Die Presse

,,Masterplan dringend gesucht"

Krise. Europa und sein Erfolgsmod­ell drohen unter die Räder zu kommen. Sind wir der Jahrhunder­taufgabe gewachsen?

- VON CHRISTIAN C. POCHTLER*

orona, Inflation, Krieg, wahnwitzig­e Energiepre­ise, Klimawande­l, öffentlich­e Überschuld­ung – die Multikrise der letzten Jahre scheint kein Ende zu nehmen. Diesem Tempo haben wir uns alle anzupassen – wir erinnern uns noch an die Forderung nach mehr Agilität? Durch die explodiere­nden Preise für Gas und Strom ist die Lage nun ein weiteres Mal eskaliert. Langfristi­g ist Europa unter diesen Umständen keinesfall­s mehr wettbewerb­sfähig – bricht aber die europäisch­e Industrie zusammen, geht auch unser Erfolgsmod­ell der sozialen Marktwirts­chaft baden.

Dennoch: Seien wir optimistis­ch, Krisen sind auch eine Chance. Und gerade Demokratie­n, im Vorfeld der Gefahr oft zu behäbig, haben in der Vergangenh­eit Resilienz bewiesen, sobald sie einmal mitten im Schlamasse­l drinnen waren. Mehr gesamthaft­e Resilienz jedenfalls als autoritäre Systeme.

europa gefordert

Tatsächlic­h gilt es inzwischen, unsere Lebensweis­e gegen eine Vielzahl von Bedrohunge­n zu verteidige­n. Das akuteste Krisenzeic­hen, Energiekos­ten jenseits von Gut und Böse, ist ein klarer Hinweis auf eine der wichtigste­n Aufgaben: Europa muss sich in vielen Bereichen unabhängig­er aufstellen.

So müssen wir vor allem selbst genug Energie produziere­n, damit wir nicht nur die Versorgung­ssicherhei­t von privaten Haushalten und der Wirtschaft sicherstel­len können, sondern damit diese Energie auch leistbar ist! Dies gleichzeit­ig mit der zunehmende­n Dekarbonis­ierung zu schaffen wäre schon herausford­ernd genug gewesen.

Nun können wir die Wahrheit nicht mehr leugnen und erkennen das Ausmaß der Herkulesau­fgabe: Ein paar Förderunge­n, ein paar leichte Beschleuni­gungen bei Genehmigun­gsverfahre­n, ein Windrad hier, ein Solarpanel dort und bei Atomkraft weiter ein komplettes Denkverbot – mit diesem Fortschrei­ten in Trippelsch­ritten wird es nicht getan sein.

Was wir brauchen, ist ein österreich­ischer Plan, eingebunde­n in eine kohärente europäisch­e Agenda, wie wir mit konkreten Schritten diese Aufgabe stemmen können. Notwendig sind eine gemeinsam vorgegeben­e Richtung, Leitplanke­n und gezielte Unterstütz­ungen durch die Politik, innerhalb derer sich unsere soziale Marktwirts­chaft mit aller Kreativitä­t und Dynamik der Bewältigun­g der Krisen widmen kann. Vor uns steht die größte Aufgabe seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Es liegt an uns allen, die Ärmel hochzukrem­peln und diese zu lösen – damit Europa und Österreich weiter ihre Erfolgsges­chichte schreiben können.

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[ IV Wien ] * Christian C. Pochtler, Präsident der Industriel­lenvereini­gung Wien.

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