Österreichs Corona-Situation vor dem Herbst
Pandemie. Die Zahl der positiven Tests und der Spitalspatienten steigt seit Wochen, der Fortschritt bei der vierten Impfung stockt. Eine neue, gefährlichere Variante, die wieder häufiger zu schweren Verläufen führen könnte, ist aber nicht in Sicht.
Wien. Eine Verdreifachung der Zahl der Covid-Infektionen binnen drei Wochen, ein leichter, aber stetiger Anstieg bei den Spitalspatienten und eine Impfkampagne, die nicht Fahrt aufnimmt – die Umstände könnten derzeit günstiger sein.
Da die dominierenden Varianten nach wie vor Subtypen von Omikron sind, die – auch wegen der hohen Immunität in der Bevölkerung – selten zu schweren Verläufen im Sinne von Krankenhausaufenthalten führen, hält sich unter Medizinern die Sorge vor einer kritischen Situation in Grenzen. Was nicht bedeutet, dass die Lage gänzlich unter Kontrolle und Maßnahmen wie etwa eine FFP2-Maskenpflicht in öffentlichen Innenräumen unwahrscheinlich sind.
Dritte und vierte Impfung
Die Sinnhaftigkeit der vierten Impfung, also der ersten Auffrischung, ist unbestritten – zumindest für Personen ab 60 Jahren sowie für jene mit relevanten Vorerkrankungen wie etwa Diabetes, Bluthochdruck, COPD und Adipositas. Für diese Gruppen wird sie auch explizit empfohlen, nicht nur in Österreich, auch in vielen anderen europäischen Ländern. Dennoch stockt der Impffortschritt, wie die aktuellen Zahlen zeigen.
So haben sich in der Gruppe der 55- bis 64-Jährigen bisher nur 9,5 Prozent der Männer und zehn Prozent der Frauen auffrischen lassen. Bei den 65- bis 74-Jährigen sind es 22,6 Prozent der Männer und 21,5 Prozent der Frauen, bei den 75- bis 84-Jährigen 35,3 Prozent der Männer und 31,4 Prozent der Frauen, bei den ab 84-Jährigen 33,3 Prozent der Männer und 28,8 Prozent der Frauen. Das ist definitiv zu wenig, da beim Großteil der Betroffenen die dritte Dosis mindestens vier Monate zurückliegt und den Empfehlungen des Nationalen Impfgremiums (NIG) zufolge die vierte Impfung vier Monate nach der dritten erfolgen sollte. Dieser geringe Impffortschritt ist insofern besorgniserregend, als die Auffrischung nicht nur zwei, drei Monate lang einen erhöhten Schutz vor Ansteckungen bietet, sondern insbesondere auch den Schutz vor schweren Verläufen festigt. In der Gesamtbevölkerung haben sich bisher im Übrigen nur 8,1 Prozent zum vierten Mal impfen lassen. Gültig geimpft gemäß der NIG-Empfehlungen sind 58,5 Prozent.
Zahl der positiven Tests
Innerhalb der vergangenen drei Wochen hat sich die Zahl der positiven Tests ungefähr verdreifacht. Am Montag waren es etwa 8000 binnen 24 Stunden, in den sechs Tagen zuvor stets etwas mehr als 10.000. Virologen rechnen zudem mit einer hohen Dunkelziffer. Schätzungen zufolge dürften die gemeldeten Infektionen nur rund die Hälfte der tatsächlichen ausmachen. Diese Zahlen nicht ernst zu nehmen, wäre nachlässig, weil sie einen eindeutigen Trend nach oben zeigen.
Allerdings haben sie in den vergangenen Monaten massiv an Bedeutung verloren, weil sie nicht mehr mit der Zahl der Spitalspatienten korrelieren – Letztere steigen deutlich langsamer an. Die meisten Erkrankten können sich also zu Hause auskurieren, eine Folge der hohen Immunität in der Bevölkerung, die sich aus Impfungen und Genesungen zusammensetzt. Zur Verdeutlichung: Rund 70 Prozent aller bisherigen positiven Tests in Österreich ereigneten sich 2022, also mit Omikron-Varianten. Infektionen, die selbstverständlich irgendeinen Grad an Immunität hinterlassen haben.
Zahl der Spitalspatienten
Wenn die Zahl der positiven Tests kaum aussagekräftig ist, kommt jener der Spitalspatienten mehr Bedeutung zu. Am Montag lagen 1626 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern, davon 71 auf Intensivstationen – ein moderater Anstieg im Vergleich zur Lage vor drei Wochen (994 in Spitälern, davon 47 auf Intensivstationen). Aber: Aus diesen Zahlen geht nicht hervor , ob Co vid-19 die Haupt- oder Nebendiagnose darstellt.
Zweiteres ist der Fall, wenn jemand beispielsweise wegen einer Verletzu ng oder Erkrankung stationär aufgenommen und zufällig positiv auf das Coronavirus getestet wird. Diese Nebendiagnosen machen mittlerweile mehr a ls di e Hälfte (zuletzt waren es rund 60 Prozent) aller positiven Tests in Spitälern aus. Das bedeutet, dass die Zahl der Spitalspatienten nicht mehr als Hauptkriterium, sondern nur noch als eines von mehreren zur Beurteilung der Lage herangezogen werden kann. Denn infizierte Personen mit sehr milden oder gar keinen Symptomen als Covid-19-Patienten zu führen und damit Entscheidungen wie etwa eine FFP2-Maskenpflicht in öffentlichen Innenräumen (wie sie von vielen Ärzten gefordert wird) zu begründen, wird nicht mehr zu argumentieren sein.
Neue, gefährlichere Varianten
Die dominierenden Varianten in Österreich und Europa sind nach wie vor BA.4 und BA.5, gegen diese Omikron-Subtypen wurde vor Kurzem auch ein neuer adaptierter Impfstoff von Biontech-Pfizer zugelassen, der in Österreich bereits flächendeckend verfügbar ist. Neue, stark veränderte Varianten, die wieder häufiger zu Krankenhausaufenthalten führen könnten, sind keine in Sicht. Die vor ein paar Monaten erstmals in Indien entdeckten Varianten BJ.1 und BA.2.75, die auch schon in Österreich nachgewiesen wurden, könnten zwar noch ansteckender sein als BA.4, BA.5, eine höhere Pathogenität wird ihnen aber nicht zugeschrieben.
Das bedeutet, dass sie nicht häufiger für schwere Verläufe sorgen werden, wohl aber für viele neue Infektionen. Somit besteht die größte Sorge der Gesundheitsexperten darin, dass zu viele Erkrankungen auf einmal – auch unter dem Personal – zu starken Belastungen in Krankenhäusern führen könnten, die wiederum Verschiebungen von anderen Behandlungen und Eingriffen zur Folge hätten. Vor allem dann, wenn es gleichzeitig zu einer starken Grippewelle kommt (siehe unten).
Voraussetzungen, die Unsicherheiten bergen und seriöse Prognosen schwierig machen. Weswegen nach wie vor gilt: Solang nicht ein Herbst und Winter ohne nennenswerte Einschränkungen überstanden sind, kann von einem Übergang von der Pandemie in eine Endemie mit wiederkehrenden, aber bewältigbaren Wellen keine Rede sein.