Die Presse

Großbritan­nien steht vor der Rezession

Die britische Wirtschaft ist im dritten Quartal geschrumpf­t, es wird eine längere Flaute erwartet. Finanzmini­ster Jeremy Hunt stellt nächste Woche seinen Haushaltsp­lan vor, Ökonomen warnen vor einer Rückkehr zur Sparpoliti­k.

- Von unserem Korrespond­enten PETER STÄUBER

London. Großbritan­nien hat den ersten Schritt in eine Rezession gemacht. Am Freitag meldete der nationale Rechnungsh­of Office for National Statistics (ONS), dass die Wirtschaft­sleistung in den Monaten von Juli bis September um 0,2 Prozent geschrumpf­t ist.

Das ist ein stärkerer Einbruch, als die meisten Ökonomen erwartet haben. Großbritan­nien ist das einzige G7-Land, dessen Wirtschaft im dritten Quartal kleiner geworden ist und das noch immer dem Niveau vor der Covid-Pandemie hinterherh­inkt. Die britische Notenbank erwartet, dass dies der Beginn einer längeren Rezession ist – sie könnte bis Anfang 2024 dauern. „Vor uns liegt ein steiniger Weg“, sagte der britische Finanzmini­ster, Jeremy Hunt, am Freitag.

Laut ONS war im dritten Quartal ein scharfer Rückgang in der herstellen­den Industrie wie auch im Dienstleis­tungssekto­r zu verzeichne­n. Der Export nahm im September um fast fünf Prozent ab, die Investitio­nen der Unternehme­n gingen ebenfalls zurück. Der Rückgang im Einzel- und Großhandel sei auf „die steigenden Kosten von Strom und Gas zurückzufü­hren, die sich auf die verfügbare­n Einkommen der Haushalte auswirken“, schreibt das ONS. Auch der zusätzlich­e arbeitsfre­ie Tag für das Begräbnis von Queen Elizabeth II. im September habe einen kleinen Teil zur Kontraktio­n beigetrage­n.

Die Nachricht von der drohenden Rezession kommt, wenige Tage bevor Finanzmini­ster Hunt seinen Haushaltsp­lan vorstellen wird. In diesem mit Spannung erwarteten „Herbst-Statement“wird die Regierung ihre wirtschaft­spolitisch­en Pläne für die kommenden Jahre präsentier­en, ihre Strategie für die möglicherw­eise längste Rezession seit hundert Jahren.

Mehr Steuern für Reiche?

Hunt hat bereits durchblick­en lassen, dass er eine Mischung aus Steuererhö­hungen und Sparmaßnah­men im Sinn hat. Vor allem will er versuchen, ein „fiskales Loch“von geschätzte­n 40 bis 60 Milliarden Pfund zu stopfen. In seinem Bestreben, „Vertrauen und ökonomisch­e Stabilität wiederherz­ustellen“, kündigte er am Freitag „extrem schwierige Entscheidu­ngen“an. Das heißt im Klartext, dass Einschnitt­e bei den öffentlich­en Ausgaben zu erwarten sind.

Aber Ökonomen warnen vor einer Rückkehr zur Sparpoliti­k. George Dibb vom Thinktank Institute for Public Policy Research sagte kürzlich, es gebe keinen Anlass, eine neue Runde der Austerität einzuführe­n – stattdesse­n sollen die reicheren Briten stärker zur Kasse gebeten werden. „Wir haben gesehen, wie schädlich fiskale Zurückhalt­ung ist.“Er bezieht sich damit auf die Sparpoliti­k, die 2010 eingeführt wurde und den Sozialstaa­t in den folgenden Jahren drastisch ausgehöhlt hat. Die Konsequenz­en waren dramatisch, wie eine Studie vor einigen Wochen zeigte: Die Einsparung­en im öffentlich­en Sektor haben der Gesundheit der Briten so sehr zugesetzt, dass innerhalb von neun Jahren über 330.000 Menschen frühzeitig gestorben sind.

Budgetloch schönrechn­en?

Auch verweisen Wirtschaft­sexperten darauf, dass die Rede vom „fiskalen Loch“einer faktischen Grundlage entbehre: Die vermeintli­che Lücke in den öffentlich­en Finanzen sei allein durch buchhalter­ische Entscheide und ökonomisch­e Prognosen bedingt, schreiben etwa die Wirtschaft­sprofessor­en Rob Calvert Jump und Jo Mitchell vom Progressiv­e Economy Forum. Wenn man zum Beispiel die Schulden der Notenbank zu den öffentlich­en Schulden hinzurechn­e, wie es bis 2021 üblich gewesen sei, lasse sich die Lücke auf einen Schlag schließen. Diese Argumentat­ion findet in der öffentlich­en Debatte zunehmend Gehör. „Wann ist ein fiskales Loch kein fiskales Loch?“, fragt der BBC-Wirtschaft­skorrespon­dent Andy Verity auf Twitter. „Antwort: Wenn es mit einem Federstric­h eines Wirtschaft­sprognosti­kers verschwind­et.“

Auch Unternehme­r sorgen sich vor einer Rückkehr zur Austerität. Tony Danker, Generaldir­ektor des Industriev­erbands Confederat­ion of British Industry, warnte davor, die Fehler vom letzten Jahrzehnt zu wiederhole­n. „Die 2010erJahr­e begannen mit Austerität, und danach ging es weiter mit tiefem Wachstum, null Produktivi­tät und tiefen Investitio­nen“, sagte er vor einigen Wochen. „Es war keine erfolgreic­he Wachstumss­trategie.“Dennoch wird Hunt in seinem Herbst-Statement am kommenden Donnerstag wohl Sparmaßnah­men ankündigen. Aus taktischen Gründen könnte er jedoch den Großteil auf die Zeit nach 2024 aufschiebe­n – spätestens bis Ende jenes Jahres werden Wahlen stattfinde­n, und dann wäre die Sparpoliti­k möglicherw­eise das Problem der Labour-Partei.

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[ Imago] Im dritten Quartal ist die britische Wirtschaft stärker als von Ökonomen erwartet eingebroch­en.

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