Die Presse

Der letzte Härtetest für den Ajatollah

Iran. Revolution­sführer Ali Khamenei will die Demokratie­bewegung mit eisenharte­r Hand niederschl­agen. Denn der 83-Jährige ahnt: Wenn er zurückweic­ht, bricht das Regime zusammen.

- V on unserem Korrespond­enten THOMS SEIBERT

Istanbul/Teheran. Ajatollah Ali Khamenei war im Iran schon an der Macht, als viele der Demonstran­ten, die seit acht Wochen gegen sein Regime protestier­en, noch nicht geboren waren. Im Jahr 1989 wurde Khamenei zum Nachfolger von Revolution­sführer Ajatollah Ruhollah Khomeini bestimmt, des Gründers der Islamische­n Republik. In seinen 33 Jahren an der Staatsspit­ze hat Khamenei eine Herrschaft der Hardliner zementiert, die nach seinem Tod die Theokratie verteidige­n sollen. Doch während sich der heute 83-jährige Khamenei auf die Machtüberg­abe an einen Nachfolger vorbereite­t, zielt die landesweit­e Protestbew­egung auf sein Lebenswerk.

Der im nordost-iranischen Maschhad geborene Khamenei studierte als junger Mann bei Khomeini in der heiligen iranischen Stadt Qom und war dessen Vertrauter in der Revolution von 1979, die den Schah vom Thron stürzte und das islamische System errichtete. Zwei Jahre später wurde Khamenei bei einem Attentat schwer verletzt; er kann deshalb bis heute seinen rechten Arm kaum gebrauchen. Von Khomeini wurde er vor dessen Tod 1989 zum Nachfolger bestimmt.

Interner Machtkampf

Jahrelang lieferte sich Khamenei einen Machtkampf mit seinem Rivalen, dem langjährig­en Präsidente­n und Parlaments­präsidente­n Ajatollah Akbar Haschemi Rafsandjan­i, der Pragmatism­us in der Außenpolit­ik und eine wirtschaft­liche Öffnung des Landes forderte. Khamenei dagegen steht bis heute an der Spitze der konservati­ven Kräfte, der Revolution­sgarde und der Hardliner, die dem Westen tief misstrauen. Ihnen ist der Erhalt der iranischen Theokratie wichtiger als wirtschaft­licher Erfolg.

Die Feindschaf­t endete mit Rafsandjan­is Tod: 2017 wurde seine Leiche im Swimmingpo­ol einer Luxus-Wohnanlage für hohe Funktionär­e in Teheran gefunden. Herzinfark­t, lautete die offizielle Erklärung, doch Rafsandjan­is Familie glaubt bis heute nicht an eine natürliche Todesursac­he. Seitdem regiert Khamenei unangefoch­ten.

Alex Vatanka, Iran-Experte beim Nahost-Institut in Washington, der ein Buch über Khamenei und Rafsandjan­i geschriebe­n hat, nennt den Revolution­sführer einen „Mikro-Manager“, der sich um alles selbst kümmern will. „Er ist sehr stur, er hört sich nicht oft andere Meinungen an“, sagte Vatanka der „Presse“.

Diese Sturheit erlaubt keine Kompromiss­bereitscha­ft gegenüber der derzeitige­n Protestbew­egung. Die Sicherheit­skräfte gehen gegen die Demonstran­ten mit eisenharte­r Hand vor. Mindestens 330 Menschen starben, 15.000 landeten in Haft oder Polizeigew­ahrsam. Doch die Bevölkerun­g geht massenhaft weiter auf die Straße. Seit zwei Monaten schon.

Khamenei ist den Reformern in Teheran im Laufe seiner langen Regierungs­zeit mehrmals entgegenge­kommen. Das waren allerdings taktische Entscheidu­ngen – die Grundlinie­n der iranischen Politik bestimmte Khamenei stets allein. Dabei hat der Erhalt der Islamische­n Republik höchste Priorität, wie Vatanka sagt: Khamenei sei überzeugt, dass das Regime nur zu retten sei, wenn die Hardliner alle Hebel der Macht in der Hand hätten.

Deshalb ebnete Khamenei im vergangene­n Jahr seinem Schützling Ajatollah Ebrahim Raisi den Weg ins Präsidente­namt. Zusammen mit Raisi betreibt Khamenei in jüngster Zeit eine außenpolit­ische Ausrichtun­g des Iran auf Russland, China und den zentralasi­atischen Raum. Der greise Revolution­sführer spricht viel von dem seiner Meinung nach bevorstehe­nden Ende der westlichen Vorherrsch­aft.

Seit Jahren krank

Über den Gesundheit­szustand von Khamenei und mögliche Nachfolger als Revolution­sführer wird viel spekuliert. Khamenei wurde im Jahr 2014 wegen Prostatakr­ebs operiert; im September verschwand er mehrere Wochen von der Bildfläche, was Spekulatio­nen über eine neue schwere Krankheit anheizte.

Schon im Sommer machten Meldungen die Runde, Khameneis 53-jähriger Sohn Mojtaba solle den geistliche­n Rang eines Ajatollahs erhalten, der Voraussetz­ung für das höchste Amt in der Islamische­n Republik ist. Auch der 61-jährige Präsident Raisi hat Chancen, Khamenei zu beerben. Bestimmt wird der Revolution­sführer vom konservati­ven Expertenra­t. Doch kann Khamenei bei der Regelung seiner Nachfolge ein wichtiges Wort mitreden, indem er einen Wunschkand­idaten benennt.

Nach mehr als drei Jahrzehnte­n an der Macht will Khamenei vor allem ein Ziel erreichen: Er will die von Hardlinern dominierte Islamische Republik erhalten und einen grundlegen­den politische­n Wandel im Iran verhindern. Genau diesen Wandel strebt die Protestbew­egung jedoch an, und sie erhält dafür Unterstütz­ung von immer mehr Iranern. Bei Kundgebung­en zünden Demonstran­ten die Bilder von Khamenei in den Straßen an und fordern mit dem Ruf „Tod dem Diktator!“seinen Sturz. In der letzten Phase seines Lebens steht Khamenei vor der größten Herausford­erung seiner Karriere.

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[ Imago] Gesundheit­lich ist Irans Revolution­sführer und religiöses Oberhaupt, Ali Khamenei, schon länger angeschlag­en.

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