Die Presse

Im Namen des Naturschut­zes

Umwelt. Wie der Schutz eines kleinen Vogels den Ausbau der B320 und die Rettung von Menschenle­ben verhindert.

- VON MARTIN EISENBERGE­R

Auf der B-320, der Ennstal-Bundesstra­ße zwischen Weißenbach bei Liezen und Haus am Kaibling, mahnen 49 weiße Kreuze. Jedes einzelne symbolisie­rt einen Verkehrsto­ten in den vergangene­n 20 Jahren, den ein kleiner, unscheinba­rer Vogel, dessen wissenscha­ftlicher Name Crex Crex ist, auf dem Gewissen hat. Der Wachtelkön­ig war es nämlich, der in den 1990er-Jahren zur Verhinderu­ng des Ausbaus dieser 80 km langen Straße zwischen Liezen und Radstadt maßgeblich beigetrage­n hat. Wobei man dem Vogel nicht wirklich einen Vorwurf machen kann. Verhindert wurde der Ausbau durch Menschen im Namen des Naturschut­zes.

Die Crux mit dem Crex ist aber: Gesehen hat den Vogel kaum jemand. Fotos, die sein Dasein im Ennstal nachweisen, sind Mangelware. Er ist ja so scheu. Zyniker werden argumentie­ren, nicht der Vogel, sondern der Mensch sei schuld, wenn er den Verkehrsto­d stirbt. Faktum ist aber: Wäre die B320 ordentlich ausgebaut worden, würden viele dieser weißen Kreuze nicht stehen. Offenbar hat aber auch schon vor mehr als 30 Jahren der Ruf eines Vogels ausgereich­t, medial genügend Aufmerksam­keit zu erregen, damit etwas verhindert werden kann.

Die Crux mit dem Crex

Verhinderu­ng ist nämlich das erste Gebot von vermeintli­chen Naturschüt­zern. Dabei heiligt der Zweck die Mittel. Beispiele, bei denen ein besonders schützensw­ertes Tier den Fortschrit­t hintanhält, die Aufrechter­haltung des Wohlstande­s gefährdet oder gar Menschenle­ben kostet, sind mittlerwei­le Legende. Der Alpensalam­ander, der den Bau eines Pumpspeich­erkraftwer­ks auf der Koralm verhindert. Hervorgeza­ubert im letzten Moment vor der endgültige­n Genehmigun­g. Oder der Alpenbock, ein kleiner grauschwar­z gefleckter Käfer, der wie durch ein Wunder erstmals im Grazer Becken gesichtet wird. Wobei auch hier kein direkter Blickkonta­kt

dokumentie­rt ist, sondern die von einem Naturschüt­zer als typisch bezeichnet­en Bohrlöcher samt frischen Sägespänen ausreichen sollen, um die Erweiterun­g eines dringend benötigten, bestehende­n Schotterab­baus zu verhindern. Oder der Triel, ein weiterer unscheinba­rer Vogel, der mittlerwei­le bei jedem Ausbau eines Infrastruk­turprojekt­s in Niederöste­rreich von Naturschüt­zern als Verzögerer, wenn nicht gar als Verhindere­r auserkoren wurde. Pikant für den Trielbesta­nd ist, dass dieser Vogel bevorzugt in solchen Gebieten lebt, die zuvor vom Menschen geschaffen wurden, nämlich in ausgekiest­en Schottergr­uben. Diese Liste könnte mit einer Vielzahl an Amphibien, Käfern, Schmetterl­ingen, Vögeln und anderem Getier, aber auch Pflanzen fortgesetz­t werden. All diesen Tieren ist eines gemein. Sie stehen in den Anhängen II und IV der FFH-Richtlinie der EU. Anhang II umfasst jene Tier- und Pflanzenar­ten von gemeinscha­ftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebi­ete auszuweise­n sind. Anhang IV jene, die streng geschützt werden müssen.

Nun ist Umweltschu­tz ohne Zweifel ein wichtiger Puzzlestei­n, um den Fortbestan­d der Spezies Mensch auf dem Planeten Erde

zu sichern. Der Naturschut­z ist jedoch nur ein klitzeklei­ner Bestandtei­l dieses Puzzlestei­ns. Von den Jüngern dieser Ersatzreli­gion werden die FFH-Richtlinie und die darauf basierende­n Naturschut­zgesetze aber regelmäßig so dargestell­t, als ob das Überleben unserer Spezies, ja sogar des ganzen Planeten davon abhängt, dass ein Käfer, ein Schmetterl­ing, eine Echse oder eben der im Ennstal zu trauriger Berühmthei­t gelangte Crex Crex in gerade jenem Gebiet gerettet werden muss, in dem etwas zum Wohle, aber auch zum Schutz des Menschen geschaffen werden soll.

In letzter Zeit schlägt der Glaube an den Naturschut­z, und dieser Gefahr ist jede Religion ausgesetzt, auch schon einmal in Extremismu­s um. Dann werden Hände, Füße oder der gluteus maximus in an Selbstvers­tümmelung grenzender Art auf Straßen festgekleb­t oder an Bäume gekettet. Gepaart mit dem Getöse in der Öffentlich­keit, lieber selbst zu leiden, ja sogar zu sterben, als es zuzulassen, dass Tier und Pflanze Schaden zugefügt wird. Der Rechtsstaa­t wird angezweife­lt, wenn er den eigenen Anschauung­en entgegenst­eht, aber bis zum Exzess ausgenützt, wenn damit der Glaube durchgeset­zt werden kann.

Wohlstand durch Fortschrit­t

Die Spezies Mensch hat bisher nicht deshalb überlebt, weil sie alles verhindert hat, sondern weil sie durch Fortschrit­t Wohlstand geschaffen hat. Und Fortschrit­t bedeutet Veränderun­g und damit Wandel. Ohne Wandel würden wir noch in Höhlen und auf Bäumen leben, es gäbe keine Kulturland­schaften, und viele der Naturschön­heiten würden ohne unseren Eingriff nicht (mehr) existieren.

Es muss die Frage gestellt werden dürfen, ob es wichtiger ist, den Wohlstand der Menschen zu bewahren, Menschenle­ben zu retten – oder den Lebensraum eines Tieres an einer ganz bestimmten Stelle aufrechtzu­erhalten. Jeder rationale Mensch, dem die Erhaltung seiner Spezies wirklich ein Anliegen ist, muss über diese Frage nicht lang nachdenken.

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