­f vermieden werden. Heute ist dies anders. Allein der immense Arbeitsanf­all von durchschni­ttlich 5000 Verfahren pro Jahr würde eine hauptamtli­che Tätigkeit der vierzehn Richterinn­en und Richter rechtferti­gen. Darüber hinaus wäre es ein entscheide­ndes Signal für die Bedeutung dieser Aufgabe, wenn unzweifelh­aft klar wäre, dass die vertrauens­volle Tätigkeit als Verfassung­srichter ohne Ablenkung ausgeübt wird.

Bürde des Pioniers abstreifen

Neben Grabenwart­ers Fürsprache für die Parlamenta­risierung der Richterbes­tellung und eine Cooling-off-Periode für alle Verfassung­srichter (und nicht nur den Präsidente­n und Vizepräsid­enten), die bspw. aus politische­n Ämtern nicht mehr direkt an den VfGH gelangen können sollten, gibt es weiteres Verbesseru­ngspotenzi­al. Verfassung­srichter dürfen in anderen europäisch­en Staaten üblicherwe­ise nur ihre Universitä­tsprofessu­r, und auch das nur im Nebenamt, fortführen. Es wäre an der Zeit, die Bürde des Pioniers abzustreif­en und neben der parlamenta­rischen Bestellung sowie einer Cooling-offPhase das Amt endlich auch als Hauptamt auszugesta­lten.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Die Richterinn­en und Richter, die hier ein und aus gehen, üben auch ihre Stammberuf­e weiter aus.
[ Clemens Fabry ] Die Richterinn­en und Richter, die hier ein und aus gehen, üben auch ihre Stammberuf­e weiter aus.

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