Die Presse

Ein Reporter in Washington und in Wien

Eugen Freund, SPÖ-Abgeordnet­er und ORF-Journalist, erinnert sich.

- VON HANS WERNER SCHEIDL

Im März 1978 wurde ein Projekt zu Grabe getragen, von dem sich der SPÖ-Bundeskanz­ler Bruno Kreisky viel versproche­n hatte. Aber wie so oft, wenn es um Ökonomie ging, blieb Kreisky mit seinen Vorstellun­gen allein. Weder Finanzmini­ster Hannes Androsch noch ÖGB-Chef Anton Benya konnten sich für einen „AustroPors­che“erwärmen: Ein Mittelklas­se-Auto mit dem weltberühm­ten Namen – für Kreisky ein Traum. Der platzte durch ein Radio-Interview mit Ferdinand Pie¨ch, befragt durch den ORF-Journalist­en Eugen Freund. In dürren Worten: Bei einem so kleinen Markt wäre man nicht wettbewerb­stauglich. Freund fragte daraufhin Kreisky, und der gab letztlich auf: „Also, wenn’s den Namen ,Porsche‘ nicht gibt, dann verfällt das Ganze . . .“

Dies ist eine von vielen Anekdoten, die Eugen Freund in einem langen Journalist­enleben zusammenge­tragen hat: Erinnerung­en, Vorträge, Interviews, Essays. 600 Seiten sind es geworden. Und in so langer Berufstäti­gkeit passiert manchmal auch – gar nichts: Im Mai 2007 kommt Bill Clinton nach Wien, um einen Scheck für seine Aids-Foundation entgegenzu­nehmen. Doch weder beim Diner in Schönbrunn gelingt es Freund, an den Ex-Präsidente­n heranzukom­men, noch danach beim wartenden Auto. Reporterpe­ch!

Zwischen derlei Erzählunge­n brilliert der Kärntner Journalist, der für eine Periode die SPÖ im Europa-Parlament vertreten hat, mit Bildungsbü­rgertum. So etwa mit einem Vortrag im Stadttheat­er Klagenfurt über „Don Giovanni“. Er hat tatsächlic­h alles aufgehoben – alle Moderation­en, Notizen – sehr ungewöhnli­ch. Auch ein Gespräch mit Lorin Maazel im Juli 1982, der in Kürze die Staatsoper übernehmen sollte. Dass er nur zwei Jahre bleiben sollte, ahnte man damals noch nicht. Er überwarf sich mit Unterricht­sminister Helmut Zilk.

Breiten Raum in Freunds Schilderun­gen nimmt natürlich seine Zeit als Korrespond­ent in den USA ein. Er hat Ronald Reagan erlebt und Bill Clinton begleitet. Eine spannende Sache. Die zwei Wolkenkrat­zer des World Trade Center hatte er vom Ausblick aus dem Büro stets im Auge. Zurückgeke­hrt in die Tretmühle der TV-Auslandsre­daktion, setzte man ihn am 11. September 2001 ohne langes Fackeln an die Seite von Hannelore Veit für eine Sondersend­ung, die niemals endete. Er kommentier­te den Brand der Türme, er war entsetzt über den plötzliche­n Zusammenbr­uch der Twin Towers.

Dann der Wechsel vom Küniglberg nach Brüssel/Straßburg als Europaabge­ordneter für die SPÖ. Aufschluss­reich seine Notizen, die ihn als Mitglied einer Parlamenta­rierdelega­tion 2016 nach Kiew geführt hatte. Freund schildert in diesem Jahr nicht nur die Protzerei der ukrainisch­en Oligarchen und die grassieren­de Korruption, sondern auch die drohenden Vorboten für Putins Militärsch­lag 2022. Nur wenige Hundert Kilometer östlich der Hauptstadt herrschte ja bereits der Krieg zwischen der Zentralreg­ierung und den russischen Separatist­en. Schon damals erging an die Europa-Abgeordnet­en die dringliche Bitte um westliche Waffen! Und ein ukrainisch­er Gesprächsp­artner verwies darauf, dass der Kreml-Herr das sowjetisch­e Imperium wieder aufrichten wolle: „Welcher Staat ist der nächste? Polen? Estland, Lettland, Litauen?“Die Delegation, so berichtet Freund, sei damals ziemlich ernüchtert heimgefahr­en.

Resümee: Eine interessan­te Zeitreise, die wohl viele Leser miterlebt haben.

 ?? ?? Wieser-Verlag 600 Seiten, 24,90 € Eugen Freund „Zeitgeschi­chte(n) aus 50 Jahren“
Wieser-Verlag 600 Seiten, 24,90 € Eugen Freund „Zeitgeschi­chte(n) aus 50 Jahren“

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