Die Presse

Ein Ö1 für Denkhungri­ge

- VON ANNE-CATHERINE SIMON anne-catherine.simon@diepresse.com

Bei aller Liebe zur klassische­n Musik – eine Spur weniger davon würde Ö1 auch nicht schaden.

Ich weiß gar nicht, ob dieser Trumpf den Österreich­ern so bewusst ist“, sagte mir vor einiger Zeit der nach Wien übersiedel­te deutsche Schriftste­ller Matthias Politycki über Ö1. Ich glaube, zumindest vielen bildungsbe­wussten und kulturinte­ressierten Menschen im Land ist dieser „Trumpf“durchaus bewusst. Ö1 ist für viele mehr als ein Sender, er ist ein akustische­s Zuhause – das dabei, wie kein anderer Sender, einen Bildungsau­ftrag erfüllt.

Um ein Zuhause für viele zu bleiben, muss das Zuhause sich ab und zu verändern. Und der Bildungsau­ftrag? Der bleibt. Er bedeutet, Hörerinnen und Hörern fundiertes Hintergrun­dwissen anzubieten, das Verständni­s für Zusammenhä­nge zu fördern, zum Weiterdenk­en und zu neuen Blickwinke­ln anzuregen.

Im Fall von Ö1 betrifft dieser Bildungsau­ftrag auch die – nur in diesem Sender beheimatet­e – klassische Musik. Seine Erfüllung setzt allerdings voraus, dass man überhaupt die Chance hat bzw. fähig ist, eine gewisse Menge an Hörern, wie man so schön sagt, „abzuholen“und in unbekannte Gefilde zu locken. Das gelingt einer Sendung wie „Spielräume“zweifellos. Bei Formaten wie „Kunstradio“oder „Zeit-Ton“ist das eher fraglich. Deshalb finde ich es nicht von vornherein skandalös, zumindest über Verknappun­gen zu reden. Ö1 hat ja einen Bildungs-, keinen Kulturszen­eförderung­s-Auftrag.

Und bei aller Liebe zur klassische­n Musik – eine Spur weniger davon würde Ö1 auch nicht schaden, solang es nicht so anregende und internatio­nal vorbildhaf­te Sendungen wie „Pasticcio“gefährdet. Neue, jüngere Hörerschic­hten, wissens- und bildungshu­ngrig, wird man mit Sendungen wie „Punkt eins“oder „Dimensione­n“mehr erreichen.

Menschen in Unbekannte­s, Neues zu ziehen, das setzt aber auch eine Mannschaft mit unterschie­dlichsten Horizonten und Blickwinke­ln voraus. Mitarbeite­r, die auf schwierige Fragen Antworten suchen, statt dem Publikum längst gefunden geglaubte zu servieren, die sie auch in Gästen gespiegelt sehen wollen. Die Bildungsve­rmittlung nicht mit simpel gestrickte­r Volkserzie­hung verwechsel­n. Die einem bei der x-ten gut gemeinten NS-, Migrations­oder Kapitalism­uskritikge­schichte zumindest ein „Ach wirklich?“statt eines „Ja, eh . . .“entlocken. Ein bisschen mehr intellektu­elle Vielfalt würde Ö1 hier durchaus guttun – im Sinn des Bildungsau­ftrags.

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