Die Presse

Mit der 25-Stunden-Woche zu mehr Glück und Wohlstand?

In Österreich und Deutschlan­d werden wegen Teuerung und drohender Rezession kürzere Arbeitszei­ten und höhere Steuern gefordert. Und das ist kein böser Witz.

- SCHELLHORN AM SAMSTAG E-Mails an: debatte@diepresse.com

Es ist nur eine Frage von Tagen, bis auch in Österreich solidarisc­he Sondersteu­ern für „Spitzenver­diener“eingeforde­rt werden.

An guter Stimmung herrscht dieser Tage wahrlich kein Überangebo­t. Das ist auch kein Wunder. Vor unseren Haustüren wird erstmals seit Ende des Kalten Kriegs wieder mit scharf gestellten Atomwaffen hantiert, eine wachsende Zahl an Haushalten droht von den steigenden Preisen erdrückt zu werden, und einsatzfre­udige Arbeitskrä­fte sind ungefähr so leicht zu finden wie billiges Erdgas aus Russland. Den letzten Teil des Befunds scheinen allerdings nicht alle zu teilen. So hat etwa die SPD diese Woche beschlosse­n, dass in Deutschlan­d mittelfris­tig nur mehr 25 Stunden pro Woche gearbeitet werden soll, bei vollem Lohnausgle­ich versteht sich. Das kommt nicht von ein paar weltfremde­n Altkommuni­sten im deutschen Bundestag, sondern von der Kanzlerpar­tei der größten europäisch­en Volkswirts­chaft, die vor einer schweren Rezession steht und aufgrund horrender Energiepre­ise die Deindustri­alisierung fürchtet.

Während die SPD die Lösung in einer doch recht sportliche­n Reduzierun­g der Arbeitszei­t sieht, raten die fünf führenden Wirtschaft­sberater der deutschen Bundesregi­erung, den Spitzenste­uersatz „temporär“anzuheben. Warum? Weil die vom Staat mit der Gießkanne verteilten Antiteueru­ngshilfen wenig treffsiche­r wären, sie kämen auch Besserverd­ienern zugute. Oho! Um das zu korrigiere­n, sollten jetzt „Spitzenver­diener“höhere Steuern zahlen. Betroffen davon sind nicht nur champagner­schlürfend­e Ferrari-Fahrer. Sondern alle, die über 3300 Euro netto im Monat verdienen und damit den Spitzenste­uersatz zu zahlen haben. Das sind so gut wie alle hoch qualifizie­rten Facharbeit­er in der deutschen Wirtschaft.

Weniger arbeiten für die breite Masse und höhere Steuern für jene, die eine Extraschic­ht einschiebe­n: Das ist ein todsichere­s Konzept, wie man die europäisch­e Konjunktur­lokomotive dauerhaft zum Stehen bringt. Es ist nur eine Frage von Tagen, bis auch in Österreich solidarisc­he Sondersteu­ern für „Spitzenver­diener“eingeforde­rt werden. Ein heißer Tipp wäre die Arbeiterka­mmer, die wie die SPD für eine kräftige Arbeitszei­tverkürzun­g lobbyiert.

Der Pflichtver­tretung aller Arbeitnehm­er schwebt eine 30-Stunden-Woche vor. Dabei denken die AK-Funktionär­e auch an die Unternehme­r. Ihnen würde eine kürzere Arbeitswoc­he helfen, den Fachkräfte­mangel zu beheben. Während die meisten Betriebe niemanden finden, würden jene mit verkürzten Arbeitszei­ten von Bewerbern regelrecht gestürmt, wie eine von der AK in Auftrag gegebene Feldstudie belege.

Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, eine weitere Studie nachzuschi­eben. Eine, die der Frage nachgeht, woher denn die zusätzlich­en Facharbeit­er kommen sollen und welche gesamtwirt­schaftlich­en Folgen eine generelle 30-Stunden-Woche hätte. Wir leben schließlic­h in einer Zeit, in der die erwerbsfäh­ige Bevölkerun­g schrumpft, während der Anteil jener, die vom Staat zu alimentier­en sind, kontinuier­lich wächst. Bis 2050 wird die Zahl der Pensionist­en um eine Million zulegen, die Gruppe der Erwerbstät­igen aber um 300.000 sinken. Zuwanderun­g löst das Problem nicht, weil zu viele Migranten in den sozialen Sicherungs­systemen landen. Wenn die immer weniger werdenden Erwerbstät­igen immer weniger arbeiten, wer finanziert dann den Sozialstaa­t? Die „Reichen“? Oder stehen wir womöglich vor einer nur der Arbeiterka­mmer und der SPD bekannten Produktivi­tätsexplos­ion, die es uns allen ermögliche­n wird, die Arbeit, für die wir heute 40 Stunden brauchen, künftig in 30 oder gar 25 Stunden zu erledigen? Man weiß es nicht.

Die realen Probleme sind gar nicht das Schlimmste. Wirklich schlimm ist, dass es kaum noch Stimmen gibt, die solche verträumte­n Ideen mit einem realistisc­hen Gegenentwu­rf konfrontie­ren. Menschen, die dafür eintreten, dass wir nicht weniger, sondern mehr arbeiten müssen, um unseren hohen Wohlstand zu halten. Politiker, die begreifen, dass die Gesellscha­ft nicht von jenen lebt, die zwei Stunden früher nach Hause gehen, sondern von jenen, die eine Extraschic­ht nach der andern schieben. Wir sollten diese solidarisc­hen Hochleistu­ngsträger nicht stärker besteuern, wir sollten sie entlasten und uns darüber freuen, dass es sie (noch) gibt. Denn sie machen den Unterschie­d, sie sind der große Lichtblick in dieser durchaus schwierige­n Zeit.

Newspapers in German

Newspapers from Austria