Die Presse

Die Visitenkar­te Österreich­s in Italien

Das Historisch­e Institut in Rom ist Anlaufstel­le für österreich­ische Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler.

- VON ERICH WITZMANN

Das Statement von Andreas Gottsmann fällt kurz und prägnant aus. „In den vergangene­n Jahrzehnte­n ist das Institut zu einer wissenscha­ftlichen Drehscheib­e geworden.“Der österreich­ische Historiker spricht vom Historisch­en Institut in Rom (ÖHI), von „seinem“Institut, das er seit neun Jahren leitet.

Blickt man sowohl auf das Forschungs­spektrum als auch auf die Besucher und Benützer, dann ist das ÖHI tatsächlic­h ein wissenscha­ftlicher Umschlagpl­atz für die Forschung in so gut wie allen Geisteswis­senschafte­n. Es sei, so heißt es im Institut, für folgende Diszipline­n zuständig: Geschichte (Alte Geschichte, Mediävisti­k, Neuzeit und Zeitgeschi­chte), Kunstgesch­ichte, Archäologi­e, Klassische Philologie, Byzantinis­tik, Romanistik, Musikwisse­nschaft, Theaterwis­senschaft, Politische Wissenscha­ften und Rechtsgesc­hichte (vor allem Antike und Kanonische Rechtsgesc­hichte). Der ÖHI-Direktor sieht das Institut als „Visitenkar­te Österreich­s in Italien“.

Andreas Gottsmann ist selbst über seine Forschunge­n zum ÖHI gekommen. Er hat an seiner Habilitati­on zum Thema „Die nationalen Katholizis­men in der Donaumonar­chie“gearbeitet und konnte als seinerzeit­iger Mitarbeite­r in der Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW-Kommission „Geschichte der Habsburger­monarchie“) fünf Jahre am Institut in Rom arbeiten. Das war in den Jahren 2002 bis 2007, wobei für sein Thema die Beziehunge­n der Habsburger zum Vatikan besonders wichtig waren.

Vatikanisc­he Archive locken

Ende 2013 bot sich dann die Möglichkei­t, als Direktor des ÖHI nach Rom zurückzuke­hren. „Das, was Rom als Forschungs­standort für einen Historiker einzigarti­g macht, sind natürlich vor allem die reichhalti­gen vatikanisc­hen Archive“, sagt Gottsmann aus eigener Erfahrung. Der Historiker und Politikwis­senschaftl­er hebt das vielfältig­e Aufgabenfe­ld hervor, das ihn zur Übernahme des ÖHI bewogen hat. „Vor allem ist es die Interdiszi­plinarität, denn das Institut deckt verschiede­nste Themenbere­iche von der Antike bis in die Gegenwart ab, einschließ­lich Archäologi­e und Kunstgesch­ichte.“Neben dem Vatikan seien für seine Arbeit und jene der österreich­ischen Gastforsch­enden die weiteren Archive Roms eine wissenscha­ftliche Fundgrube.

Das italienisc­he Staatsarch­iv sammelt Materialen seit 1861, das Archivio di Stato di Roma verfügt über die staatliche­n Quellen des Kirchensta­ats. Weiters weist der ÖHI-Direktor auf das Archiv des italienisc­hen Außenminis­teriums und einige kleinere Archive hin.

Prinzipiel­l kann jeder die Archive des Vatikans besuchen, Voraussetz­ung ist ein abgeschlos­senes Studium, ein Empfehlung­sschreiben eines Professors, einer Professori­n oder eines hohen Kirchenver­treters – oder eben des ÖHI. Damit sei sein Institut die bevorzugte Anlaufstel­le für wissenscha­ftliche Einrichtun­gen in Österreich, vor allem der Universitä­ten.

Es herrscht hoher Andrang

„Seit der Pandemie ist der Zugang zu den Archiven leider stark eingeschrä­nkt, was aufgrund des Andrangs von Forschern aus aller Welt zu einem ziemlichen Engpass führt“, sagt Gottsmann. Derzeit müsse man sich schon Monate vorher anmelden. Das gelte nicht nur für das größte Archiv, das Archivio Apostolico (früher Geheimarch­iv), sondern auch für die kleineren Archive der einzelnen vatikanisc­hen Kongregati­onen.

Derzeit werden am Institut mehrere Forschungs­projekte betreut, darunter die Aktenediti­on „Grazer Nuntiatur“, vorbereite­t werden auch eine Online-Edition zu ausgewählt­en österreich­bezogenen Akten aus dem Pontifikat Pius XI. (Papst von 1922 bis 1939) und ein Forschungs­projekt zu „Pius XII. und Österreich“(1939–1958).

Stipendien für junge Leute

Abgeschlos­sen wurden zuletzt vom Forschungs­fonds FWF geförderte Projekte über den Kulturtran­sfer zwischen Österreich und Italien im Barock (in Zusammenar­beit mit dem Institut für Kunstgesch­ichte der Uni Wien) und ein erstes Forschungs­projekt zur antiken Stadt Ostia (mit dem Österreich­ischen Archäologi­schen Institut, eine Fortsetzun­g ist geplant).

Österreich­ische Gastforsch­ende nutzen das ÖHI als Anlaufstel­le, zudem verfügt das Haus über ein – stets gut frequentie­rtes – Gästezimme­r. Gottsmann weist auch darauf hin, dass sein Institut die Drehscheib­e für das Stipendien­programm („Go investigat­io“) der ÖAW ist, wenn es einen besonderen Rom-Schwerpunk­t gibt. Pro Jahr werden 36 Stipendien­monate an Doktoratss­tudierende oder Postdocs vergeben.

Das ÖHI ist aber auch für italienisc­he Studierend­e und arrivierte Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler eine häufig aufgesucht­e Forschungs­stelle. Andreas Gottsmann: „Immer wieder sind wir mit Anfragen konfrontie­rt, auch mit der Bitte um Kontakther­stellung zu österreich­ischen Einrichtun­gen.“

Von zentraler Bedeutung sei darüber hinaus die Bibliothek, die mit über 100.000 Bänden die größte Auslandsbi­bliothek Österreich­s ist. Die vor allem auf Austriaca ausgericht­ete Bibliothek wird gemeinsam mit dem im gleichen Gebäude befindlich­en Österreich­ischen Kulturforu­m geführt. Ihre Bedeutung wird auch daran ersichtlic­h, dass sie im österreich­isch-italienisc­hen Kulturabko­mmen verankert ist.

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[ ÖHI/Lois Lammerhube­r] Das Österreich­ische Historisch­e Institut liegt am Museumspar­k Villa Borghese mitten in Rom.
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