Die Presse

Wie die Proteste Atom-Einigung erschweren

Iran. Die USA verhängen neue Sanktionen, auch Europa erwägt weitere Strafen.

- V on unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Istanbul/Teheran. Seit anderthalb Jahren ringen der Iran und der Westen um ein neues Atomabkomm­en. Der Vertrag soll den Bau einer iranischen Atombombe verhindern, strenge Kontrollen ermögliche­n und Teheran dafür mit einem Abbau von Wirtschaft­ssanktione­n belohnen. Nach viel Auf und Ab stehen die Verhandlun­gen kurz vor dem Abschluss – doch nun erschwert die Protestwel­le im Iran eine Einigung. Westliche Politiker wollen sich nicht dem Vorwurf aussetzen, das iranische Regime mit Milliarden­summen aus dem Sanktionsa­bbau zu unterstütz­en, während in Teheran auf Demonstran­ten geschossen wird. Der Westen bereitet stattdesse­n nun neue Sanktionen vor.

Risiko eines Nahost-Krieges

Dabei sind beide Seiten grundsätzl­ich an einer neuen Vereinbaru­ng interessie­rt. Der Iran braucht dringend mehr Zugang zu den Weltmärkte­n für sein Öl, um die heimische Wirtschaft aus der Dauerkrise zu holen. Die USA und Europa befürchten, dass der Iran ohne die Fesseln eines neuen Abkommens bald in der Lage sein wird, eine Atombombe zu bauen. Dann würde das Risiko eines neuen Krieges im Nahen Osten steigen: Irans Gegner wie Israel und Saudiarabi­en dürften das nicht unbeantwor­tet lassen. Das erste Atomabkomm­en von 2015 konnte Irans Atomprogra­mm bremsen, doch seit dem Ausstieg der USA unter Präsident Donald Trump 2018 lehnt der Iran immer mehr Kontrollen ab. Trumps Nachfolger Joe Biden will deshalb einen neuen Vertrag.

Inhaltlich sind der Iran und der Westen bei den Verhandlun­gen in Wien nicht mehr weit auseinande­r. Schon vor dem Ausbruch der Unruhen im Iran vor zweieinhal­b Wochen wurde aber besonders in den USA schon Kritik am neuen Entwurf laut. Vor den Kongresswa­hlen im November sah sich Biden dem Vorwurf ausgesetzt, er wollen den Iran mit Milliarden­summen belohnen. Die Unruhen haben Bidens Zwangslage noch verstärkt, sagt Iran-Experte Alex Vatanka der „Presse“. Der Präsident werde versuchen, die Atomfrage und die Unruhen auseinande­r zu halten, meint Vatanka, Chef des Iran-Programms am Nahost-Institut in Washington. Biden strebe weiter einen neuen Atom-Deal an, wolle zugleich aber viele Sanktionen gegen den Iran wegen Menschenre­chtsverlet­zungen beibehalte­n. „Er hat einen Drahtseila­kt vor sich“, sagt Vatanka über den US-Präsidente­n.

„Unglaublic­her Mut“

Im September verhängte Washington bereits Sanktionen gegen die Chefs der iranischen Religionsp­olizei, des Geheimdien­stes und anderer Teile des iranischen Sicherheit­sapparates. Nun kündigte Biden neue Strafmaßna­hmen gegen iranische Regimevert­reter an, denen die USA „Gewalt gegen friedliche Demonstran­ten“vorwerfen. Auch in Europa wächst die Bereitscha­ft zu härteren Maßnahmen im Umgang mit dem iranischen Regime. Außenminis­terin Annalena Baerbock twitterte, der Mut der Iraner und Iranerinne­n bei den Protesten sei „unglaublic­h“. Die „rohe Gewalt des Regimes“zeuge von „der puren Angst vor der Kraft von Bildung und Freiheit.“Die Möglichkei­ten Deutschlan­ds, etwas für die Demonstran­ten zu tun, seien zwar begrenzt. „Aber wir können ihre Stimme verstärken, Öffentlich­keit schaffen, anklagen und sanktionie­ren. Und das tun wir.“

Zusammen mit anderen EUStaaten hat Deutschlan­d neue Iran-Sanktionen vorgeschla­gen, die sich gegen Regimevert­reter und Institutio­nen im Iran richten sollen, die an der Gewalt gegen die Demonstran­ten beteiligt sind. Am 17. Oktober sollen die Strafmaßna­hmen beschlosse­n werden. Ob in Wien dann weiter verhandelt wird, ist offen.

 ?? [ Imago ] ?? Abgeschnit­tene Haare – ein starkes Symbol des Protests iranischer Frauen für Freiheit und Menschenre­chte.
[ Imago ] Abgeschnit­tene Haare – ein starkes Symbol des Protests iranischer Frauen für Freiheit und Menschenre­chte.

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