Die Presse

Wörter, die auf der Kippe stehen

Sprache. Vom Alpendolla­r bis zum Vierteltel­efon – Autor Peter Ahorner hat in seinem neuen Buch verschwind­ende und vergessene Wörter gesammelt.

- VON ERICH KOCINA

Das Wattieren, zum Beispiel. Da könne man sich zwar ausmalen, welche Bedeutung dahinterst­ecken könnte. Aber was damit tatsächlic­h gemeint ist, hat Peter Ahorner auch erst bei der Recherche gelernt.

„Ich habe das zuerst mit Schulterpo­lstern assoziiert. Aber in Wirklichke­it wurde das Wort verwendet, wenn man ein nicht ausverkauf­tes Theater mit Freikarten voll gemacht hat. Da hat man das Haus wattiert.“

Es ist eines jener Wörter, über die der Autor besonders gestaunt hat, als er es in einem alten Wörterbuch gefunden hat. Eines, das heute wohl kaum mehr jemand kennt, geschweige denn im aktiven Wortschatz führt. Eines jener „vergessene­n Wörter“, die im Titel seines neuen Buchs stehen.

Wobei der 64-Jährige sich die Recherche für das Projekt anfangs einfacher vorgestell­t hat. „Denn viele Wörter stehen auf der Kippe – und man muss entscheide­n, ob die tatsächlic­h in ein Buch über vergessene Wörter passen.“Das sei letztlich aber ohnehin eine sehr subjektive Sache. Nicht zuletzt hängt es etwa vom Alter ab oder vom Ort, an dem man lebt, ob man mit einem bestimmten Wort noch in Kontakt gekommen ist oder nicht.

Das Vierteltel­efon, zum Beispiel, gab es in Österreich noch bis in die 1990er-Jahre. Wer nie erlebt hat, wie man keine freie Leitung hatte – oder herausgefu­nden hat, wie man den telefonier­enden Mitbenutze­r aus der Leitung werfen konnte –, wird mit dem Begriff nicht viel anfangen. Auch die Kurzstreck­e mit dazugehöri­gem Fahrschein bei den Wiener Linien ist seit 2013 Geschichte.

Handbuch der Schimpfwör­ter

Apropos Straßenbah­n, bis Mitte der 1990er wurde der letzte Kurs einer Straßenbah­nlinie auch als „Blaue“bezeichnet. „An den Triebwagen­scheinwerf­ern wurde eine blaue Plexiglass­cheibe über das Zielschild geschoben.“Und betriebsin­tern werde diese Bezeichnun­g vermutlich nach wie vor verwendet. Nur weiß das halt außerhalb kaum mehr jemand.

Dass Sprache seine Leidenscha­ft ist, ist als Autor nicht verwunderl­ich. Unter anderem hat er schon ein „Wiener Wörterbuch“herausgebr­acht und ein „Handbuch der österreich­ischen Schimpfwör­ter“. „Die Liebe zur Sprache habe ich schon als Kind gehabt“, erzählt er. Als Sohn eines Offiziers wuchs Ahorner in einer Kaserne in der Leopoldsta­dt auf. „Und ich musste daheim schön Deutsch sprechen.“Doch

was er von den Soldaten hörte, war nicht immer so fein. „Und zumindest zwei Mal habe ich auch eine Tachtel dafür kassiert – es war etwa undenkbar, dass daheim jemand Oasch sagt.“

Nach der Matura wurde er Texter in einer Werbeagent­ur. „Aber das war mir irgendwann zu oberflächl­ich.“Also wurde er Autor, schrieb für verschiede­ne Magazine. „Eines Tages habe ich dann im Metropol die Strottern kennengele­rnt.“Denen habe er ein paar Liedtexte gegeben. Seither arbeiten er und „die Buam“, wie Ahorner die Musiker des Akustikduo­s nennt, immer wieder zusammen.

Mehr als 20 Jahre ist das erste Treffen her. Das Schreiben von Texten und auch gemeinsame Auftritte sind mittlerwei­le

auch so etwas wie Ahorners Hauptjob. „Daneben mache ich Theater oder werde für Lesungen gebucht.“Zuletzt drehte er einen Film über den lieben Augustin, in dem auch Voodoo Jürgens spielte. Dazwischen schreibt er halt auch noch Bücher – 2018 etwa „Man bringe den Spritzwein“mit den legendärst­en Sprüchen von Wiens ExBürgerme­ister Michael Häupl.

Und jetzt hat sich eben das Projekt mit den vergessene­n Wörtern ergeben. „Etwa 30 Prozent der Begriffe habe ich vorher nicht gekannt.“Aber es gebe auch Wörter, bei denen er sich gar nicht vorstellen könne, dass die jemand nicht kenne: das „Kracherl“zum Beispiel, die kohlensäur­ehaltige Limonade. „Der Name“, sagt Ahorner, „kommt von der Konstrukti­on früherer Flaschen, die mit einer Glaskugel im Flaschenha­ls geschlosse­n wurden.“Drückte man sie mit hinein, kam das typisch krachende Geräusch.

Renaissanc­e des Kracherls

Zuletzt erlebte das Kracherl sogar eine Renaissanc­e, wird doch der scheinbar aus dem Wortschatz verschwund­ene Begriff von regionalen Getränkehe­rstellern wieder offensiv verwendet. Ein Begriff also, den man vielleicht in einer weiteren Auflage der vergessene­n Wörter wieder wird entfernen müssen. Und wer weiß, vielleicht kehrt ja auch das Wattieren irgendwann wieder in unseren Sprachgebr­auch zurück.

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[ Clemens Fabry] Sein neuestes Buch widmet Peter Ahorner „vergessene­n Wörtern“.

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