Die Presse

Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten in die Verwertung

Tiroler Forschende öffnen die Blackbox, in der Gemüse auf dem Weg vom Feld in den Handel verschwind­et: Wie kann man mehr der aussortier­ten Ernte verwenden statt verschwend­en? Großküchen, Kompost- und Biogasanla­gen könnten diese Ressourcen gut nutzen.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Eine herzförmig­e Kartoffel, eine Karotte mit zwei Haxen oder ein Kohlrabi, der aufgeplatz­t ist. Die Vielfalt von Gemüse, das es nicht in den Handel schafft, ist riesig. Ein Projekt vom Management Center Innsbruck (MCI) und der Agrarmarke­ting Tirol will die aussortier­ten Lebensmitt­el in die Verwertung bringen. Doch da gibt es einige Hürden, allen voran, dass es bis dato kaum Zahlen und Fakten gibt, welches Gemüse aus welchen Gründen zur Ausschussw­are wird.

In der Landwirtsc­haft ist zwar bekannt, wie viel pro Jahr gesät und gepflanzt wird und wie viel pro Jahr im Handel ankommt. „Doch dazwischen liegt eine Blackbox, die wir nun ein bisschen öffnen wollen“, sagt Rosa Wagner vom Projekt „Verwertung­sstrategie­n von Gemüserest­stoffen im Tiroler Kontext“, das vom Land Tirol, der Wirtschaft­skammer, Landwirtsc­haftskamme­r, den Tiroler Gemüsebaue­rn, der Tigas-Erdgas und der Abfallwirt­schaft gefördert wird.

Die Forschende­n begleitete­n die Bäuerinnen und Bauern bei der Ernte am Feld, notierten die Ausschussw­are und dokumentie­rten die Entscheidu­ngen, wo und warum es heißt: „Dieses Gemüse geht in den Handel und dieses nicht.“Befragunge­n der Landwirte vervollstä­ndigten das Bild, das nun für einen schonender­en Umgang mit der Natur sorgen kann. „Es geht nicht nur darum, dass der Selbstvers­orgungsgra­d des Landes Tirol oder die Selbstvers­orgung von Österreich gesteigert wird, sondern auch um Ressourcen­effizienz“, sagt Pascale Rohrer, die seit Jahresbegi­nn in dem Projekt tätig ist.

Die Blackbox, in der jährlich Tausende Tonnen an Gemüse verschwind­en, hat viele kleine Untereinhe­iten: Manches wird bei manueller Ernte am Feld noch mitgenomme­n, bei maschinell­er aber nicht. Bei der nachfolgen­den Sortierung können Fäulnis, Druckstell­en, Größe und Form ein Grund sein, warum die Ernte nicht zum Verkauf geeignet ist. Auch die Zwischenla­gerung kann dem Gemüse etwas anhaben, wenn es zu feucht oder zu trocken ist. Weiter geht es mit dem Transport, Waschen, Verpacken und mit der Feinvertei­lung vom Großmarkt in die einzelnen Geschäfte. An jeder Stelle fällt Ausschussw­are an, die nur in kleinem Anteil als „Karakter-Ernte“, „Wunderling“oder in ähnlichen Produktlin­ien verkauft wird.

Ein starker Ausschluss­grund sind Normen, wie eine Kartoffel, Karotte oder Gurke auszusehen hat. „Viele glauben noch, dass die EU so strenge Vorgaben macht“, sagt Rosa Wagner. „Aber das ist seit 2009 gar nicht mehr so. Die Handelsket­ten in Österreich halten sich bei den Richtlinie­n an die Vorschläge der OECD (Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g, Anm.).“Zudem legt jede Handelsket­te mit den Landwirten individuel­le „Endspezifi­kationen“fest, welche Gemüsestüc­ke zugelassen sind und welche nicht. „Die Menge dessen, was verloren geht, hängt immer stark von der Menge der Ernte ab: In Jahren mit hohem Ertrag gibt es auch viel Ausschuss“, sagt Pascale Rohrer.

Sie zählt auf, bei welchen Gemüsesort­en in Tirol die höchsten Verluste erfasst wurden: Erdäpfel, Salat, Karotten, Weißkraut, Porree, Radieschen. Das aktuelle Projekt soll nun Bewusstsei­n für diese Lebensmitt­elverschwe­ndung schaffen und Strategien zur Verwertung aufstellen, die über die bisherige Methode der Feldkompos­tierung oder des Mulchens hinausgeht.

Einerseits soll mehr des genießbare­n Gemüses in den Verkauf oder die Verarbeitu­ng in Großküchen kommen. Anderersei­ts erarbeiten die Forschende­n Anleitunge­n, wie das aussortier­te Gemüse in eine optimale Kompostier­ung gelangt oder gar in Biogasanla­gen: Immerhin kann Biomethan die Abhängigke­it von Erdgas abfedern. „Die Verwertung könnte auf kommunaler Ebene oder von privater Hand passieren“, sagt Wagner.

Sinnvoll: Kilopreis statt Stückpreis

Ein Ansatz wäre – nach dem Vorbild Italiens –, das Gemüse im Geschäft weniger nach Stück zu bepreisen als nach Gewicht. „Bei festgemach­tem Stückpreis wird zu kleine und zu große Ware aussortier­t. Wenn der Konsument vorwiegend nach Kilopreis einkaufen könnte, käme es höchstwahr­scheinlich zu weniger Ausschuss“, sagt Rohrer. Eine solche Umstellung würde rasch Geld sparen, denn die Sortierung nach Größe verursacht hohe Personal- und Technikkos­ten.

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