Was die Amerikaner über Bidens Hilfefür die Ukraine denken
12,3 Milliarden Dollar ist das neueste US-Hilfspaket für die Ukraine schwer. Die Stimmung der Bevölkerung zum Kurs der USA ist aber nicht nur euphorisch. Das könnte sich auf die MidtermWahlen auswirken.
New York. Ende Februar 2022: Das russische Militär ist in der Ukraine einmarschiert. Es dauert keine Woche, bis der Straßenhändler an der 110. Straße, Ecke Third Avenue, seinem Stand ein neues Accessoire verpasst: Eine kleine blau-gelbe Fahne, angeheftet an das weiße Metallgitter zwischen Schirmmützen, Toupets und Handyhüllen. Im Schneegrau New Yorks leuchtet ihr Kunststoff wie ein Frühlingsgruß.
Sieben Monate später, und sie steckt noch immer an dem Gitter. Ausgeblichen, das Blau fast schon durchsichtig. Aber die ukrainische Fahne steckt noch dort, unauffällig, am Stand des Straßenverkäufers.
Verblichen ist auch das Interesse vieler US-Amerikaner am russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Die lauten Unterstützungsbekundungen aus dem Frühling sind leiser geworden. Im Gegensatz zu Europa ist der Krieg hier weit weg – und kaum zu spüren. Auf Nachfrage hört man vielfach: Die USA sollten sich nicht einmischen, und schon erst recht kein Geld schicken, schaut man auf die vielen Krisen, die die Staaten aktuell selbst stemmen müssen. Inflation, Gesundheitswesen, Migration; gerade erst kamen schwere Verwüstungen in Puerto Rico und den Südstaaten dazu, Hurrikan Ian schickt sich an, der teuerste jemals zu werden.
Blickt man auf aktuelle Umfragen renommierter Häuser, wird die Ambivalenz sichtbar. Zwei Drittel der US-Amerikaner unterstützen zwar die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russische Armee, wie ein Gallup-Report aus dem August zeigt. Präsentiert man Umfrageteilnehmern aber erweiterte Antwortoptionen, werden Nuancen sichtbar. Das Quincy Institute, ein außenpolitischer Thinktank in Washington D. C., vermeldete vergangene Woche seine Umfrageergebnisse: Nach einer sich verschlechternden weltweiten wirtschaftlichen Lage gefragt, befanden 48 Prozent der Umfrageteilnehmer die derzeitigen US-Hilfen für zu hoch. Wurde nach der Situation in den USA gefragt, lehnten gar 58 Prozent die aktuellen Hilfeleistungen ab, sollten Benzin- und andere Kosten weiter steigen.
Historisch hohe Summen
Und die USA greifen derzeit tief in die Tasche. Am Freitag erst einigten sich die Kongressabgeordneten auf weitere 12,3 Milliarden US-Dollar, die den Ukrainern bis Ende des Jahres zukommen sollen. Dieses Paket ist aufgeteilt in Gelder für Waffen- und Materiallieferungen für die ukrainische Armee sowie Hilfszahlungen an die ukrainische Regierung. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses, die Demokratin Nancy Pelosi, betonte den „kritischen Moment“, an dem das Paket geschnürt wurde: Das ukrainische Militär hatte es da gerade geschafft, Gebiete von Russland zurückzuerobern. „Diese Unterstützung ist ein weiterer, gewichtiger Schritt dahin, unser Versprechen einzuhalten, das Versprechen unseres Landes.“
Die neuen Hilfen stellen die mittlerweile dritte Tranche an Geldern dar, die die USA zur Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen den Angreifer, Russland, freimacht. Rund 54 Milliarden US-Dollar machten die ersten beiden Hilfspakete aus. Neben den militärischen Hilfen wird dabei etwa auch Geld für Gesundheitsversorgung und Nahrungsmittel zugeteilt. Die Höhe der Hilfsgelder ist dabei historisch. Seit dem VietnamKrieg hätten die USA keinem Land mehr so viel militärische Unterstützung innerhalb eines Jahres geleistet, berichteten die „New York Times“.
Schon am Mittwoch vergangener Woche hatte das US-Verteidigungsministerium neuerlich ein militärisches Hilfsprogramm angekündigt: 1,1 Milliarden US-Dollar sollen in die ukrainischen Streitkräfte investiert werden – „langfristig“gedacht, „mehrjährig“angelegt. Das Ministerium operiert hier mit der Ukraine Security Assistance Initiative: Sie erlaubt direkte Beschaffung in der Rüstungsindustrie. Andere militärische Hilfen können vom Präsidenten erteilt werden, diese kommen dann aus den Beständen des US-Verteidigungsministeriums.
Republikanische Stimmungswende
Politisch wird das übrigens von Demokraten wie Republikanern mitgetragen – die Hilfspakete werden selten öffentlich kritisiert und gelten in beiden Parteien als wenig kontroversiell. Die neuesten 12,3 Mil
liarden wurden zwar im Repräsentantenhaus von nur zehn republikanischen Abgeordneten unterstützt, das hat aber mehr mit den nahenden Midterm-Wahlen zu tun: Die Ukraine-Hilfen waren Teil eines Übergangsbudgets, in dem auch innenpolitische Vorhaben eingepreist worden waren.
Die Midterms könnten allerdings zu einem Stimmungswechsel auch im Kongress führen. Beobachter glauben: Sollten neue von Ex-Präsident Donald Trump unterstützte Kandidaten ins Repräsentantenhaus einziehen, könnte das zu Spannungen mit etablierteren Republikanern führen. Don Bacon, republikanischer Abgeordneter aus Nebraska, sagte der Nachrichtenplattform „Politico“, dass zwar etwas am bisherigen Vorgehen gerüttelt werden würde. Aber: „Ich denke, die Mehrheit wird die Ukraine unterstützen, weil es im Interesse unserer nationalen Sicherheit ist.“So große Pakete wie jenes aus dem Mai, wo 40 Milliarden US-Dollar an Hilfen freigemacht wurden, sieht er dennoch keine mehr am Horizont.
Ich denke, die Mehrheit wird die Ukraine unterstützen, weil es im Interesse unserer nationalen Sicherheit ist. Don Bacon (Republikaner), Abgeordneter zum Repräsentantenhaus
Kritik aus den republikanischen (sprich: Trump-näheren) Reihen gibt es aus zweierlei Gründen: einerseits wegen innenpolitischer Sorgen, Stichwort Inflation. Andererseits gibt es auch unterschiedliche Ansichten über die Art, wie die Hilfe geleistet wird: Die Regierung von Präsident Joe Biden würde nonstop Schecks ausstellen, die Republikaner würden das unhinterfragt mittragen, lautet ein innerparteilicher Vorwurf. Freilich: Die außenpolitischen Hawks gibt es in der Grand Old Party nach wie vor, und nach wie vor geben sie den Ton an, geht es um die Ukraine. Sie hoffen auf ein Militärbudget in der Höhe von einer Billion US-Dollar in den kommenden Jahren – aktuell geben die USA rund 800 Milliarden Dollar für das Militär aus. Insgesamt lagen die weltweiten Militärausgaben 2021 bei 2,1 Billionen US-Dollar.