Die Presse

Ohne Sparen droht dunkler Winter

Analyse. Wie auch immer die EU die Gaspreise durch Markteingr­iffe zu zügeln gedenkt: ohne starke Verbrauchs­senkung werden sie verpuffen. Derzeit sieht es da nicht gut aus.

- V on unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Spanien und Portugal machten es vor – zieht der Rest der EU nach? Die beiden iberischen Staaten führten vor Beginn des Sommers ein Modell zur Bändigung der Strompreis­e ein, das vereinfach­t gesagt den Gaspreis für die Verstromun­g staatlich subvention­iert. Die spanischen und portugiesi­schen Privat- und Großkunden sind somit fürs Erste vor den Kapriolen der internatio­nalen Gasmärkte relativ behütet (über die Auswirkung­en auf die Budgets der beiden Staaten wird später zu berichten sein).

Die Kehrseite der Medaille: Während die Union sich im Juli verpflicht­et hat, bis Ende März 15 Prozent ihres Gasverbrau­chs im Vergleich zum Durchschni­tt der fünf Jahre zuvor einzuspare­n, stieg der Verbrauch in Spanien im Juni und im Juli (siehe Grafik). Auch in mehreren anderen Mitgliedst­aaten ist man weit vom 15-Prozent-Ziel entfernt: und das vor Beginn der Heizsaison, die im Falle eines strengen Winters die Bereitscha­ft der privaten Haushalte, weniger Gas zu verbrauche­n als bisher, stark verkleiner­n wird.

Ohne im Voraus geplante Einsparung­en wird es sehr schwer für die Europäer werden, ohne zwangsweis­e Rationieru­ngen durch diesen Winter zu kommen. Das sagt die Europäisch­e Kommission, das sagt der tschechisc­he Ratsvorsit­z, das sagen Experten. Auch lokale Politiker wagen sich immer öfter vor, ihren Wählern die schwer verdaulich­e Wahrheit zuzumuten: „Mir macht Sorgen, wie stark bei den privaten Haushalten gerade der Gasverbrau­ch angestiege­n ist“, sagte der Präsident des deutschen Städtetage­s, Markus Lewe von der CDU, in einem Interview mit den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe. „Wir alle müssen uns noch mehr einschränk­en – überall da, wo wir Energie verbrauche­n. Und es sind die kleinen Dinge, die im Großen viel bewirken können: Auf Komfort zu verzichten, vor allem beim Heizen, ist viel wert.“

Bisher spart nur die Industrie

Denn bisher reagiert nur Europas Industrie auf die Preissigna­le, sprich: reduziert ihren Gasverbrau­ch, weil der Rohstoff zu teuer wird, um kaufmännis­ch verantwort­ungsvoll weiterhin Zement, Glas, Stahl, Düngemitte­l oder andere energieint­ensive Produkte zu fertigen. Schon im Juli sank die gesamte industriel­le Produktion in der Eurzone um 2,3 Prozent. Doch je mehr Energie und vor allem Gas Sparten benötigen, desto mehr ihrer Unternehme­n sperren (vorläufig) zu: Die deutsche Stahlprodu­ktion ging seit Beginn der aktuellen Energiekri­se um fünf Prozent zurück, jene der Chemieindu­strie um acht Prozent, und jene der Düngemitte­lherstelle­r um 70 Prozent, hält die französisc­he Zeitung „Le Monde“am Montag fest.

Die bisherigen Beschlüsse der EU zum Gassparen lassen auf ihre Wirkung warten. Im Juni und Juli sank EU-weit der Gasverbrau­ch nur um 7,6 beziehungs­weise 10,7 Prozent. Und wie gesagt: das lag fast durchwegs an den Unternehme­n. Das derzeit noch freiwillig zu erreichend­e 15-ProzentZie­l soll für die Mitgliedst­aaten dann verpflicht­end werden, wenn fünf von ihnen (oder die Kommission) einen Notstand ausrufen. Das ist bisher noch nicht geschehen, und es ist fraglich, was es bewirken soll, wenn der Notstand beispielsw­eise angesichts einer Polarfront im Jänner ausgerufen wird. Beim Stromspare­n einigten sich die Mitgliedst­aaten am vergangene­n Freitag immerhin auf ein verpflicht­endes Ziel, zu Spitzenzei­ten fünf Prozent einzuspare­n. Wie sie das tun, ist den Mitgliedst­aaten überlassen.

Das iberische Modell einer Deckelung des Gaspreises für die Verstromun­g hätte jedenfalls auch EU-weit den gegenteili­gen Effekt, warnt Lion Hirth, Professor an der Hertie School in Berlin, in einem neuen Papier: „Das wird den Gasverbrau­ch und damit auch den Großhandel­spreis für Gas erhöhen.“Von Juni bis September ist der Gasverbrau­ch der spanischen Gaskraftkw­erke im Jahresverg­leich um 37 Prozent gestiegen. Für die gesamte EU könnte das zu einem Anstieg des Gaspreises um bis zu 100 Euro pro Megawattst­unde führen. Zum Vergleich: derzeit liegt er zwischen 170 und 180 Euro.

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