Mehr unholde Kunst!
Ja, hier wird wieder Österreich als Kulturnation beschworen – was sonst!
Es geht einfach nicht – ohne „Du holde Kunst“am Sonntagmorgen kein Erwachen. So ist das mein Leben lang, so soll es bleiben. Die Vorstellung, um diese Zeit doppelt so viele Gedichte ohne Musik hören zu müssen, ängstigt mich. Oder habe ich die Pläne von ORF-Radio-Chefin Ingrid Thurnher nach mehr Content und weniger Köchel falsch verstanden?
Natürlich, die Veränderung ist eine österreichische Urangst. Man sollte sich von ihr nicht völlig verschrecken lassen. Sie aber auch respektieren. Behutsamkeit hat gerade im Kulturbereich, in dem vieles verworren ineinander greift, ihre Berechtigung. Die prekäre Existenz einer ganzen Szene – der neuen Musik, des Jazz – sehenden Auges nicht nur zu verschärfen, sondern sie als solche auch aus ihrer öffentlichen Randwahrnehmung zu radieren, ist für Österreich ein elendes Signal!
Ja, jetzt wird hier wieder die Kulturnation beschworen. Dieses Wort, das die Einzigartigkeit dieses Landes auf dieser Welt nun einmal zusammenfasst. In der wir nicht, man glaubt es hierzulande ja nie, aufgrund unserer heiligen Skispringer berühmt sind. Sondern aufgrund von „Sound of Music“und Neujahrskonzert. Das ist ein Schrebergarten. Aber was für ein wundervoller. Wir sollten ihn nicht nur einem Sender der katholischen Kirche überlassen. Wir sollten ihn pflegen und gießen und düngen. Was allein Bildung schafft. Und welche Institution hat diesen Auftrag noch einmal? Die Schulen, deren Angebot an Musikund Kunstunterricht auf ein Nichts geschrumpft sind. Und der ORF. Noch. Mit Ö1.
Anzukündigen, gerade an Sendungen zu Randzeiten zu sparen, ist schlicht primitiv. Als ob Hörer der Kulturszene keine zahlenden Hörer wären. Wie viel inspirierender wäre es doch zu überlegen, wie man diese Inhalte spannender vermitteln könnte. Dass das funktioniert, zeigen die Salzburger Festspiele jedes Jahr bei der Ouverture Spirituelle.
Dem müssten der ORF und Ö1 nacheifern. Einzigartiger Musiksender eines einzigartigen Musiklandes sein zu wollen. Nicht ein beliebiger nationaler Nachrichtensender. Sicher, es braucht verlässliche Moderation, braucht Abwechslung und Futter für Hirn und Ohren. Es braucht sicher eine Jugendsendung fern von „Rudi, dem Radiohund“. Und es braucht nicht nur holde, sondern auch unholde Kunst. Vor allem zu Nachtzeiten.