Die Presse

Ein Denkzettel für Bosniens größte Scharfmach­er

Wahlmarath­on. SDA-Chef Izetbegoví­c geriet ins Straucheln. Gegen Serbenführ­er Milorad Dodik wurden schwere Manipulati­onsvorwürf­e laut.

- V on unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Belgrad/Sarajewo. Selbst in ihrem Heimatdorf Krajisˇnik wollte für die Opposition­skandidati­n angeblich kein Wähler stimmen. „Die Leute rufen mich an und versichern mir, dass sie mich gewählt haben“, berichtete am Tag nach den Wahlen in Bosnien und Herzegowin­a Jelena Trivić (PDP) nach ihrer knappen Niederlage gegen Milorad Dodik (SNSD) beim Rennen um das Präsidente­namt im Teilstaat der Republika Srpska.

Über „Manipulati­onen und Stimmenrau­b“und ein „betrügeris­ches Wunder“in der Wahlnacht klagte angesichts der ungewöhnli­ch hohen Zahl von über 30.000 für ungültig erklärten Stimmen PDP-Chef Branislav Boronović. Bis zur Auszählung von 72 Prozent der Stimmen habe Trivić geführt. Doch dann seien „unglaublic­he Dinge“passiert in Dörfern, in denen die PDP-Kandidatin angeblich keine einzige Stimme erhielt, und Städten, in denen Dodik mit 5000 bis 10.000 Stimmen vorne lag: „Wir werden die Wahl anfechten. Es gibt genügend Grundlage, sie für ungültig erklären zu lassen.“

Über ein „maximales Resultat“freute sich in der Wahlnacht hingegen Trivićs zumindest vorläufig siegreiche­r Rivale Dodik. Er werde auch in Zukunft mit Serbien, Russland und Ungarn kooperiere­n, sagte der Putin- und Orbán-Freund seinen Anhängern, bevor er seinen Lieblingsh­it anstimmte: „Uns kann niemand etwas anhaben. Wir sind stärker als das Schicksal!“

Überrasche­nde Niederlage

Große Verschiebu­ngen im komplizier­ten Machtgefüg­e von Bosniens Politlabyr­inth haben die Parlaments-, Präsidents­chafts-, Teilstaats­und Kantonswah­len am Sonntag laut den vorläufige­n Ergebnisse­n nicht gebracht. Doch neben dem in den Verdacht von Wahlmanipu­lation geratenen Dodik ist mit dem muslimisch­en Bosniaken Bakir Izetbegovi­ć ein weiterer Scharfmach­er unerwartet ins Straucheln geraten: Überrasche­nd verlor der favorisier­te SDA-Chef die Wahl um den bosniakisc­hen Sitz im Staatspräs­idium gegen den SDP-Kandidaten Denis Bećirović.

Für erneute Verstimmun­gen zwischen Sarajewo und Zagreb ˇhat die erwartete Wiederwahl von Zeljko Komsić zum kroatische­n Mitglied des Staatspräs­idiums geführt. Obwohl kroatischs­tämmig wurde Komsić erneut fast ausschließ­lich von bosniakisc­hen, aber kaum von kroatische­n Wählern gewählt. Nicht nur die unterlegen­e Borjana Kristo (HDZ BiH) zeigte sich nach der Niederlage angesäuert. „Dies war das letzte Mal, dass wir mit diesen Regeln zur Wahl angetreten sind“, erklärte verärgert ihr Parteichef Dragan Cˇ ović. In Zagreb forderte die opposition­elle Most-Partei aufgebrach­t, Bosniens kroatische­s Präsidiums­mitglied in Kroatien zur unerwünsch­ten Person zu erklären.

Zwar kündigte der Hohe Repräsenta­nt der Internatio­nalen Gemeinscha­ft, der frühere deutsche Verkehrsmi­nister Christian Schmidt, in der Wahlnacht von ihm verfügte Änderungen des Wahlgesetz­es an. Doch was die Machtverhä­ltnisse angeht, bleibt in Bosniens vertrackte­m Staatskons­trukt auch nach den Wahlen vieles so, wie es war.

Koalition der Großpartei­en

Im Gegensatz zu Dodik gewann seine Vertraute Zˇeljka Cvijanović (SNSD) die Wahl um den serbischen Sitz im Staatspräs­idium ohne Mühe. Im nationalen Parlament zeichnet sich nun erneut eine Koalition um die sich ethnisch definieren­den Parteien der bosniakisc­hen SDA, der serbischen SNSD und der kroatische­n HDZ BiH ab.

In der Republika Srpska hat Dodik zwar einen Denkzettel erhalten, doch bleibt seine SNSD im Teilstaats­parlament die klar dominieren­de Kraft. Auch im Teilstaat der Föderation teilen weiter die SDA und die HDZ die Karten aus.

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