Einst Stacheldraht, heute Naturjuwel
Das Grüne Band ist Europas größtes Verbundsystem von Lebensräumen: Beim ehemaligen Eisernen Vorhang gibt es aber noch viel zu tun, um die Durchgängigkeit für Flora und Fauna zu verbessern.
Eine Wiese, die gemäht wird, sieht auf Satellitenbildern plötzlich völlig anders aus. Ein Laubwald, der im Herbst die Blätter verliert, ändert ebenso sein Erscheinungsbild wie ein geerntetes Kukuruzfeld. Solche Veränderungen über den Jahresverlauf sind kein Problem mehr bei der Auswertung von Satellitenbildern im Projekt „Dare to Connect“. Mit Partnern aus acht europäischen Ländern fokussierte das EU-Projekt auf die Vernetzung der Naturschutzgebiete entlang des Grünen Bands. So heißt der ganze Bereich am ehemaligen Eisernen Vorhang, der sich quer durch Europa zieht und in dem die Natur einen Rückzugsort findet: auf Flächen, die jahrzehntelang so gut wie menschenleer waren.
Ein Problem zu Beginn des Projekts waren die uneinheitlichen Daten zu den Biotopen und Lebensräumen auf den 6800 Kilometern im Donauraum, wo früher die eiserne Grenze war. Daher richtete sich der Blick der Forschenden auf die heruntergeladenen Bilder der Sentinel-Satelliten, die alle fünf Tage über jeden Fleck Europas fliegen und deren Aufnahmen kostenfrei verfügbar sind.
Für eine automatische Auswertung muss das „Machine Learning“-System mit all diesen Infos gefüttert werden, zu welcher Zeit im Jahr eine Wiese grün, bunt oder fahl aussieht, ein Wald gelbe Blätter bekommt oder die Ackerflächen bepflanzt und geerntet werden. „Würde man ausgebildete Botaniker für jeden Quadratmeter des Grünen Bands einsetzen, um vor Ort die Lebensraumtypen zu kartieren, wäre das ein Ding der Unmöglichkeit“, sagt Florian Danzinger vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Uni Wien. Mit seinem Kollegen Stefan Fuchs, dem Umweltbundesamt und der Fernerkundung der Uni Wien überwand das Team einige Hürden, die sich bei einem Gesamtüberblick des Grünen Bands zeigten. Diese erste Frage, wie ein Stück Natur auf Satellitenbildern erfasst und im Detail kartiert wird, haben die Forschenden gelöst: Das System weiß nun, dass ein Wald mit immer gleichmäßigem Grünanteil höchstwahrscheinlich ein Nadelwald ist, und welche Äcker und Wiesen den charakteristischen Farbabfolgen zuzuordnen sind.
Informationen von der Grenze
Dies ist durch den Fokus auf einzelne Pilotregionen gelungen, in denen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst für Feldbegehungen vor Ort waren und in Testgebieten flächendeckend dokumentiert haben, welche Hecke, Böschung und Bewuchs sich dort befinden. Mit den Informationen zur Bodenbedeckung wurden die Satellitendaten abgeglichen, um auch außerhalb der Fokusbereiche die Habitate korrekt zu benennen.
Zu den Pilotregionen gehörte der Nationalpark Bayrischer Wald an der Grenze zum Mühlviertel (OÖ) und zum Nationalpark Šumava in Tschechien sowie die kleinen Karpaten und Marchauen an der Grenze von Niederösterreich zur Slowakei und der Naturpark am Dreiländereck Österreich, Slowenien und Ungarn südlich von Fürstenfeld. Auch am Eisernen Tor zwischen Rumänien und Serbien oder im Donau-Drau-Nationalpark zwischen Ungarn und Kroatien wanderten Fachkundige in allen Jahreszeiten ab 2018 durchs Feld, um die Vielfalt an Lebensräu
men zu bestimmen. Die Vielfältigkeit der verschiedenen Teams führte zu einer weiteren Hürde im Projekt: Jedes Land hatte andere Ausdrücke und Kataloge für die zahlreichen Lebensräume. Die gemeinsame Anstrengung ist gelungen, sodass nun eine einheitliche, europaweite Fachsprache genutzt wird, damit alle Beteiligten von demselben reden.
Wertvolle nicht verbaute Räume
„Die Ausgangslage für das Projekt war ja, dass es im Bereich des früheren Eisernen Vorhangs sehr viele einzelne Naturschutzgebiete gab, weil die meisten Länder den Wert dieser nicht verbauten Räume gesehen haben“, sagt Danzinger. Historisch erklärbar stehen im Grünen Band kaum Siedlungen oder Industrie. Zudem verlaufen Grenzen zwischen Ländern meist an naturgegebenen Flussläufen oder Gebirgszügen, die oft als hochwertige Lebensräume schützenswert sind. „Wir haben nun die Lücken im Netzwerk all der geschützten Regionen sichtbar gemacht und Maßnahmen vorgeschlagen, wie man die Bereiche besser verbinden kann“, sagt Stefan Fuchs. Immerhin gilt das Grüne Band als größtes Biotopverbundsystem Europas, wenn nicht sogar der ganzen Welt: Da gilt es auf die Funktionstüchtigkeit zu achten. Die neuen Daten zeigen, wo Korridore für Fauna und Flora vorhanden sind, und wo man nachhelfen muss, etwa durch die Aufwertung von Agrarlandschaften mit Blühstreifen, Windschutzgürteln oder durch mehr natürliche Gewässerläufe.
„Wir haben die Landschaft sehr genau abgebildet, und sehen, wo etwa Bestäuber und ihre Wirtspflanzen Rückzugsorte finden oder große Säugetiere wandern können“, sagt Danzinger. Es reichen oft Trittsteine, also gut erreichbare Naturinseln zur Lebensraumvernetzung. So profitiert etwa auch die Wildkatze von Verbindungen zwischen der Wachau und dem Thayatal, wie immer mehr Nachweise ihres Vorkommens in Österreich belegen. Zusätzlich zu der gesteigerten Konnektivität und der größeren Artenvielfalt fördern Aufwertungen auch die Ökosystemleistungen des Grünen Bands. „Ein wichtiges Argument für den Naturschutz ist immer der Nutzen für den Menschen“, sagt Stefan Fuchs. Die Teams analysierten 30 verschiedene Ökosystemleistungen, die auch finanziellen Gewinn für die Gesellschaft bringen, etwa beim Wasser- und Nährstoffhaushalt, beim Schutz vor Bodenerosion oder bei der Widerstandsfähigkeit gegen Klimawandelfolgen. „Diese wurden in fünf Hauptservices zusammengefasst“, sagt Fuchs. Neben regulierenden Diensten, die Klimawandel-Resilienz oder Bodenschutz abbilden, und dem Lebensraum-Service, das den Arten Rückzugsorte und Platz für ihre Fortpflanzung bietet, finden sich auch land- und forstwirtschaftliche Produktion und Ressourcen-Entnahme auf der Liste. „Und die Zwecke zur Erholung und Bildung gehören auch zu den Ökosystemleistungen“, sagt Fuchs.
„Wir sehen, dass ein Wald mit Artenvielfalt viel widerstandsfähiger gegen Borkenkäferschäden ist – und zugleich den Wasserhaushalt besser regelt, Hochwasserschutz bietet und gegen Hitzeentwicklung und Austrocknung wirkt“, sagt Danzinger. Letztere Funktionen sind auch bei Aulandschaften und renaturierten Gewässerläufen wichtig.
Natur und Landwirtschaft schützen
Im kommenden geplanten Projekt „Restore to Connect“sollen Maßnahmen zur Umsetzung ausgearbeitet werden. Von der Bucht von Koper in Slowenien über die IsonzoMündung bei Grado in Norditalien bis zum Nationalpark Thayatal wollen die Forschenden die typischen Probleme und Nutzungskonflikte angehen. „In unseren Auswertungen sehen wir, dass die Landwirtinnen und Landwirte nicht die ,bösen‘ Lebensraumvernichter sind, sondern entlang der ihnen gesetzten Rahmenbedingungen agieren“, sagt Danzinger.
Nun sollen Förderprogramme und konkrete Maßnahmen ein sinnvolles Wirtschaften ermöglichen, das zugleich die Natur und die landwirtschaftliche Produktion schützt. „Wir erarbeiten Empfehlungen, um Fördersysteme treffsicherer zu gestalten – in Hinblick auf den Erhalt von Lebensräumen.“