„Rheingold“: Der Ring soll hier nur demütigen
Der „Ring des Nibelungen“in einem Forschungszentrum der Siebziger: Im „Rheingold“brillieren Michael Volle und Johannes Martin Kränzle als Wotan und Alberich, Christian Thielemann am Pult liebt es leicht, locker – und etwas langsam.
Wird da eine Gehirnoperation gezeigt? Träumt die Wissenschaftselite, den Koteletten, Schlaghosen und Damenkostümen zufolge irgendwann in den 1970ern, von der Entschlüsselung des menschlichen Genoms? Wir befinden uns jedenfalls in einem Forschungszentrum namens E.S.C.H.E., das hat der einem Bauoder Schaltplan ähnliche Vorhang schon verraten: Die Anspielung ist klar, die Auflösung des Akronyms fehlt noch. Im Labor setzen die Rheintöchter Versuchsperson Alberich einem Stresstest aus; mit Drogen sowie einer Frühform von Virtual Reality wird ihm offenbar eine Unterwasserwelt vorgegaukelt. Doch das Experiment schlägt fehl, Alberich rastet aus und macht sich mit demolierten Geräten davon. Im Keller, unter dem Stockwerk mit den Tierversuchen, darf er seinen Wahn wohl oder übel weiter ausleben und eine Schar menschlicher Probanden tyrannisieren. Das verursacht Institutsdirektor Wotan jedoch irgendwann Kopfzerbrechen.
Technologie statt Mythos
Es hätte die dritte Neuinszenierung von Wagners „Ring des Nibelungen“mit Daniel Barenboim am Pult der Berliner Staatsoper Unter den Linden sein sollen – nach jener von Harry Kupfer 1996 sowie jener Guy Cassiers’ im Ausweichquartier Schillertheater 2010–13. Dmitri Tcherniakov als neuer Regisseur und Bühnenbildner liefert, wie die „Rheingold“-Premiere zeigt, eine weitere radikale, zugleich stark verengte Sicht auf den „Ring“: Technologie statt Mythos.
Durch Barenboims schwer angegriffene Gesundheit, seine Absage und den prominenten Einspringer Christian Thielemann flammte zugleich die Nachfolgefrage heller denn je auf. Orchester und Publikum scheinen sich per acclamationem bereits für den gebürtigen Berliner Thielemann entschieden zu haben, auch wenn dieser in Interviews noch abwinkt. Er geht bei diesem „Rheingold“gleichsam auf Tauchgang, fördert etliche kaum bekannte Details und Schönheiten zutage. Gleich im Vorspiel, nach Bayreuther Manier ohne Auftrittsapplaus, spitzt man die Ohren, weil bei allem schwarzen Streichersamt doch genau vernehmbar ist, wo die Kontrabässe jeweils ihr tiefes Es partiturgetreu neu ansetzen. Die Staatskapelle Berlin folgt seinen Vorgaben mit farblich prächtig differenziertem, subtil gemischtem Klang, auch wenn sie sich im Detail als nicht unfehlbar zeigt. Überhaupt liebt es Thielemann diesmal, der späteren Forderung Fafners beim Rückkauf Freias widersprechend, besonders „leicht und locker gefügt“. Schon der tänzerische Sechsachteltakt der Rheintöchterszene bekommt duftigen Swing, der Rhythmus federt. Diese Leichtigkeit setzt sich fort, es ist jedoch eine entschleunigte Leichtigkeit, das geht fallweise auf Kosten der Dialogschlagkraft: Dass Stimmen bei Solostellen davoneilen wollen und Thielemann sie erst wieder einfangen muss, zeigt, dass sie sich noch nicht auf seinen langsameren Puls eingeschwungen haben und er zugleich auf seiner Darstellung beharrt.
Sängerisch nichts anhaben kann das den beiden Antagonisten. Michael Volle gibt einen vergleichsweise reifen „Rheingold“Wotan, der aber voll Saft und Kraft steckt und in Stimme wie Darstellung exemplarische Autorität verströmt – selbst wenn er am Verhandlungstisch mit mafiösen Bauunternehmern in Bedrängnis gerät. Den hintergründigen Humor nicht zu vergessen, den er mit der Souveränität eines Hans-Joachim Kulenkampff ausspielt – ja, (nicht nur) deutsche TV-Vergangenheit spiegelt sich manchmal, wohl zufällig, auf der Bühne. Sein wortdeutlich-markantes Gegenbild ist der nicht minder großartige Johannes Martin Kränzle als cholerisch-psychotischer Alberich im Blaumann, den zuletzt zwei Pfleger wieder in Richtung geschlossener Abteilung abführen: Herrlich, gerade in dieser oft geschundenen Partie so viel vokale Kontrolle, Legato und präzise musikalische Pointen zu vernehmen – statt bloß platter Bösewicht-Huster.
Mahnend, aber durchaus in trautem Einvernehmen mit dem Gatten zeigt sich die sonore Fricka von Claudia Mahnke, und Anna Kissjudit liefert als Erda einen gewichtigdurchdringenden Auftritt, obwohl unklar bleibt, welche Rolle Tcherniakov dieser Angestellten eigentlich zugedacht hat in seinem Konzept, die dem Chef offenbar unbekannt ist und sich ungefragt zu Wort meldet.
Die Riesen ähneln Fux und Qualtinger
Zumindest österreichische Augen mögen in den Riesen Fasolt und Fafner, die gleich Männer fürs Grobe mitführen, Wiedergänger von Herbert Fux und Helmut Qualtinger entdecken: Der kraftvoll fundierte Lyrismus des Mika Kares und die Gefährlichkeit des Peter Rose, der den Bruder kurzerhand abknallt, überdecken jedoch rasch äußerliche Assoziationen. Übrigens: Rolando Villazón hat wirklich sein Debüt als flatterhafter WotanBerater Loge geschafft; er singt ihn, wie’s halt nicht anders geht: mit vokalen Blessuren, die er ausstellt, wenn er sie nicht kaschieren kann, und mit wechselvoll gelingendem Parlando. Das trägt ihm etliche Buhs ein, die er vor dem Vorhang mit Kusshänden abfängt.
Aber was ist eigentlich mit dem Ring? Der wird hier eher zufällig zum Machtsymbol. Als mythischer (vielleicht besser: technischer?) Gegenstand bedeutet er nämlich nichts. Dass er seinen Besitzer mehrfach wechselt, liegt eher an seiner Rolle als i-Tüpferl der Demütigung, die ihm aus einer Laune des Stärkeren heraus zuwächst: Weil ich es kann, fordere ich eben auch noch diese Nichtigkeit, lautet die Parole. Das trifft den Unterlegenen in seiner Würde – und hat bei den Riesen schon Eigendynamik angenommen. Wie mag das weitergehen? „Sinn in Sorg’ und Furcht!“, singt Erda . . .