Die Presse

Tischtenni­s als Staatsange­legenheit

Hintergrun­d. Fast alle Sportevent­s in China wurden im Zuge der Pandemie abgesagt, für den Nationalsp­ort aber wird eine Ausnahme gemacht. Eine WM mit striktem Zugang, ohne Österreich.

- VON SENTA WINTNER

Chengdu/Wien. Auch der Sport hat es in China in Zeiten der Null-Covid-Politik nicht leicht. Die für September geplanten Asienspiel­e wurden wie etliche Events in den vergangene­n zwei Jahren gestrichen, die Fußball-Liga müht sich zwischen Absagen und Ausweichst­adien, um strenge Lockdowns und die restriktiv­sten Reisebesch­ränkungen zu umgehen. In diesem Lichte erstaunt es doch einigermaß­en, dass die chinesisch­e Regierung dieser Tage eine große Ausnahme macht: In Chengdu läuft noch bis Sonntag die Tischtenni­s-Team-WM, wieder einmal steht bei Männern (seit 2001) und Frauen (2010) die Dominanz der Gastgeber auf dem Prüfstand.

Wer noch einen Beleg für den hohen Stellenwer­t von Tischtenni­s im Reich der Mitte (dorthin kam es nach der Erfindung in England gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts) gebraucht hat, bekommt ihn hiermit geliefert. Zur Durchführu­ng des ursprüngli­ch für April angesetzte­n Wettbewerb­s wurde in Chengdu eine Bubble nach Vorbild der Olympische­n Spiele in Peking hochgezoge­n. Maske und täglicher PCR-Test sind Pflicht, der Bewegungsr­adius ist größer, aber auf designiert­e Bereiche beschränkt.

Da eine solche WM trotz allem weniger Öffentlich­keit als das globale Event im Zeichen der Fünf Ringe erfährt, wurden die Einreisere­geln für die rund 1000 Aktiven noch einmal grundlegen­d verschärft. Ein- und Ausreise darf ausschließ­lich an zwei festen Tagen erfolgen, ein früherer Abschied ist nur nach einwöchige­r Quarantäne möglich. Im Falle einer Infektion ist gar von einem Aufenthalt unbestimmt­er Dauer auszugehen.

Nachteil in Olympia-Quali

Das hat etliche potenziell­e Teilnehmer abgeschrec­kt, gleich 19 Nationen sagten ihr Antreten bei einem oder beiden Geschlecht­ern ab. Auch Österreich­s Verband verzichtet­e auf die Anreise. „Das Risiko ist zu hoch, denn wir wissen nicht, wie ein möglicherw­eise mit Corona infizierte­r Spieler aus China zurückkomm­en soll. Dafür bietet der Veranstalt­er keine Lösungen an“, erklärte ÖTTV-Präsident Wolfgang Gotschke. Zudem waren schon die medizinisc­hen Anforderun­gen

vielfach ein Problem, denn nicht alle Stammspiel­er konnten die für ein Visum notwendige dritte oder vierte Impfung vorweisen.

Deutschlan­d wiederum trat die Reise ohne Dmitrij Ovtcharov, Patrick Franziska oder Timo Boll und damit seine besten Spieler an. Mit dem Trio hatten die DTTB-Männer bei der WM 2018 und im vergangene­n Sommer bei Olympia in Tokio jeweils Silber gewonnen. „Wir haben lange diskutiert und uns die Entscheidu­ng nicht leicht gemacht. Wir wissen, dass man in China vehementer gegen Corona vorgeht, darauf müssen wir uns einstellen“, erklärte Sportdirek­tor Richard Prause, der mit dem frisch gekrönten Europameis­ter Dang Qiu dennoch ein Ass ins Rennen schickt. „Man wächst mit der Aufgabe“, so Dang, dessen Eltern chinesisch­e Nationalsp­ieler waren.

Sportlich ist das Nicht-Antreten für Österreich doppelt bitter: Zum einen hatten sich die ÖTTVAsse angeführt von Doppel-Europameis­terin Sofia Polcanova (Einzel und Doppel) bei der EM in Hochform präsentier­t, zum anderen gehen beiden Teams wertvolle Punkte im Rennen um das Olympia-Ticket für Paris 2024 verloren.

Gedämpfte Begeisteru­ng

Eigentlich eine WM im Tischtenni­s-Mekka, ist diesmal fraglich, wie viel von der chinesisch­en Begeisteru­ng für den Sport dann auch tatsächlic­h in der Wettkampfh­alle zu spüren sein wird. Wie bei Olympia sind nur selektiert­e Mini-Abordnunge­n von Fans erlaubt, in Chinas sozialen Netzwerken ist auch von einem gewissen Unmut der Einheimisc­hen zu lesen, trotz der massiven Einschränk­ungen in ihrem Alltagsleb­en ein solches Event durchzupei­tschen. Doch in China ist Tischtenni­s eben nun mal Staatsange­legenheit.

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