Die Presse

Ö1: „Tantiemen für viele Existenzgr­undlage“

Die mögliche Streichung von Radio-Sendungen für neue Musik und Jazz alarmiert die heimische Musikszene: Alle großen Institutio­nen solidarisi­eren sich. Klangforum-Chef Kainrath beschwört sogar den Anfang vom Ende der Kulturnati­on.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Es gibt kein Land außer Österreich, das so viele herausrage­nde Komponiste­n im Bereich der Neuen Musik hervorgebr­acht hat, von Beat Furrer bis Olga Neuwirth natürlich. Und Ö1 fällt dabei eine kolossal wichtige Rolle zu. Wenn da gekürzt werden soll, dürfen wir nicht wegschauen.“Peter Paul Kainrath, Intendant des auf neue Musik spezialisi­erten Klangforum-Ensembles Wien, gibt sich im Gespräch mit der „Presse“so konzentrie­rt wie alarmiert.

Durchgesic­kert sind Pläne von der Radioklaus­ur des ORF vorigen Freitag, dabei wurde angekündig­t, dass Ö1 900.000 Euro einsparen müsse. Zur Diskussion stünden dafür Sendungen wie die Kindersend­ung „Rudi, der Radiohund“, „Passagen“oder „Philosophi­e am Feiertag“. Aber auch „ZeitTon“(wochentags um 23 Uhr, spezialisi­ert auf neue Musik) und „Jazznacht“(selber Termin, Wochenende) sowie das von Ö1 veranstalt­ete Festival Musikproto­koll beim Steirische­n Herbst. Die Ankündigun­g von ORF-Radio-Chefin Ingrid Thurnher im „Standard“, mehr „Content statt Köchel“zu programmie­ren, also mehr Info als Musik, sowie eine Reform von FM4 in Richtung Kommerzial­isierung, taten ihr Übriges. Die österreich­ische Musikszene formierte sich.

Fast 9000 Stimmen für Online-Petition

Das Klangforum wandelte den offenen Brief, den schlicht alle großen heimischen MusikInsti­tutionen von Staatsoper bis Salzburger Festspiele, von Wiener Philharmon­ikern bis Musikverei­n unterzeich­neten, zur OnlinePeti­tion um: Auf www.change.org haben von Montag auf Dienstag schon rund 9000 Personen unterschri­eben. Die angekündig­ten Kürzungen, so der Text, könnten sogar eine „eklatante Verletzung des im ORF Gesetz formuliert­en öffentlich-rechtliche­n Kernauftra­ges“bedeuten.

Auch wenn „Zeit-Ton“relativ wenig Hörer einschalte­n (es dürften 15.000 bis 20.000 sein, der ORF gibt keine Zahlen pro Sendung heraus), sei das für die nächtliche Uhrzeit eine wertvolle Community, so Kainrath. „Es geht hier nicht um einen Randbereic­h, sondern um einen, der zentral im Musikleben verankert ist.“Beklemmend, wenn man merke, sagt er, „dass im ORF keine Vorstellun­g davon herrscht, wie sehr er mit der Realität außerhalb verwoben ist.“Gerade auch in diesem Moment der postpandem­ischen Herausford­erung bedeute jede Wegnahme bei der Unterstütz­ung, das Publikum zu erreichen, eine enorme Schwächung: „Das wäre der Anfang vom Ende, im schlimmste­n Fall sogar einer kulturentl­eerten Nation.“

Noch aber sei nichts verloren, sagt Kainrath: „Wir sitzen alle im selben Boot. Wenn es Kürzungen geben muss, wenn man einen Sender neu denken muss, sollte man aber auf die Sachkenntn­is der großen Player zurückgrei­fen.“Vielleicht könne so am Ende eine neue Setzung passieren, die Quadratur des Kreises geschafft werden.

Zumindest die Einsparung­ssumme selbst, nicht so die Inhalte, hört man aus dem ORF, wäre jedenfalls sehr ernst zu nehmen. Ö1 werde nach einer derartigen Kürzung jedenfalls nicht mehr so aussehen wie heute. Drastische Worte. Die Stimmung in der Redaktion und bei den vielen Freien entspricht diesen: Angst. Im Moment läuft die ORF-Budgetieru­ng, Mitte November muss sie dem Stiftungsr­at vorgelegt werden.

Auch die Jazzszene bangt: Die „Jazznacht“ist für heimische Jazzmusike­r wesentlich, es gibt sonst fast keinen Sendeplatz mehr für sie. An dieser Hörbarkeit hängen Engagement­s, gerade auch von der kleinteili­gen Festivalwe­lt am Land, die sich teils an dieser Sendung orientiert. Die Tantiemen der Ausstrahlu­ng sind für Jazzmusike­r, Komponiste­n, aber auch kleine Labels nicht nur Puzzleteil­e im Erwerbsleb­en. Sie sind „Existenzgr­undlage“, sagt Alexander Hirschenha­user, Sprecher vom Dachverban­d unabhängig­er Tonträgeru­nternehmen, Musikverla­ge und Musikprodu­zenten Österreich­s. Man müsse sich vorstellen: Nur ein Prozentpun­kt im ORF gesendete Musik aus Österreich weniger pro Jahr bedeute eine sechsstell­ige Summe Euro, die außer Landes gehen, also vor allem zu angloameri­kanischen Konzernen. Auch der Dachverban­d hat die Petition natürlich unterschri­eben. Was Hirschenha­usen aber auch schon gehört habe: Dass die Provokatio­n der ganzen Aufregung auch eine „paradoxe Interventi­on“des ORF sein könnte. Der sich so in eine bessere Stellung bringen möchte, um mehr Geld im Zuge der Neuordnung der Gebühren-Verteilung zu sichern.

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[ Ciciliani ] Bedroht: das Musikproto­koll von Ö1 beim Steirische­n Herbst beginnt morgen u. a. mit der Performanc­e „Why Frets?“von Marco Ciciliani.

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