Die Presse

„Soziale Kompetenz im Studium forcieren“

Medizin. Das Aufnahmeve­rfahren zu einem Studium mit limitierte­m Zugang könne nie frei von Diskrimini­erung sein, sagt Richard Brodnig, Obmann der Jungen Allgemeinm­edizin Österreich. Zum Aufnahmete­st gebe es dennoch keine Alternativ­e.

- VON KÖKSAL BALTACI

Die Presse: Halten Sie den Aufnahmete­st für das Medizinstu­dium, bei dem jährlich rund 12.000 Bewerber antreten und 1850 genommen werden, für zeitgemäß, fair und frei von Diskrimini­erung?

Richard Brodnig: Solang die Studienplä­tze limitiert sind und nicht alle, die Medizin studieren wollen, das auch dürfen, wird der Zugang nie frei von Diskrimini­erung sein. Bei der Fairness des Auswahlver­fahrens verhält es sich ähnlich – es wird immer Bewerberin­nen und Bewerber geben, die das Verfahren nicht als fair empfinden. Dennoch finde ich, dass der Aufnahmete­st ein sinnvolles Instrument ist, um die Qualität des Studiums zu gewährleis­ten. Daher ist er für mich zeitgemäß. Und zwar aus einem einfachen Grund: Ein sinnvoller­es Instrument haben wir nicht. Würden jedes Jahr 12.000 Interessen­ten zugelassen, wären die ersten Prüfungen so schwierig, dass die meisten nicht vor, sondern eben zu Beginn des Studiums rausfliege­n würden. Eine qualitativ hochwertig­e Ausbildung im medizinisc­hen Bereich wäre mit so hohen Zahlen gar nicht möglich – abgesehen davon, dass wir die Ausbildung­sstellen in den Krankenhäu­sern und Lehrpraxen nicht haben.

Aber was ist mit dem Argument, der Test sei zu theoretisc­h bzw. naturwisse­nschaftlic­h und vernachläs­sige soziale Kompetenze­n sowie die Fähigkeit zur Empathie? Mit der Folge, dass häufig die „falschen“Personen zugelassen werden. Also jene mit Defiziten hinsichtli­ch Social Skills. Fähigkeite­n, die ja im Arztberuf nicht gerade unwichtig sind.

Der Test prüft in erster Linie die Studierfäh­igkeit der Bewerber ab. Also die Fähigkeit, sich so schnell wie möglich viel Wissen anzueignen und dieses Wissen auch wiederzuge­ben. Zudem ist er ein ordentlich­er Stresstest. Vor Kurzem sagte eine Kollegin zu mir, sie sei während des Tests derart gestresst gewesen, dass sie danach wusste, für diesen Beruf gerüstet zu sein. Ein Notfall während eines Nachtdiens­ts könne sie nicht aus der Ruhe bringen.

Ich kann diesen Vergleich ehrlich gesagt nicht nachvollzi­ehen, klingt irgendwie naiv. Was ist nun mit der besagten sozialen Kompetenz und Empathiefä­higkeit?

Diese Fähigkeite­n werden in dem Test nur bedingt abgefragt. Das ist bei einem schriftlic­hen Test auch nur schwer möglich. Allerdings ist die Medizin ein sehr breites Feld. Nicht alle medizinisc­hen Berufe erfordern den Kontakt mit Patienten. In der Forschung etwa oder in Laborberuf­en sind soziale Kompetenz und Empathiefä­higkeit kein relevanter Faktor.

Bei den meisten medizinisc­hen Berufen sind diese Fähigkeite­n sehr wohl ein relevanter Faktor.

Ja, nur können sie wie gesagt schriftlic­h nur bedingt abgefragt werden. Denkbar wären persönlich­e Interviews, aber bei 12.000 Bewerbern sind Einzelgesp­räche nicht realisierb­ar. Bei den zuletzt ins Spiel gebrachten freiwillig­en sozialen Tätigkeite­n im Vorfeld des Studiums, die als Bewertungs­kriterium herangezog­en werden könnten, müsste ein genauer Rahmen definiert werden, um Fairness zu gewährleis­ten.

Wie zum Beispiel?

Eine freiwillig­e Tätigkeit bei der Rettung oder in einem Pflegeheim müsste genauso viel wert sein wie eine in einem Forschungs­labor. Zudem müsste es sich um kurze Zeiträume handeln, ich denke da an einige Wochen. Sonst wären Bewerber aus sozial schwächere­n Familien benachteil­igt, weil sie es sich nicht leisten können, monatelang

ZUR PERSON

Richard Brodnig (33) ist Allgemeinm­ediziner in Ausbildung in der Klinik Landstraße in Wien und Obmann der Jungen Allgemeinm­edizin Österreich (Jamö). Er sieht den Aufnahmete­st für das Medizinstu­dium durchaus kritisch. Der Test sei nicht frei von Diskrimini­erung, soziale Kompetenz und die Fähigkeit zur Empathie könnten darin nicht abgefragt werden. Daher sollten diese Fähigkeite­n im Studium einen höheren Stellenwer­t haben. soziale Tätigkeite­n auszuüben, um Medizin studieren zu dürfen. Viele Hürden also, die eine Umsetzung schwierig, beinahe unmöglich machen.

Wie viele Anläufe haben eigentlich Sie gebraucht, um den Test zu bestehen?

Zwei.

Haben Sie zur Vorbereitu­ng teure Paukkurse absolviert?

Ja. So wie Sie schafft den Test kaum jemand beim ersten Mal. Und so wie Sie nehmen Tausende Bewerber an kostspieli­gen Kursen teil, um sich vorzuberei­ten. Viele können sich das aber nicht leisten. Wie kann dieser Test trotzdem seit Mitte der 2000erJahr­e als einziges Aufnahmekr­iterium tauglich sein?

Wie gesagt: Es fehlt an besseren und objektiver­en Alternativ­en.

Aber Ideen gibt es ja. Was spricht etwa gegen Primar Reinhold Kerbls Vorschlag, den Aufnahmete­st durch ein verpflicht­endes Pflegeprak­tikum zu ergänzen?

Ich habe mit vielen Kolleginne­n und Kollegen gesprochen. Die meisten sagten, dass sie nicht Medizin studiert hätten, wenn sie dafür ein einjährige­s Pflegeprak­tikum in einem Spital hätten absolviere­n müssen. Zudem ist die Pflege ein hoch spezialisi­erter, mittlerwei­le sogar akademisch­er Beruf. Selbst Pflegeschü­ler mit zweijährig­er Ausbildung benötigen in den ersten Monaten Einführung und Betreuung. Welche selbststän­digen Tätigkeite­n sollen also Maturanten ohne jegliche Ausbildung in diesem Bereich ausüben? Wenn es nur darum geht, Betten zu machen und Essen auszuliefe­rn, bezweifle ich, dass diese Tätigkeite­n jemanden qualifizie­ren, Arzt oder Ärztin zu werden. Nicht zuletzt ist ein Jahr zu lang. Wenn dieses Praktikum bezahlt wird wie ein Zivildiens­t, werden wieder sozial Schwächere benachteil­igt, weil sie sich dieses Jahr nicht leisten können.

Sozial Schwächere werden auch jetzt benachteil­igt. Haben Sie einen eigenen Vorschlag, um den Zugang zum Studium gerechter zu gestalten?

Da soziale Kompetenze­n mittels Test nicht abgefragt werden können, sollten sie während des Studiums forciert werden – mit Modulen, die beispielsw­eise Patienten- und Teamkommun­ikation behandeln. Konzepte gibt es schon. An der Medizinisc­hen Universitä­t Graz zum Beispiel werden in Seminaren Simulation­en mit Schauspiel­ern als Patienten durchgefüh­rt. Zudem finden Patienteng­espräche vor einer Gruppe statt, die supervidie­rt werden. In diese Richtung könnte noch mehr unternomme­n werden, hier gibt es Luft nach oben.

Warum wollen Sie Allgemeinm­ediziner werden?

Mein Vater war Hausarzt, daher kenne ich den Alltag eines Allgemeinm­ediziners. Ich kann eine Beziehung zu meinen Patienten und ihrer Familie aufbauen, sie über Jahre und Jahrzehnte hinweg begleiten. Das halte ich für eine sehr sinnvolle und spannende Aufgabe.

Mit dieser Einstellun­g sind Sie aber eher in der Minderheit, die meisten Absolvente­n wollen nicht Allgemeinm­ediziner werden. Warum, denken Sie, ist das so?

Das hat viel mit den Ausbildung­sbedingung­en zu tun und damit, dass die meisten kaum Berührungs­punkte mit dem Alltag von Allgemeinm­edizinern haben. Im Zuge der 33 Monate langen Ausbildung verbringt man viel Zeit, konkret sind es zwei Jahre, im Krankenhau­s und durchläuft mehrere Fächer, die typischen Tätigkeite­n eines Allgemeinm­ediziners kommen dabei zu kurz. Das kann demotivier­end sein. Darüber hinaus wird in dieser Phase vielen Ärzten in Ausbildung angeboten, in einem der Fächer zu bleiben und sich zum Facharzt ausbilden zu lassen. Einige nehmen diese Angebote an.

Wollen Sie Landarzt werden oder in Wien bleiben?

Im Jänner wechsle ich in die Steiermark und setze meine Fortbildun­g in einer Landarztpr­axis fort. Erst danach werde ich entscheide­n. Für mich kommt beides infrage.

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[ Jana Madzigon] Richard Brodnig, Allgemeinm­ediziner in Ausbildung in der Wiener Klinik Landstraße.

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