Die Presse

„Ihr solltet auf Salzburgs WM-Spieler stolz sein“

Jan A˚ ge Fjørtoft trägt sein Herz eloquent auf der Zunge. Der Ex-Rapidler und TV-Experte geht mit der WüstenWM hart ins Gericht, schwärmt von Lionel Messi und Hansi Flicks Personalmu­t. „Aber Frankreich wird in Doha gewinnen.“

- VON MARKKU DATLER

Die Presse: Finden Sie es richtig, dass die Fußball-WM in Katar stattfinde­t? Die Problemati­k der Menschenre­chte, Tausende tote Arbeiter, Homophobie – da passt doch˚so vieles nicht zusammen. Jan Age Fjørtoft: Der eigentlich­e Fehler geschah schon 2010, bei der Vergabe. Danach hat man gesehen, dass fast alle, die diese Entscheidu­ng getroffen haben, nicht mehr im Amt sind, vor Gericht sind oder im Gefängnis waren wegen Korruption. Wir alle haben sicherlich zu spät angefangen mit diesen Protesten, dem Äußern unserer Bedenken. Es jetzt nur an den Sportlern festzumach­en, finde ich falsch. Sie haben ein Recht darauf, sich zu äußern, aber keine Pflicht. Und für sie ist eine WM ein Erlebnis, für viele ein einmaliges.

Im Vorfeld von Großereign­issen werden Probleme rundum beleuchtet, von Umweltschu­tz bis Korruption, egal ob in einer Demokratie oder einem Schurkenst­aat. Mit Spielbegin­n ist immer alles vergessen, warum?

Ich hoffe, wir alle haben gelernt. Seit 2010 ist viel passiert, wir sahen ja auch, wie Fans reagierten, als die Vision einer „Super League“aufkam und sie gestoppt worden ist. Alles lässt der Fan nicht mehr auf sich sitzen. Wenn die WM anfängt, wird man Freude am Fußball haben. Aber ich bin mir sicher, dass Medien vor Ort auch über das Thema Menschenre­chte und Korruption berichten, daran gibt es kein Vorbeikomm­en mehr.

Ist der Termin, im europäisch­en Winter, ein Vorteil hinsichtli­ch der Qualität des Spiels?

Als Europäer denkt man, dass die WM immer im Sommer sein muss, jetzt ist es eben anders. Das hilft aber den Südamerika­nern. Ein charmanter Tipp wäre Argentinie­n, damit Lionel Messi einmal die WM gewinnt. Aber es waren wieder etliche Runden in jeder Liga, dazu Champions League und Länderspie­le, es sind zu viele Spiele, und auch schon jetzt haben wir wieder so viele Verletzte. Ob Mané, Reus, Pogba, Kanté etc. – natürlich gibt es zum Saisonende noch mehr, jetzt fehlen schon viele. Aber ich erwarte eine tolle WM.

Es ist Lionel Messis letzte WM. Leiden Sie auch mit ihm?

Er wird sicher drei, vier Tore oder Assists machen. Das wissen wir schon jetzt, Teamchef Lionel Scaloni hat die Mannschaft umgebaut. Gut organisier­t, mit Disziplin, er spielt mehr europäisch­en Stil – das wird gefährlich für alle. Wenn es um Messi endlich eine Mannschaft gibt, kann es gut gehen.

Und Brasilien?

Für mich nur Außenseite­r! Dabei hat die Seleça˜o sechs, sieben Weltklasse­spieler und lässt sogar Firmino zu Hause. Teamchef Tite kann es gut organisier­en, Brasiliane­r müssen erst ihre Balance finden zwischen Individual­isten und der Mannschaft. Nur, rund um Neymar kann immer etwas passieren.

Haben Sie einen WM-Tipp parat?

Ja, Frankreich! Ich habe Theo Hernández vom AC Milan im SanSiro-Stadion gesehen. Er ist eine Maschine, irre. Dazu kommen die Stürmer Mbappé, Benzema oder Nkunku. Wenn es bei denen nicht läuft, gibt es immer noch Giroud. Das Mittelfeld ist leider ohne Pogba und Kanté nicht dasselbe, es wirkt unerfahren. Auch ist Lloris, für mich zumindest, zu schwach, für die Grande Nation. Aber eine WM kann man nicht vorhersage­n! Nicht alles läuft nach Plan, oft kommen Spieler aus dem Nichts, die hatte vorher keiner auf dem Zettel. Gibt es eine Nummer neun, wer ist der Matchwinne­r? Davon haben die Franzosen sehr viele.

Deutschlan­d verzichtet auf Mats Hummels, dafür fährt der 17-jährige Youssoufa Moukoko zur WM in Katar. Mutig, oder?

Ja. Es ist ein mutiger, aber richtiger Schritt. Worauf soll Hansi Flick denn warten? Es ist auch gut, dass Götze und Füllkrug dabei sind. Deutschlan­d braucht eine Offensive. Wer schießt die Tore? Allerdings sehe ich in der kurzen Vorbereitu­ng einen Nachteil für alle Europäer, speziell für die Deutschen – die waren darin zumeist top; nicht so wie die Engländer. Die haben etwa vor der WM 2010 ja zwei Wochen lang ohne WMBall trainiert und hatten nach zwei Tagen in Südafrika schon alle einen Sonnenbran­d (lacht).

England spielte doch eine beachtlich­e Euro 2020, verlor erst im Finale. Auch 2018 war erst im Halbfinale Endstation.

Stimmt schon, aber man darf nicht vergessen, dass sie bei der EM alle Spiele im Wembley, vor eigenen Fans, hatten. Ich denke, die überschätz­en sich selbst. England kann eine der negativen Überraschu­ngen dieser WM werden. Das sage ich, obwohl ich immer Fan von England war.

Sie haben 1994 mit Norwegen bei der WM gespielt. Was macht dieses Turnier so besonders?

Es findet nur alle vier Jahre statt, es behält dadurch seinen Glanz. Es ist ein Spektakel für die ganze Welt. Das ist bei Biathlon oder Eishockey ja inflationä­r, denn die spielen jedes Jahr eine WM. Ich bin ein Sport-Nerd, man sagt ja auch, dass die besten Spieler einmal die WM gewinnen müssen. Nur diese Messlatte stimmt nicht ganz (lacht). Ich war bei einer dabei, aber George Best bei keiner, da stimmt also etwas nicht. Er war doch ein paar Zentimeter besser als ich . . .

Österreich ist wieder nicht dabei, Salzburg jedoch stellt vier WMSpieler ab. Das ist beachtlich.

Es ist fantastisc­h, was in Salzburg gelungen ist! Ein Vergleich: Newcastle gehört Saudiarabi­en, Abu Dhabi ist bei Manchester City, und alle kaufen nur die besten Spieler und Manager. Man kann den Aufbau dieser Teams trotzdem nicht loben, obwohl City sensatione­ll ist, mit unglaublic­her Struktur. Red Bull macht es anders, man hat in Salzburg und Leipzig etwas selbst aufgebaut – und das ist sensatione­ll. Ja, es steht viel Geld zur Verfügung, aber jetzt verdienen sie durch Transfers und Europacup. Und: Die arbeiten damit richtig! Vier WM-Spieler zu haben bestätigt diese Arbeitswei­se. Österreich­s Fußball sollte eigentlich ein bisserl stolz darauf sein – und das sage ich als Rapidler (lacht).

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[ Buholzer/Keystone/picturedes­k.com ] Noah Okafor ist für die Schweiz am Ball, er ist einer von vier Salzburg-Legionären, die bei der WM in Katar auflaufen werden.

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