Europäische Konfliktberatung am Hradschin
Informeller Gipfel. Die 44-köpfige „Europäische Politische Gemeinschaft“tagt am Donnerstag in Prag. Das erste Treffen der Formation steht ganz im Zeichen des russischen Überfalls auf die Ukraine.
Wien. Prag ist zwar immer eine Reise wert, doch manchmal bietet ein Kurztrip in die tschechische Metropole einen zusätzlichen Mehrwert – beispielsweise die perfekte Gelegenheit, um beruflichen Troubles zu entkommen, wie es am morgigen Donnerstag bei Liz Truss der Fall sein wird. Die britische Premierministerin, die wegen ihren unausgegorenen Steuerplänen zuletzt unter schweren innenpolitischen Beschuss geraten ist, reist morgen nach Prag, um bei der Inauguration der „Europäischen Politischen Gemeinschaft“(EPG) dabeizusein.
Bei dieser neuen Formation handelt es sich um ein (momentan) 44 Teilnehmer umfassendes Forum – 27 EU-Mitgliedstaaten und 17 Nichtmitglieder der Union. Die Initiative geht auf Emmanuel Macron zurück: Frankreichs Staatspräsident hatte im Mai (und unter dem Eindruck des russischen Überfalls auf die Ukraine) vorgeschlagen, eine Gemeinschaft europäischer Demokratien zu gründen, die abseits der Strukturen der EU für geordnete Verhältnisse auf dem Kontinent sorgen und als Gremium zur Konfliktvermeidung und -bewältigung fungieren sollte.
Vor allem Zweiteres wird am Donnerstag das dominierende Thema sein, denn die 44 Staatsund Regierungschefs bringen im wahrsten Sinne des Wortes hochexplosives Handgepäck nach Prag mit. Neben Russlands Krieg gegen die Ukraine als Causa prima wird der zuletzt erneut aufgeflammte bewaffnete Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan ebenso auf der Tagesordnung stehen wie die jüngsten verbalen Scharmützel zwischen der Türkei und Griechenland und der anhaltende Zwist zwischen Serbien und dem Kosovo. Angesichts dieser Herausforderungen wirkt das britisch-europäische Gerangel um den Status Nordirlands nach dem Brexit, das Truss ebenfalls zur Sprache bringen dürfte, wie eine harmlose Fußnote.
Viel Zeit zu zweit
Eine schriftliche Abschlusserklärung dieses ersten EPG-Treffens ist jedenfalls nicht vorgesehen, da man am Donnerstag keine konkreten Ergebnisse anstrebe, sondern die europäischen politischen Anführer auf Augenhöhe zusammenbringen möchte, kündigte Charles Michel, der Präsident des Europäischen Rats, vorab an. Dass der Mehrwert des Unterfangens im Informellen liegt, wird bei der Lektüre des Prager Stundenplans ersichtlich – denn der längste, mit dreieinhalb Stunden veranschlagte Tagesordnungspunkt heißt „bilaterale Treffen“. Den am Hradschin versammelten Konfliktparteien wird die Gelegenheit geboten, im Beisein der wichtigsten EU-Player Sondierungsgespräche zu führen.
Während die Nicht-EU-Teilnehmer am Donnerstagabend die Heimreise antreten werden, bleiben die Gäste aus der EU einen Tag länger: Am Freitag beraten sie bei einem informellen Europäischen Rat unter anderem über die Russland-Sanktionen und die Lage der europäischen Wirtschaft.