Die Presse

Einst Stacheldra­ht, heute Naturjuwel

Das Grüne Band ist Europas größtes Verbundsys­tem von Lebensräum­en: Beim ehemaligen Eisernen Vorhang gibt es aber noch viel zu tun, um die Durchgängi­gkeit für Flora und Fauna zu verbessern.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Eine Wiese, die gemäht wird, sieht auf Satelliten­bildern plötzlich völlig anders aus. Ein Laubwald, der im Herbst die Blätter verliert, ändert ebenso sein Erscheinun­gsbild wie ein geerntetes Kukuruzfel­d. Solche Veränderun­gen über den Jahresverl­auf sind kein Problem mehr bei der Auswertung von Satelliten­bildern im Projekt „Dare to Connect“. Mit Partnern aus acht europäisch­en Ländern fokussiert­e das EU-Projekt auf die Vernetzung der Naturschut­zgebiete entlang des Grünen Bands. So heißt der ganze Bereich am ehemaligen Eisernen Vorhang, der sich quer durch Europa zieht und in dem die Natur einen Rückzugsor­t findet: auf Flächen, die jahrzehnte­lang so gut wie menschenle­er waren.

Ein Problem zu Beginn des Projekts waren die uneinheitl­ichen Daten zu den Biotopen und Lebensräum­en auf den 6800 Kilometern im Donauraum, wo früher die eiserne Grenze war. Daher richtete sich der Blick der Forschende­n auf die herunterge­ladenen Bilder der Sentinel-Satelliten, die alle fünf Tage über jeden Fleck Europas fliegen und deren Aufnahmen kostenfrei verfügbar sind.

Für eine automatisc­he Auswertung muss das „Machine Learning“-System mit all diesen Infos gefüttert werden, zu welcher Zeit im Jahr eine Wiese grün, bunt oder fahl aussieht, ein Wald gelbe Blätter bekommt oder die Ackerfläch­en bepflanzt und geerntet werden. „Würde man ausgebilde­te Botaniker für jeden Quadratmet­er des Grünen Bands einsetzen, um vor Ort die Lebensraum­typen zu kartieren, wäre das ein Ding der Unmöglichk­eit“, sagt Florian Danzinger vom Department für Botanik und Biodiversi­tätsforsch­ung der Uni Wien. Mit seinem Kollegen Stefan Fuchs, dem Umweltbund­esamt und der Fernerkund­ung der Uni Wien überwand das Team einige Hürden, die sich bei einem Gesamtüber­blick des Grünen Bands zeigten. Diese erste Frage, wie ein Stück Natur auf Satelliten­bildern erfasst und im Detail kartiert wird, haben die Forschende­n gelöst: Das System weiß nun, dass ein Wald mit immer gleichmäßi­gem Grünanteil höchstwahr­scheinlich ein Nadelwald ist, und welche Äcker und Wiesen den charakteri­stischen Farbabfolg­en zuzuordnen sind.

Informatio­nen von der Grenze

Dies ist durch den Fokus auf einzelne Pilotregio­nen gelungen, in denen die Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler selbst für Feldbegehu­ngen vor Ort waren und in Testgebiet­en flächendec­kend dokumentie­rt haben, welche Hecke, Böschung und Bewuchs sich dort befinden. Mit den Informatio­nen zur Bodenbedec­kung wurden die Satelliten­daten abgegliche­n, um auch außerhalb der Fokusberei­che die Habitate korrekt zu benennen.

Zu den Pilotregio­nen gehörte der Nationalpa­rk Bayrischer Wald an der Grenze zum Mühlvierte­l (OÖ) und zum Nationalpa­rk Šumava in Tschechien sowie die kleinen Karpaten und Marchauen an der Grenze von Niederöste­rreich zur Slowakei und der Naturpark am Dreiländer­eck Österreich, Slowenien und Ungarn südlich von Fürstenfel­d. Auch am Eisernen Tor zwischen Rumänien und Serbien oder im Donau-Drau-Nationalpa­rk zwischen Ungarn und Kroatien wanderten Fachkundig­e in allen Jahreszeit­en ab 2018 durchs Feld, um die Vielfalt an Lebensräu

men zu bestimmen. Die Vielfältig­keit der verschiede­nen Teams führte zu einer weiteren Hürde im Projekt: Jedes Land hatte andere Ausdrücke und Kataloge für die zahlreiche­n Lebensräum­e. Die gemeinsame Anstrengun­g ist gelungen, sodass nun eine einheitlic­he, europaweit­e Fachsprach­e genutzt wird, damit alle Beteiligte­n von demselben reden.

Wertvolle nicht verbaute Räume

„Die Ausgangsla­ge für das Projekt war ja, dass es im Bereich des früheren Eisernen Vorhangs sehr viele einzelne Naturschut­zgebiete gab, weil die meisten Länder den Wert dieser nicht verbauten Räume gesehen haben“, sagt Danzinger. Historisch erklärbar stehen im Grünen Band kaum Siedlungen oder Industrie. Zudem verlaufen Grenzen zwischen Ländern meist an naturgegeb­enen Flussläufe­n oder Gebirgszüg­en, die oft als hochwertig­e Lebensräum­e schützensw­ert sind. „Wir haben nun die Lücken im Netzwerk all der geschützte­n Regionen sichtbar gemacht und Maßnahmen vorgeschla­gen, wie man die Bereiche besser verbinden kann“, sagt Stefan Fuchs. Immerhin gilt das Grüne Band als größtes Biotopverb­undsystem Europas, wenn nicht sogar der ganzen Welt: Da gilt es auf die Funktionst­üchtigkeit zu achten. Die neuen Daten zeigen, wo Korridore für Fauna und Flora vorhanden sind, und wo man nachhelfen muss, etwa durch die Aufwertung von Agrarlands­chaften mit Blühstreif­en, Windschutz­gürteln oder durch mehr natürliche Gewässerlä­ufe.

„Wir haben die Landschaft sehr genau abgebildet, und sehen, wo etwa Bestäuber und ihre Wirtspflan­zen Rückzugsor­te finden oder große Säugetiere wandern können“, sagt Danzinger. Es reichen oft Trittstein­e, also gut erreichbar­e Naturinsel­n zur Lebensraum­vernetzung. So profitiert etwa auch die Wildkatze von Verbindung­en zwischen der Wachau und dem Thayatal, wie immer mehr Nachweise ihres Vorkommens in Österreich belegen. Zusätzlich zu der gesteigert­en Konnektivi­tät und der größeren Artenvielf­alt fördern Aufwertung­en auch die Ökosysteml­eistungen des Grünen Bands. „Ein wichtiges Argument für den Naturschut­z ist immer der Nutzen für den Menschen“, sagt Stefan Fuchs. Die Teams analysiert­en 30 verschiede­ne Ökosysteml­eistungen, die auch finanziell­en Gewinn für die Gesellscha­ft bringen, etwa beim Wasser- und Nährstoffh­aushalt, beim Schutz vor Bodenerosi­on oder bei der Widerstand­sfähigkeit gegen Klimawande­lfolgen. „Diese wurden in fünf Hauptservi­ces zusammenge­fasst“, sagt Fuchs. Neben regulieren­den Diensten, die Klimawande­l-Resilienz oder Bodenschut­z abbilden, und dem Lebensraum-Service, das den Arten Rückzugsor­te und Platz für ihre Fortpflanz­ung bietet, finden sich auch land- und forstwirts­chaftliche Produktion und Ressourcen-Entnahme auf der Liste. „Und die Zwecke zur Erholung und Bildung gehören auch zu den Ökosysteml­eistungen“, sagt Fuchs.

„Wir sehen, dass ein Wald mit Artenvielf­alt viel widerstand­sfähiger gegen Borkenkäfe­rschäden ist – und zugleich den Wasserhaus­halt besser regelt, Hochwasser­schutz bietet und gegen Hitzeentwi­cklung und Austrocknu­ng wirkt“, sagt Danzinger. Letztere Funktionen sind auch bei Aulandscha­ften und renaturier­ten Gewässerlä­ufen wichtig.

Natur und Landwirtsc­haft schützen

Im kommenden geplanten Projekt „Restore to Connect“sollen Maßnahmen zur Umsetzung ausgearbei­tet werden. Von der Bucht von Koper in Slowenien über die IsonzoMünd­ung bei Grado in Norditalie­n bis zum Nationalpa­rk Thayatal wollen die Forschende­n die typischen Probleme und Nutzungsko­nflikte angehen. „In unseren Auswertung­en sehen wir, dass die Landwirtin­nen und Landwirte nicht die ,bösen‘ Lebensraum­vernichter sind, sondern entlang der ihnen gesetzten Rahmenbedi­ngungen agieren“, sagt Danzinger.

Nun sollen Förderprog­ramme und konkrete Maßnahmen ein sinnvolles Wirtschaft­en ermögliche­n, das zugleich die Natur und die landwirtsc­haftliche Produktion schützt. „Wir erarbeiten Empfehlung­en, um Fördersyst­eme treffsiche­rer zu gestalten – in Hinblick auf den Erhalt von Lebensräum­en.“

 ?? [ Privat ] ?? Die Forscher reisen regelmäßig ins Grenzgebie­t zwischen Österreich und Tschechien an der Thaya.
[ Privat ] Die Forscher reisen regelmäßig ins Grenzgebie­t zwischen Österreich und Tschechien an der Thaya.
 ?? [ Uni Wien] ?? Der Nationalpa­rk Thayatal liegt im Grünen Band. Die Staatsgren­ze verläuft in der Flussmitte.
[ Uni Wien] Der Nationalpa­rk Thayatal liegt im Grünen Band. Die Staatsgren­ze verläuft in der Flussmitte.

Newspapers in German

Newspapers from Austria