Wie die Proteste Atom-Einigung erschweren
Iran. Die USA verhängen neue Sanktionen, auch Europa erwägt weitere Strafen.
Istanbul/Teheran. Seit anderthalb Jahren ringen der Iran und der Westen um ein neues Atomabkommen. Der Vertrag soll den Bau einer iranischen Atombombe verhindern, strenge Kontrollen ermöglichen und Teheran dafür mit einem Abbau von Wirtschaftssanktionen belohnen. Nach viel Auf und Ab stehen die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss – doch nun erschwert die Protestwelle im Iran eine Einigung. Westliche Politiker wollen sich nicht dem Vorwurf aussetzen, das iranische Regime mit Milliardensummen aus dem Sanktionsabbau zu unterstützen, während in Teheran auf Demonstranten geschossen wird. Der Westen bereitet stattdessen nun neue Sanktionen vor.
Risiko eines Nahost-Krieges
Dabei sind beide Seiten grundsätzlich an einer neuen Vereinbarung interessiert. Der Iran braucht dringend mehr Zugang zu den Weltmärkten für sein Öl, um die heimische Wirtschaft aus der Dauerkrise zu holen. Die USA und Europa befürchten, dass der Iran ohne die Fesseln eines neuen Abkommens bald in der Lage sein wird, eine Atombombe zu bauen. Dann würde das Risiko eines neuen Krieges im Nahen Osten steigen: Irans Gegner wie Israel und Saudiarabien dürften das nicht unbeantwortet lassen. Das erste Atomabkommen von 2015 konnte Irans Atomprogramm bremsen, doch seit dem Ausstieg der USA unter Präsident Donald Trump 2018 lehnt der Iran immer mehr Kontrollen ab. Trumps Nachfolger Joe Biden will deshalb einen neuen Vertrag.
Inhaltlich sind der Iran und der Westen bei den Verhandlungen in Wien nicht mehr weit auseinander. Schon vor dem Ausbruch der Unruhen im Iran vor zweieinhalb Wochen wurde aber besonders in den USA schon Kritik am neuen Entwurf laut. Vor den Kongresswahlen im November sah sich Biden dem Vorwurf ausgesetzt, er wollen den Iran mit Milliardensummen belohnen. Die Unruhen haben Bidens Zwangslage noch verstärkt, sagt Iran-Experte Alex Vatanka der „Presse“. Der Präsident werde versuchen, die Atomfrage und die Unruhen auseinander zu halten, meint Vatanka, Chef des Iran-Programms am Nahost-Institut in Washington. Biden strebe weiter einen neuen Atom-Deal an, wolle zugleich aber viele Sanktionen gegen den Iran wegen Menschenrechtsverletzungen beibehalten. „Er hat einen Drahtseilakt vor sich“, sagt Vatanka über den US-Präsidenten.
„Unglaublicher Mut“
Im September verhängte Washington bereits Sanktionen gegen die Chefs der iranischen Religionspolizei, des Geheimdienstes und anderer Teile des iranischen Sicherheitsapparates. Nun kündigte Biden neue Strafmaßnahmen gegen iranische Regimevertreter an, denen die USA „Gewalt gegen friedliche Demonstranten“vorwerfen. Auch in Europa wächst die Bereitschaft zu härteren Maßnahmen im Umgang mit dem iranischen Regime. Außenministerin Annalena Baerbock twitterte, der Mut der Iraner und Iranerinnen bei den Protesten sei „unglaublich“. Die „rohe Gewalt des Regimes“zeuge von „der puren Angst vor der Kraft von Bildung und Freiheit.“Die Möglichkeiten Deutschlands, etwas für die Demonstranten zu tun, seien zwar begrenzt. „Aber wir können ihre Stimme verstärken, Öffentlichkeit schaffen, anklagen und sanktionieren. Und das tun wir.“
Zusammen mit anderen EUStaaten hat Deutschland neue Iran-Sanktionen vorgeschlagen, die sich gegen Regimevertreter und Institutionen im Iran richten sollen, die an der Gewalt gegen die Demonstranten beteiligt sind. Am 17. Oktober sollen die Strafmaßnahmen beschlossen werden. Ob in Wien dann weiter verhandelt wird, ist offen.