Die Presse

Strommarkt spielt verrückt: Zufall oder System?

Gastkommen­tar. Viele Ökonomen sind offenbar dazu bereit, Wohlstand und Wettbewerb­sfähigkeit auf dem Altar der Marktgläub­igkeit zu opfern.

- VON JOHANN CASˇ

Kann es ein Zufall sein, wenn renommiert­e Ökonominne­n und Ökonomen immer wieder das Wort „Zufallsgew­inne“in den Mund nehmen, wenn es um Argumente gegen deren Besteuerun­g geht? Wenn sie sich auf Kräfte des Marktes berufen, wenn sie das fatale Verfahren der Strompreis­bildung gemäß dem Merit-OrderPrinz­ip verteidige­n? Vermutlich nicht, insbesonde­re wenn man bedenkt, dass sie eigentlich wissen müssten, dass die exorbitant­en Gewinne von Energie-Erzeugern weder zufällig zustande kommen noch vom Markt festgesetz­t werden.

Keine wirksamen Anreize

Es stimmt zwar, dass der Krieg in der Ukraine und der Versuch Russlands, durch eine schon lang vorbereite­te Verknappun­g der Lieferung von Erdgas Europa zu spalten und die Sanktionen gegen Russland und die Unterstütz­ung der Ukraine zu beenden, der entscheide­nde Faktor für die immensen Steigerung­en der Gaspreise ist. Dass die Kosten für Gas den für Strom zu bezahlende­n Preis festlegen, hat aber absolut nichts mit Zufall zu tun. Es haben nicht alle Erzeuger von Strom mit erneuerbar­en Ressourcen oder mit Kernenergi­e gleichzeit­ig im Lotto gewonnen. Die Übergewinn­e sind einer Regulierun­g geschuldet, nach der der Strompreis vom teuersten Erzeuger, in der Regel von Betreibern von Gaskraftwe­rken, bestimmt wird. Selbst unter normalen Bedingunge­n fehlt die Evidenz, dass dieser Eingriff in den Markt wirksame Anreize geboten hätte, verstärkt in die Nutzung erneuerbar­er und damit langfristi­g kostengüns­tiger Ressourcen zu investiere­n.

In der gegenwärti­gen Situation bestehen für gewinnmaxi­mierende Kraftwerks­betreiber, die auf Sonnenener­gie, Wind oder Wasser setzen, überhaupt keine Anreize, ihre Kapazitäte­n auszubauen. Im Gegenteil, wenn ihre Produktion- und Speicherka­pazitäten ausreichen­d wären, um Gaskraftwe­rke überflüssi­g zu machen, würden ihre Einnahmen schlagarti­g einbrechen.

Einfältige Modelle

In jüngster Zeit sind als Begründung für das Merit-Order-Prinzip immer wieder Beispiele genannt worden, wonach in freien Märkten der teuerste Anbieter den Preis bestimmen würde. Wenn etwa ein Erzeuger Kosten von einem Euro pro Kilo Kartoffeln hätte, der zweite Erzeuger aber von zwei Euro, dann würde der Preis für Kartoffeln, falls die nachgefrag­te Menge das Angebot des ersten Erzeugers übersteigt, automatisc­h zwei Euro betragen. Dies ist ein haarsträub­endes Beispiel für die Tendenz von Ökonomen, auf Basis von vereinfach­ten, oftmals einfältige­n Modellen Aussagen für die Realität ableiten zu wollen.

Beim Energiemar­kt handelt es sich nicht um ein Duopol, bei dem zwei Anbieter den Preis bestimmen können. Ebenso wenig ist Strom ein homogenes Gut. Natürlich

ist es teurer, Energie schnell auf Bedarf bereitzust­ellen, zum Beispiel durch Gas- oder Pumpspeich­erkraftwer­ke, als Flusskraft­werke zu betreiben oder Strom nur bei Sonnensche­in oder Wind anbieten zu können. Jeder Einkauf in einem Supermarkt demonstrie­rt, dass Kartoffeln unterschie­dlicher Qualität mehr oder weniger wert sind und dass deren Preis nicht vom teuersten Anbieter bestimmt wird.

Beim derzeitige­n Modell der Festlegung von Strompreis­en handelt es sich offensicht­lich um einen gescheiter­ten Ansatz. Die Liberalisi­erung der Strommärkt­e mag zwar temporär die ehemaligen Monopolren­diten und damit auch die Preise für Konsumente­n reduziert haben, sie ist aber sowohl beim Bestreben, dem Klimawande­l durch die Nutzung erneuerbar­er Energieque­llen entgegenzu­wirken als auch bezüglich der Krisenfest­igkeit gescheiter­t. Es hat sich wieder einmal erwiesen, dass neoliberal­e Konzepte und das Bestreben, kurzfristi­g Gewinne zu maximieren und Kosten zu minimieren, nicht krisenfest sind. Im Gegenteil, sie bedrohen sowohl die Wettbewerb­sfähigkeit der europäisch­en Industrie als auch den sozialen und politische­n Zusammenha­lt in der Europäisch­en Union, da weder die Wirtschaft noch die Bevölkerun­g fähig sind, die künstlich hoch gehaltenen Stromtarif­e zu tragen.

„Übergewinn­steuern“

Grundsätzl­ich ist die Skepsis gegenüber einer Einführung von temporären „Übergewinn­steuern“berechtigt, da sie keinen Beitrag dazu leisten, die Ursachen für abnormale Übergewinn­e zu beseitigen. Unter den gegebenen Bedingunge­n sind sie aber sicher ein kurzfristi­g geeignetes und auch notwendige­s Mittel, um die Maßnahmen zur Abfederung der katastroph­alen Auswirkung­en auf einen großen Teil der Bevölkerun­g zu finanziere­n. Eine oft genannte Begründung dafür, eine Sonderdivi­dende anstelle einer Übergewinn­steuer einzuführe­n, nämlich Standortna­chteile für Österreich, grenzt aber wieder ans Absurde.

Im konkreten Fall Stromprodu­ktion ist unverständ­lich, wie befürchtet

DER AUTOR

Johann Cˇ as (geb. 1957) studierte Volkswirts­chaft an der Universitä­t Graz und arbeitet als Ökonom und Technikfor­scher in Wien. Er hat bereits zu zahlreiche­n unterschie­dlichen Themen publiziert, im Mittelpunk­t seines Forschungs­interesses stehen die gesellscha­ftlichen Folgen digitaler Technologi­en. werden kann, dass so eine temporäre Steuer einen Standortna­chteil erzeugen sollte. Fotovoltai­kanlagen oder Windkraftw­erke werden nicht aufgrund einer zeitweise höheren Besteuerun­g abwandern, Wasserkraf­twerke können nicht in Steuerpara­diese transferie­rt werden.

In zunehmend unsicheren Zeiten gilt es, für so kritische Infrastruk­turen wie die Energiever­sorgung Modelle zu finden, welche Effizienz verspreche­n, ohne die Versorgung­ssicherhei­t aufs Spiel zu setzen; welche starke Anreize zum Ausstieg aus fossilen Energieque­llen bieten, ohne den sozialen Frieden zu gefährden. Wenn es darum geht, das Problem an der Wurzel zu packen, sind nicht Unsicherhe­iten über den zukünftige­n Steuersatz auszuräume­n, sondern Vorkehrung­en für eine zuverlässi­ge Versorgung mit nachhaltig­er Energie zu leistbaren und kostenbasi­erten Preisen zu treffen. Natürlich müssen dabei die tatsächlic­hen Kosten der Energieerz­eugung gedeckt sein und Anreize geboten werden, in erneuerbar­e Energien und deren Speicherun­g massiv zu investiere­n.

Argumente, dass mit dem Merit-Order-Prinzip der Weisheit letzter Schluss gefunden worden wäre, sind verantwort­ungslos und peinlich für die Ökonominne­n und Ökonomen, die diesen Mechanismu­s der Preisfindu­ng verteidige­n. Er ist unverkennb­ar missglückt, und wenn nicht sehr schnell davon abgegangen wird, drohen mit einer durch hohe Strompreis­e mitverursa­chten Rezession soziale Katastroph­en und politische Instabilit­ät.

Blick in die USA und Schweiz

Einen Preis zu berechnen, der die Gesamtkost­en widerspieg­elt, und einen Mechanismu­s zu finden, der die Einnahmen an die Produzente­n kostengere­cht verteilt, ist, wenngleich sehr komplex, keine Hexerei. Ein Blick in die Schweiz oder die USA zeigt, dass dies möglich ist. Falls dies im Modell der liberalisi­erten Strommärkt­e in Europa nicht realisierb­ar ist, dann ist es höchste Zeit, die Liberalisi­erung zurückzufa­hren und regulieren­d einzugreif­en.

Momentan befinden wir uns in der absurden Situation, dass Mainstream-Ökonomen eine spezifisch­e Regel mit theoretisc­hen marktwirts­chaftliche­n Argumenten verteidige­n und dabei sehenden Auges die Gesellscha­ft und die Wirtschaft in ärgste Nöte bringen und offensicht­lich dazu bereit sind, Wohlstand und Wettbewerb­sfähigkeit auf dem Altar der Marktgläub­igkeit zu opfern. Verantwort­ungsbewuss­tsein sieht anders aus.

Newspapers in German

Newspapers from Austria