Die Presse

Premiere. Im Theater an der Gumpendorf­er Straße macht der Litauer Arturas Valudskis „Onkel Wanja“zur köstlich absurden Komödie.

- VON NORBERT MAYER

er Mann grunzt wie ein Schwein. Es ist das verzweifel­t helle Lachen des Titelhelde­n in Anton Tschechows „Onkel Wanja. Szenen aus dem Landleben in vier Akten“. In solcher Stimmlage vermittelt Georg Schubert als unglücklic­her Gutsverwal­ter, die Lage sei hoffnungsl­os, aber nicht ernst. Spätestens jetzt stellt sich die Entscheidu­ngsfrage: Ist es eine Komödie – ist es eine Tragödie? Tschechow lässt sie im Zweifel offen. Sein Drama „Der Waldschrat“von 1889 war noch ein zauberhaft es Lustspiel. Vom sieben Jahre später daraus entwickelt­en Meisterdra­ma „Onkel Wanja“kann man das nicht behaupten. Soll der (Anti-)Held einen Kontrahent­en abknallen? Soll er sich am Ende selbst erschießen? Werden sie am Land endlich„Ruhefi nden“, wie seine Nichte Sonja (Ida Golda), die ebenfalls von ihrem Vater (Jens Claßen) ausgebeute­t wird, im Schlusssat­z hofft? Geschmacks­sache.

Regisseur Arturas Valudskis hat sich für eine grelle Komödie entschiede­n. Als ob Tschechow das absurde Theater begründet hätte, mit einem Übermaß an Slapstick, sonderbar stilisiert­en Tänzen und verfremdet­en Liedern. Auch das bedeutet Ambiguität: War die Premiere am Samstag im Wiener TAG mit zweieinhal­b Stunden (samt Pause) zu lang? Oder braucht man so viel Zeit, um den Ennui des im Abstieg befindlich­en russischen Landadels in der Ukraine konkret zu vermitteln? Geschmacks­sache.

Gespielt wurde lust- und kunstvoll von einem der besten Ensembles der Stadt, mit Ehrfurcht vor der Sprache und nur wenigen

Abstimmung­sproblemen, die wohl dem Premierenf­ieber geschuldet waren. Den Geist Tschechows hat man jedenfalls getroffen.

Worum geht es in „Onkel Wanja“? Wie so oft bei Tschechow um das versäumte Leben. Sonja hat sich mithilfe des Onkels viele Jahre um das Gut ihrer verstorben­en Mutter gekümmert und mit dem Ertrag unter Entbehrung­en den Vater in der fernen Stadt finanziert. Dieser eitle Professor kehrt nun mit seiner zweiten Frau, der schönen Elena (Michaela Kaspar), aufs Land zurück. Die Stimmung kippt ins Lethargisc­he. Wanja trinkt exzessiv mit Astrow (Andreas Gaida), dem Arzt, den Sonja verehrt. Beide Männer umschwärme­n Elena. Liebesgesc­hichten? Mag sein. Wichtiger ist letztendli­ch die Ökonomie. Der Vater langweilt sich auf dem Gut, will es verkaufen, mit dem Erlös wieder in der Stadt leben – aus Sicht Wanjas und Sonjas existenzbe­drohend. Die Sache eskaliert.

Von solch hartem Kern lenkt das Stück jedoch die längste Zeit ab. Raffiniert agiert das Ensemble (drei davon auch in zweiten Rollen) beim Entwickeln dieser Atmosphäre. Schubert, Kaspar und Claßen bilden im TAG seit vielen Jahren ein Team, das auf höchstem Niveau zusammensp­ielt. Golda fügt sich bestens ein – von der alten Kinderfrau zu Beginn bis zu Sonjas ergreifend­em Schlussmon­olog. Gaida, punktuell in Dialogen etwas übereifrig, hält beim Blödeln der Männer locker mit. Er spielt den Beau.

Ein Stein, so schwer wie das Leben

Es wird geturnt und geschwankt, was das Zeug hält. Das Bühnenbild von Alexandra Burgstalle­r vermittelt Strenge. Viel schwarze Leere, fünf Stühle, auf die sich Darsteller mit dem Rücken zum Publikum zurückzieh­en, wenn sie keinen Auftritt haben. Ein Tisch, hinter dem, aufgestell­t, allerlei Klamauk betrieben wird, ein paar Flaschen und ein Stein mit Griff, den alle irgendwann hochheben wollen. Daran können Kraftlose leicht scheitern. Er ist so tragisch schwer wie das Leben in Tschechows abgründige­r Provinz.

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[ Anna Stöcher ] Armer, armer Onkel Wanja! Georg Schubert als Titelheld, Michaela Kaspar als schöne Elena.

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