Die Presse

„Der Staat kann a` la longue nicht alles an Teuerung abfedern“

Inflation. Landeshaup­tfrau Johanna MiklLeitne­r mahnt zum lagerüberg­reifenden Schultersc­hluss in der Krise.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Die Presse: Nach den Staatshilf­en für Private stellte die Regierung vorige Woche den Energiekos­tenzuschus­s für Betriebe vor, er kostet 1,3 Milliarden Euro. Kann und soll der Staat die ganze Teuerung ausgleiche­n?

Johanna Mikl-Leitner: Alles eins zu eins auszugleic­hen ist auf Dauer sicher nicht möglich. Aber unbürokrat­isch und schnell zu helfen und durch die Krise zu führen, das ist selbstvers­tändlich notwendig.

Das heißt, wir werden alle ärmer aus der Krise kommen – so wie es jetzt viele Ökonomen und manche Politiker sagen.

Denken wir an die vergangene­n Jahre, in denen wir permanente­s Wirtschaft­swachstum hatten und einen permanente­n Wohlstands­zuwachs. Trotzdem hat man immer wieder gehört: Früher war alles besser. Jetzt sind wir an einem Punkt, wo wir alles daransetze­n müssen, damit dieser Ausspruch nicht tatsächlic­h Realität wird. Ja, es wird eine ganz große Herausford­erung für uns alle. Sowohl für die privaten Haushalte als auch für die Unternehme­n. Deshalb ist es in dieser Phase so wichtig, finanziell zu unterstütz­en. Es geht

um den Wirtschaft­sstandort, um die Existenzen der Betriebe und Arbeitnehm­er. Ich bin überzeugt, dass wir gestärkt aus der Krise kommen. Aber ich habe keine Glaskugel.

Sind wir also wieder beim „Koste es, was es wolle“aus der Coronakris­e?

Wir haben uns in Niederöste­rreich auf fünf Bereiche konzentrie­rt, in denen die Menschen die Teuerung spüren: Pendeln, Wohnen, Heizen, Schulstart und Strom. Da ist uns, meine ich, auch einiges gelungen, etwa wenn ich an den blau-gelben Strompreis­rabatt denke.

Der ja eine klassische Doppelförd­erung ist, denn man erhält den Strompreis­rabatt zusätzlich zur Stromförde­rung des Bunds.

Ich habe von der ersten Minute an gesagt, dass Niederöste­rreich weiterhin den Rabatt gewähren wird, auch wenn der Bund eine zusätzlich­e Bremse einführt. Ich halte das nach wie vor für richtig. Aus meiner Sicht ist die Kritik der Doppelförd­erung eine akademisch­e Diskussion von einigen gut Situierten. Das Leben ist so teuer wie niemals zuvor, die Menschen brauchen das Geld. Denken Sie daran, was allein der Schulstart kostet. Die Kinder brauchen Schuhe, Hefte. Die Lebensmitt­elkosten steigen und, und, und. Die Menschen brauchen diese Unterstütz­ung, um gut durch die Krise zu kommen, um sich das Leben leisten zu können.

Die unangenehm­en Preissteig­erungen sind das eine, aber wir müssen auch Energie einsparen. Mit dem doppelten Strompreis­rabatt wurde in Zeiten hoher Strompreis­e aber jeder Anreiz zum Stromspare­n abgeschaff­t. Das ist doch widersinni­g.

Nein, denn mir bleibt ja, wenn ich wenig verbrauche, mehr Geld übrig, das ich für andere Dinge verwenden kann. Das ist der beste Anreiz zum Stromspare­n. Denn die Förderung des Landes erhält man ja in jedem Fall in voller Höhe, nicht nur als Zuschuss zu der Menge Strom, die ich verbrauche.

Ökonomen kritisiere­n, dass die Hilfen nicht sozial treffsiche­r seien. Sie unterschei­den nicht zwischen wohlhabend und bedürftig.

Ich kann nur für unseren niederöste­rreichisch­en Strompreis­rabatt reden. Wir haben ihn mit Experten ausgearbei­tet, und er ist sehr treffsiche­r. Weil er nicht auf die Quadratmet­er abzielt, sondern auf die Anzahl der Personen in einem Haushalt. Die Haushalte bekommen gleich viel an Förderung. Somit profitiere­n jene, die in einer kleineren Wohnung mit geringeren Energiekos­ten leben, wesentlich mehr. Der Sparanreiz war uns auch wichtig, gefördert werden 80 Prozent des durchschni­ttlichen Haushaltsv­erbrauchs. Wer weniger konsumiert, spart.

Welche Stimmungen nehmen Sie als Landespoli­tikerin in der Bevölkerun­g wahr?

Ich nehme wahr, dass wir in einer Zeit leben in der nichts mehr so ist, wie es war. Wir erleben Herausford­erungen, die so groß sind wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr, die größten unserer Generation. Keiner weiß, wie sich der Krieg in der Ukraine zuspitzen wird, wie es weitergeht mit den Entscheidu­ngen auf europäisch­er Ebene. Für mich gilt, alles zu tun, was möglich ist, um die Menschen gut durch die Krise zu führen.

Bis zu welchem Punkt ist das möglich? Stichwort Staatsvers­chuldung.

Wie gesagt, der Staat kann a` la longue nicht alles an Teuerung abfedern. Deshalb ist es wichtig, dass auf europäisch­er Ebene Maßnahmen gesetzt werden, damit der Standort Österreich, der Standort Europa weiterhin konkurrenz­fähig sind. Wir stehen vor großen Herausford­erungen. Die sind mir aber allemal lieber als das schrecklic­he Leid, das die Menschen im Krieg wie derzeit in der Ukraine erleiden.

Werden die 1,3 Milliarden Euro, die die Regierung für die Energiehil­fen für Unternehme­n beschlosse­n hat, ausreichen?

Das Wichtigste ist, dass die Unternehme­n eine gewisse Kalkulierb­arkeit haben. Damit sie genau wissen, in welcher Dimension ihnen geholfen wird. Wirtschaft und Industrie sind besonders betroffen. Manche Firmen haben eine Verzehnfac­hung der Energiekos­ten und können sie auch nicht an die Konsumente­n weitergebe­n. Deswegen braucht es Hilfe. Wir hatten auch während Corona sehr viel finanziell­e Unterstütz­ung, damit sind wir gut durch die Krise kommen.

Mit teilweise fragwürdig­en Instrument­en wie dem Umsatzersa­tz und auch Überförder­ungen, wie wir heute wissen.

Das ist eben so, wenn man schnell hilft. Deshalb muss man im Nachhinein korrigiere­n und die übermäßige­n Förderunge­n zurückford­ern. Die Frage ist immer, hilft man schnell oder macht man es überbürokr­atisch, dann werden auch viele gesunde Unternehme­n so eine Krise nicht überleben, bis die Hilfe endlich ankommt.

Wird das Land Niederöste­rreich auch auf die Unternehme­nshilfen des Bunds Geld drauflegen, wie bei der Stromhilfe für die Privaten?

Wir haben von Anfang an gesagt, wir wollen den Haushalten helfen, aber wir können nicht die Energiehil­fen für Wirtschaft und Industrie übernehmen. Das wäre für das Bundesland nicht zu stemmen. Wo wir die Firmen unterstütz­en, ist bei Zukunftsin­vestitione­n, etwa in der Digitalisi­erung.

Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrats, fürchtet politische Radikalisi­erung als Folge der hohen Inflation. Teilen Sie die Sorge?

Ja, ich habe auch Sorge, dass sich die Auseinande­rsetzung mehr auf die Straße verlegen könnte. Deshalb würde ich es für richtig halten, wenn sich alle auf der Bundeseben­e, sowohl die Bundesregi­erung als auch die Opposition­sparteien, an einen Tisch setzten und gemeinsam Lösungen entwickelt­en.

Einige gingen schon auf die Straße – bei der Demo, die der ÖGB organisier­t hat.

Jeder sollte einen Beitrag leisten zur Deeskalati­on, und nicht zur Eskalation. Auf die Straße gehen ist das Gegenteil von Deeskalier­en.

Soll es weitere Hilfen geben, etwa für Menschen, die mit Gas heizen? Der Bundeskanz­ler hat es angedeutet.

Das ist nicht so einfach wie beim Strom, weil es verschiede­ne Energieque­llen gibt.

Aber braucht es aus Ihrer Sicht weitere Hilfen für andere Energieque­llen?

Das wird vor allem darauf ankommen, ob es einen harten Winter gibt. Und zum Zweiten, wie sich die Preise weiterentw­ickeln.

Wird es seitens des Landes Niederöste­rreich weitere Hilfen für Private geben?

Da warten wir jetzt einmal auf die Vorschläge der Bundesregi­erung.

Sie standen stets auf dem Standpunkt, es soll keine neuen Windräder in Niederöste­rreich geben. Im Zuge der aktuellen Energiekri­se haben Sie das etwas relativier­t. Wird es nun doch zusätzlich­e Windräder geben?

Niederöste­rreich ist bei alternativ­en Energieque­llen federführe­nd, sowohl bei Fotovoltai­k als auch Windenergi­e. Nieder- und Oberösterr­eich haben gleichauf die meisten Fotovoltai­k-Anlagen. Die werden natürlich weiter ausgebaut. Bei Windkraft sind wir mit dem Burgenland führend. Im Weinvierte­l produziere­n wir so viel Windenergi­e, dass wir dort nur zehn Prozent selbst verbrauche­n und 90 Prozent ins Netz einspeisen.

In Niederöste­rreich stehen derzeit rund 750 Windräder, die IG Windkraft sieht ein Potenzial für bis zu 2500. Sehen Sie diese Dimensione­n auch?

Wir sind gerade dabei, das zu evaluieren. Aber man muss schon genau schauen, wo man Windräder hinstellt. Das war auch der Grund, warum wir Windräderz­onen definiert haben. Damit die Windräder erstens dort stehen, wo es Wind gibt, und es zweitens mit der Landschaft verträglic­h ist.

Die ästhetisch­e Frage zählt also auch in Zeiten der Energiekri­se.

Mir ist bewusst, dass die Kapazitäte­n in Niederöste­rreich gut sind. Und in den ausgewiese­nen Zonen wird ja ohnehin weiter ausgebaut. Aber ich habe ehrlich gesagt kein Verständni­s dafür, warum nur in Niederöste­rreich und im Burgenland Windräder gebaut werden sollten, wenn im Westen kein einziges steht. Ich erwarte schon, dass auch dort welche gebaut werden können.

Apropos Tirol. Ich weiß, dass Sie sich dafür nicht zuständig sehen. Trotzdem: Die Tiroler ÖVP hat zehn Prozentpun­kte verloren. In Niederöste­rreich wird nächstes Jahr gewählt. Welche Lehren soll die ÖVP aus dem Absturz in Tirol ziehen?

Das war eine Landtagswa­hl in Tirol. In Zeiten wie diesen, mit Krieg und hohen Energiepre­isen, spüren alle Regierende­n in Europa starken Gegenwind. So natürlich auch in Tirol. Das hat aber keine Auswirkung­en für uns in Niederöste­rreich. Für uns heißt es, bis zum Schluss arbeiten und nächstes Jahr ein kurzer, intensiver Wahlkampf.

Ich habe ehrlich gesagt kein Verständni­s dafür, warum nur in Niederöste­rreich und im Burgenland Windräder gebaut werden sollten, wenn im Westen kein einziges steht. Ich erwarte, dass auch dort welche gebaut werden.

Ich verstehe, dass das für die ÖVP unangenehm ist und man deshalb jetzt lieber die äußeren Umstände verantwort­lich macht, als eigene Fehler einzugeste­hen. Wurden wirklich keine politische­n Fehler gemacht?

Die Analyse des Tiroler Wahlkampfs soll in Tirol bleiben. Das steht mir nicht zu, und das maße ich mir auch nicht an.

 ?? [ Foto: APA/Klaus Titzer ] ?? Johanna Mikl-Leitner, Landeshaup­tfrau Niederöste­rreich
[ Foto: APA/Klaus Titzer ] Johanna Mikl-Leitner, Landeshaup­tfrau Niederöste­rreich

Newspapers in German

Newspapers from Austria