Ein Ö1 für Denkhungrige
Bei aller Liebe zur klassischen Musik – eine Spur weniger davon würde Ö1 auch nicht schaden.
Ich weiß gar nicht, ob dieser Trumpf den Österreichern so bewusst ist“, sagte mir vor einiger Zeit der nach Wien übersiedelte deutsche Schriftsteller Matthias Politycki über Ö1. Ich glaube, zumindest vielen bildungsbewussten und kulturinteressierten Menschen im Land ist dieser „Trumpf“durchaus bewusst. Ö1 ist für viele mehr als ein Sender, er ist ein akustisches Zuhause – das dabei, wie kein anderer Sender, einen Bildungsauftrag erfüllt.
Um ein Zuhause für viele zu bleiben, muss das Zuhause sich ab und zu verändern. Und der Bildungsauftrag? Der bleibt. Er bedeutet, Hörerinnen und Hörern fundiertes Hintergrundwissen anzubieten, das Verständnis für Zusammenhänge zu fördern, zum Weiterdenken und zu neuen Blickwinkeln anzuregen.
Im Fall von Ö1 betrifft dieser Bildungsauftrag auch die – nur in diesem Sender beheimatete – klassische Musik. Seine Erfüllung setzt allerdings voraus, dass man überhaupt die Chance hat bzw. fähig ist, eine gewisse Menge an Hörern, wie man so schön sagt, „abzuholen“und in unbekannte Gefilde zu locken. Das gelingt einer Sendung wie „Spielräume“zweifellos. Bei Formaten wie „Kunstradio“oder „Zeit-Ton“ist das eher fraglich. Deshalb finde ich es nicht von vornherein skandalös, zumindest über Verknappungen zu reden. Ö1 hat ja einen Bildungs-, keinen Kulturszeneförderungs-Auftrag.
Und bei aller Liebe zur klassischen Musik – eine Spur weniger davon würde Ö1 auch nicht schaden, solang es nicht so anregende und international vorbildhafte Sendungen wie „Pasticcio“gefährdet. Neue, jüngere Hörerschichten, wissens- und bildungshungrig, wird man mit Sendungen wie „Punkt eins“oder „Dimensionen“mehr erreichen.
Menschen in Unbekanntes, Neues zu ziehen, das setzt aber auch eine Mannschaft mit unterschiedlichsten Horizonten und Blickwinkeln voraus. Mitarbeiter, die auf schwierige Fragen Antworten suchen, statt dem Publikum längst gefunden geglaubte zu servieren, die sie auch in Gästen gespiegelt sehen wollen. Die Bildungsvermittlung nicht mit simpel gestrickter Volkserziehung verwechseln. Die einem bei der x-ten gut gemeinten NS-, Migrationsoder Kapitalismuskritikgeschichte zumindest ein „Ach wirklich?“statt eines „Ja, eh . . .“entlocken. Ein bisschen mehr intellektuelle Vielfalt würde Ö1 hier durchaus guttun – im Sinn des Bildungsauftrags.