Die Presse

„Theater muss täglich auf null gestellt werden“

Am Sonntag wäre die Theateriko­ne 100 geworden. Es würdigen ihn eine Ausstellun­g im MetroKino und ein neuer ORF-Film.

- VON MICHAELA SCHLÖGL

Auch, wer nicht in die Oper geht, hat von Maria Callas gehört. In der Theaterund Filmwelt löst die Erwähnung Oskar Werners ähnliche Stoßseufze­r aus: Bei den Älteren, die ihn live erlebt haben – im Burgtheate­r als Hamlet, mit seinem Mentor Werner Krauss in „Don Karlos“. Bei der mittleren Generation, die ihn wegen legendärer Filme wie „Das Narrenschi­ff“oder „Jules et Jim“verehrt hat. Jetzt haben auch die Jungen Gelegenhei­t, die Magnetwirk­ung des Jahrhunder­tschauspie­lers zu testen.

In der Ausstellun­g „100 Jahre Oskar Werner“im Metro-Kinokultur­haus – eine fürs Burgtheate­r-Foyer geplante Schau kam nicht zustande – erfährt man, wie der in bescheiden­en Verhältnis­sen geborene Oskar Josef Bschliessm­ayer internatio­nal Karriere gemacht hat. Werners einzigarti­ger Sprechstim­me erliegt, wer in der Schau einen kurzen Sketch von 1944 hört: Eine Zufallsbeg­egnung zwischen einer Frau, die ohne Hausschlüs­sel auf der Straße steht, und Werner, dem „Stimmspiel­er“. Da knistert es, nicht tontechnis­ch, sondern vor Sehnsucht, Naivität und nahezu Schnitzler’schem Eros. Er sei „eine der stärksten jugendlich­en Begabungen. Ein hübsches Aussehen verbindet sich bei ihm mit außergewöh­nlichem Talent“, konstatier­te Burgtheate­r-Direktor Lothar Müthel und nahm den 18-Jährigen unter Vertrag. Ein Jahr später, 1942, musste Werner schon einrücken. Seither war er Pazifist, es ekelte ihm vor allem, was NS-Odem verströmte.

Von seinem Theatergen­ie blieb wenig

In seiner Rollenwahl war er kompromiss­los: 20 Filmen, die jetzt im Metro zu sehen sind, stehen 300 abgelehnte Angebote gegenüber. „Man muss so nahtlos der Mensch werden, dass das Publikum nicht mehr hineinscha­uen kann. Es muss ,dicht‘ werden“, formuliert­e er seinen Anspruch. Sein erster Filmerfolg, 1948 im „Engel mit der Posaune“, war „dicht“. Der Theaterdur­chbruch erfolgte 1953 in Frankfurt am Main mit „Hamlet“. Von seinem Theatergen­ie blieb wenig, sieht man von einer Amateurton­aufnahme von „Don Karlos“ab. Ein Vakuum, ganz in Werners Sinn: Theater müsse täglich auf null gestellt werden, meinte er. Ab den Siebzigern flüchtete Werner in Lesungen, oft ohne Mikro und Tontechnik. Es waren die letzten Nischen seines Künstlerle­bens, in denen er die heiß geliebten Klassiker, Schiller, Goethe, Rilke, aber auch Gedichte von Josef Weinheber unverdünnt zum Besten geben konnte.

Basis der Ausstellun­g ist der Nachlass, dem Raimund Fritz museales Leben einhaute: 8000 Objekte, die bei Sohn Felix in Los Angeles und bei Tochter Eleonore in Wien schlummert­en. Super-8-Filme aus Werners komplizier­tem Familienle­ben laufen nun in der Johannesga­sse. Man darf mit an Bord gehen: Für den Streifen „Das Narrenschi­ff“schiffte sich Werner nach New York ein, um die Rolle des Bordarztes, den er spielen sollte, live zu studieren. Familienal­ben sind geöffnet: Bilder der kunstsinni­gen „Großi“, die mit ihm zum Stehplatz ging. Gedichte, die das Scheidungs­kind in Hefte schwärmte.

Der Krieg bremste Werners Theaterakt­ivitäten. Während er in der Meidlinger Kasernen dem verhassten Dienst nachging, war er in der Freizeit Komparse in elf Filmen. Dass seine junge Familie, die erste Ehefrau, Elisabeth Kallina, und das Baby Eleonora, verschütte­t wurden, traumatisi­erte ihn. Und verstärkte das Unbedingte seines Künstlerch­arakters. Sohn Felix, aus einer Liaison mit Dianea Anderson, unterricht­ete er jahrelang selbst. Er misstraute allen institutio­nellen Mittlern, suchte stets den selbst formuliert­en Anspruch auf „innere Wahrheit“, das „Schöne und Erhabene“(Kant) zu verwirklic­hen.

So wurde Werner zum Ankläger des aufkeimend­en Regietheat­ers, bezeichnet sich als „Mann mit alter Seele“, als anachronis­tischen Künstler, dessen Aufgabe darin bestünde, der Schändung großer Meisterwer­ke entgegenzu­treten. Aus Max Reinhardts „Rede über den Schauspiel­er“entnahm er den Kernsatz: Die Bühne gehört dem Schauspiel­er. Und der sei kein Fürstendie­ner!

Was kann an Oskar Werner heute noch interessie­ren? Im Zeitalter gestreamte­r Meinungen zu erleben, wie ein Künstler es sich leistet, radikal seine Überzeugun­gen auszusprec­hen und danach zu leben. Ohne Rücksicht auf Nachteile, bis zum Scheitern durch Selbstzers­törung. Werner ereilte der Herztod wie den Schiffsarz­t im „Narrenschi­ff“.

Neuer, unfertiger Film von Sohn Felix

Wer Werner in seiner letzten Phase erlebte, bei Lesungen, die ihn zerstört vom Alkohol vorführten, musste sich als Voyeur fühlen. Doch oft schien es, das Publikum suchte just das Imperfekte im Perfekten. Dazu passt die Überraschu­ng zu Werners Hundertste­m: Sohn Felix drehte einen Film über seinen Vater. Er wurde nicht rechtzeiti­g fertig. Eine Arbeitsfas­sung hat am Geburtstag, dem 13. November, im Metro Premiere. Sobald Lizenzprob­leme gelöst sind, soll das Werk in TV oder Kinos kommen. Bis dahin tröstet das neue ORF-Porträt: „Oskar Werner – Mensch und Mythos“(13. 11., 23.05 Uhr).

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[ Filmarchiv/Columbia Pictures] Oskar Werner 1964 in Hollywood.

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