Ständig danken müssen für Selbstverständliches
„Der Körper ohne seinen Rollstuhl“, Kunstlicht v. Almuth Spiegler, 29. 9. Danke für diesen Beitrag und dem Künstler für seine Aktion. Endlich jemand, der aufzeigt, und zwar auf eine provokante, für Betrachter sicherlich auch beschämende Art! Vielleicht denkt der eine oder andere endlich einmal über das Thema Barrierefreiheit, besser beschrieben mit design for all, nach.
Wir Rollstuhlfahrer sind auf Barrierefreiheit angewiesen. Ich bin es leid, ständig bitten und danken zu müssen für Selbstverständlichkeiten. Wir müssen immer freundlich und den „Nichtbehinderten“gegenüber verständnisvoll bleiben, sonst kehren sie sich ganz von uns ab. Wenn der Busfahrer vergisst, mich bei der vereinbarten Station aussteigen zu lassen (von seinem Sitz aufzustehen, den Bus zu verlassen, die Plattform auszuklappen), darf nicht ich mich beschweren, nein! Er schimpft und ärgert sich über diese Arbeit – ich muss ihn noch beschwichtigen, sonst lässt er mich womöglich das nächste Mal gar nicht mehr mitfahren!
Oder: Ich stehe an einer Kreuzung, die Ampel ist rot. Da passiert es immer wieder, dass Fußgänger fragen, ob sie mir über den Zebrastreifen helfen sollen. Ich, Rollstuhlfahrerin, schaue mich zuerst irritiert um, glaube, sie meinen jemand anderen, und erkläre dann ganz freundlich: „Äh – es ist rot?“Im Grunde genommen denke ich mir: Glauben die, jemand hat mich hier abgestellt und sie sind jetzt mein Retter?
Seit über 40 Jahren benutze ich – wenn überhaupt vorhanden – versteckte Hintereingänge, rufe an, um mein Kommen anzukündigen, frage höflich im Restaurant nach, ob es denn auch eine Toilette gibt, die für alle benutzbar ist . . .
Es ist so mühsam; darum wünsche ich dem Künstler Philipp Muerling alles Gute und danke ihm für seinen Mut und seine Kunst!
PS: Für uns ist design for all unerlässlich, um aktiv im Leben zu stehen. Aber es gibt so viele Menschen, die vorübergehend beeinträchtigt oder aufgrund des Alters und seiner Nebenerscheinungen nicht mehr so rüstig sind und z. B. ihre Wohnung im zweiten Stock ohne Lift nicht mehr ohne Hilfe verlassen können, so vereinsamen, noch kränker werden und dann in ein barrierefreies Altenheim übersiedeln müssen. Nur: Die Plätze in Altenheimen werden immer rarer, Pflegepersonal fehlt an allen Ecken und Enden. Also hilft Barrierefreiheit uns allen, ist für uns alle unentbehrlich.
Gabriele Kirchmair, 5020 Innsbruck