Ohne Sparen droht dunkler Winter
Analyse. Wie auch immer die EU die Gaspreise durch Markteingriffe zu zügeln gedenkt: ohne starke Verbrauchssenkung werden sie verpuffen. Derzeit sieht es da nicht gut aus.
Brüssel. Spanien und Portugal machten es vor – zieht der Rest der EU nach? Die beiden iberischen Staaten führten vor Beginn des Sommers ein Modell zur Bändigung der Strompreise ein, das vereinfacht gesagt den Gaspreis für die Verstromung staatlich subventioniert. Die spanischen und portugiesischen Privat- und Großkunden sind somit fürs Erste vor den Kapriolen der internationalen Gasmärkte relativ behütet (über die Auswirkungen auf die Budgets der beiden Staaten wird später zu berichten sein).
Die Kehrseite der Medaille: Während die Union sich im Juli verpflichtet hat, bis Ende März 15 Prozent ihres Gasverbrauchs im Vergleich zum Durchschnitt der fünf Jahre zuvor einzusparen, stieg der Verbrauch in Spanien im Juni und im Juli (siehe Grafik). Auch in mehreren anderen Mitgliedstaaten ist man weit vom 15-Prozent-Ziel entfernt: und das vor Beginn der Heizsaison, die im Falle eines strengen Winters die Bereitschaft der privaten Haushalte, weniger Gas zu verbrauchen als bisher, stark verkleinern wird.
Ohne im Voraus geplante Einsparungen wird es sehr schwer für die Europäer werden, ohne zwangsweise Rationierungen durch diesen Winter zu kommen. Das sagt die Europäische Kommission, das sagt der tschechische Ratsvorsitz, das sagen Experten. Auch lokale Politiker wagen sich immer öfter vor, ihren Wählern die schwer verdauliche Wahrheit zuzumuten: „Mir macht Sorgen, wie stark bei den privaten Haushalten gerade der Gasverbrauch angestiegen ist“, sagte der Präsident des deutschen Städtetages, Markus Lewe von der CDU, in einem Interview mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Wir alle müssen uns noch mehr einschränken – überall da, wo wir Energie verbrauchen. Und es sind die kleinen Dinge, die im Großen viel bewirken können: Auf Komfort zu verzichten, vor allem beim Heizen, ist viel wert.“
Bisher spart nur die Industrie
Denn bisher reagiert nur Europas Industrie auf die Preissignale, sprich: reduziert ihren Gasverbrauch, weil der Rohstoff zu teuer wird, um kaufmännisch verantwortungsvoll weiterhin Zement, Glas, Stahl, Düngemittel oder andere energieintensive Produkte zu fertigen. Schon im Juli sank die gesamte industrielle Produktion in der Eurzone um 2,3 Prozent. Doch je mehr Energie und vor allem Gas Sparten benötigen, desto mehr ihrer Unternehmen sperren (vorläufig) zu: Die deutsche Stahlproduktion ging seit Beginn der aktuellen Energiekrise um fünf Prozent zurück, jene der Chemieindustrie um acht Prozent, und jene der Düngemittelhersteller um 70 Prozent, hält die französische Zeitung „Le Monde“am Montag fest.
Die bisherigen Beschlüsse der EU zum Gassparen lassen auf ihre Wirkung warten. Im Juni und Juli sank EU-weit der Gasverbrauch nur um 7,6 beziehungsweise 10,7 Prozent. Und wie gesagt: das lag fast durchwegs an den Unternehmen. Das derzeit noch freiwillig zu erreichende 15-ProzentZiel soll für die Mitgliedstaaten dann verpflichtend werden, wenn fünf von ihnen (oder die Kommission) einen Notstand ausrufen. Das ist bisher noch nicht geschehen, und es ist fraglich, was es bewirken soll, wenn der Notstand beispielsweise angesichts einer Polarfront im Jänner ausgerufen wird. Beim Stromsparen einigten sich die Mitgliedstaaten am vergangenen Freitag immerhin auf ein verpflichtendes Ziel, zu Spitzenzeiten fünf Prozent einzusparen. Wie sie das tun, ist den Mitgliedstaaten überlassen.
Das iberische Modell einer Deckelung des Gaspreises für die Verstromung hätte jedenfalls auch EU-weit den gegenteiligen Effekt, warnt Lion Hirth, Professor an der Hertie School in Berlin, in einem neuen Papier: „Das wird den Gasverbrauch und damit auch den Großhandelspreis für Gas erhöhen.“Von Juni bis September ist der Gasverbrauch der spanischen Gaskraftkwerke im Jahresvergleich um 37 Prozent gestiegen. Für die gesamte EU könnte das zu einem Anstieg des Gaspreises um bis zu 100 Euro pro Megawattstunde führen. Zum Vergleich: derzeit liegt er zwischen 170 und 180 Euro.