„Theater muss täglich auf null gestellt werden“
Am Sonntag wäre die Theaterikone 100 geworden. Es würdigen ihn eine Ausstellung im MetroKino und ein neuer ORF-Film.
Auch, wer nicht in die Oper geht, hat von Maria Callas gehört. In der Theaterund Filmwelt löst die Erwähnung Oskar Werners ähnliche Stoßseufzer aus: Bei den Älteren, die ihn live erlebt haben – im Burgtheater als Hamlet, mit seinem Mentor Werner Krauss in „Don Karlos“. Bei der mittleren Generation, die ihn wegen legendärer Filme wie „Das Narrenschiff“oder „Jules et Jim“verehrt hat. Jetzt haben auch die Jungen Gelegenheit, die Magnetwirkung des Jahrhundertschauspielers zu testen.
In der Ausstellung „100 Jahre Oskar Werner“im Metro-Kinokulturhaus – eine fürs Burgtheater-Foyer geplante Schau kam nicht zustande – erfährt man, wie der in bescheidenen Verhältnissen geborene Oskar Josef Bschliessmayer international Karriere gemacht hat. Werners einzigartiger Sprechstimme erliegt, wer in der Schau einen kurzen Sketch von 1944 hört: Eine Zufallsbegegnung zwischen einer Frau, die ohne Hausschlüssel auf der Straße steht, und Werner, dem „Stimmspieler“. Da knistert es, nicht tontechnisch, sondern vor Sehnsucht, Naivität und nahezu Schnitzler’schem Eros. Er sei „eine der stärksten jugendlichen Begabungen. Ein hübsches Aussehen verbindet sich bei ihm mit außergewöhnlichem Talent“, konstatierte Burgtheater-Direktor Lothar Müthel und nahm den 18-Jährigen unter Vertrag. Ein Jahr später, 1942, musste Werner schon einrücken. Seither war er Pazifist, es ekelte ihm vor allem, was NS-Odem verströmte.
Von seinem Theatergenie blieb wenig
In seiner Rollenwahl war er kompromisslos: 20 Filmen, die jetzt im Metro zu sehen sind, stehen 300 abgelehnte Angebote gegenüber. „Man muss so nahtlos der Mensch werden, dass das Publikum nicht mehr hineinschauen kann. Es muss ,dicht‘ werden“, formulierte er seinen Anspruch. Sein erster Filmerfolg, 1948 im „Engel mit der Posaune“, war „dicht“. Der Theaterdurchbruch erfolgte 1953 in Frankfurt am Main mit „Hamlet“. Von seinem Theatergenie blieb wenig, sieht man von einer Amateurtonaufnahme von „Don Karlos“ab. Ein Vakuum, ganz in Werners Sinn: Theater müsse täglich auf null gestellt werden, meinte er. Ab den Siebzigern flüchtete Werner in Lesungen, oft ohne Mikro und Tontechnik. Es waren die letzten Nischen seines Künstlerlebens, in denen er die heiß geliebten Klassiker, Schiller, Goethe, Rilke, aber auch Gedichte von Josef Weinheber unverdünnt zum Besten geben konnte.
Basis der Ausstellung ist der Nachlass, dem Raimund Fritz museales Leben einhaute: 8000 Objekte, die bei Sohn Felix in Los Angeles und bei Tochter Eleonore in Wien schlummerten. Super-8-Filme aus Werners kompliziertem Familienleben laufen nun in der Johannesgasse. Man darf mit an Bord gehen: Für den Streifen „Das Narrenschiff“schiffte sich Werner nach New York ein, um die Rolle des Bordarztes, den er spielen sollte, live zu studieren. Familienalben sind geöffnet: Bilder der kunstsinnigen „Großi“, die mit ihm zum Stehplatz ging. Gedichte, die das Scheidungskind in Hefte schwärmte.
Der Krieg bremste Werners Theateraktivitäten. Während er in der Meidlinger Kasernen dem verhassten Dienst nachging, war er in der Freizeit Komparse in elf Filmen. Dass seine junge Familie, die erste Ehefrau, Elisabeth Kallina, und das Baby Eleonora, verschüttet wurden, traumatisierte ihn. Und verstärkte das Unbedingte seines Künstlercharakters. Sohn Felix, aus einer Liaison mit Dianea Anderson, unterrichtete er jahrelang selbst. Er misstraute allen institutionellen Mittlern, suchte stets den selbst formulierten Anspruch auf „innere Wahrheit“, das „Schöne und Erhabene“(Kant) zu verwirklichen.
So wurde Werner zum Ankläger des aufkeimenden Regietheaters, bezeichnet sich als „Mann mit alter Seele“, als anachronistischen Künstler, dessen Aufgabe darin bestünde, der Schändung großer Meisterwerke entgegenzutreten. Aus Max Reinhardts „Rede über den Schauspieler“entnahm er den Kernsatz: Die Bühne gehört dem Schauspieler. Und der sei kein Fürstendiener!
Was kann an Oskar Werner heute noch interessieren? Im Zeitalter gestreamter Meinungen zu erleben, wie ein Künstler es sich leistet, radikal seine Überzeugungen auszusprechen und danach zu leben. Ohne Rücksicht auf Nachteile, bis zum Scheitern durch Selbstzerstörung. Werner ereilte der Herztod wie den Schiffsarzt im „Narrenschiff“.
Neuer, unfertiger Film von Sohn Felix
Wer Werner in seiner letzten Phase erlebte, bei Lesungen, die ihn zerstört vom Alkohol vorführten, musste sich als Voyeur fühlen. Doch oft schien es, das Publikum suchte just das Imperfekte im Perfekten. Dazu passt die Überraschung zu Werners Hundertstem: Sohn Felix drehte einen Film über seinen Vater. Er wurde nicht rechtzeitig fertig. Eine Arbeitsfassung hat am Geburtstag, dem 13. November, im Metro Premiere. Sobald Lizenzprobleme gelöst sind, soll das Werk in TV oder Kinos kommen. Bis dahin tröstet das neue ORF-Porträt: „Oskar Werner – Mensch und Mythos“(13. 11., 23.05 Uhr).