Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten in die Verwertung
Tiroler Forschende öffnen die Blackbox, in der Gemüse auf dem Weg vom Feld in den Handel verschwindet: Wie kann man mehr der aussortierten Ernte verwenden statt verschwenden? Großküchen, Kompost- und Biogasanlagen könnten diese Ressourcen gut nutzen.
Eine herzförmige Kartoffel, eine Karotte mit zwei Haxen oder ein Kohlrabi, der aufgeplatzt ist. Die Vielfalt von Gemüse, das es nicht in den Handel schafft, ist riesig. Ein Projekt vom Management Center Innsbruck (MCI) und der Agrarmarketing Tirol will die aussortierten Lebensmittel in die Verwertung bringen. Doch da gibt es einige Hürden, allen voran, dass es bis dato kaum Zahlen und Fakten gibt, welches Gemüse aus welchen Gründen zur Ausschussware wird.
In der Landwirtschaft ist zwar bekannt, wie viel pro Jahr gesät und gepflanzt wird und wie viel pro Jahr im Handel ankommt. „Doch dazwischen liegt eine Blackbox, die wir nun ein bisschen öffnen wollen“, sagt Rosa Wagner vom Projekt „Verwertungsstrategien von Gemüsereststoffen im Tiroler Kontext“, das vom Land Tirol, der Wirtschaftskammer, Landwirtschaftskammer, den Tiroler Gemüsebauern, der Tigas-Erdgas und der Abfallwirtschaft gefördert wird.
Die Forschenden begleiteten die Bäuerinnen und Bauern bei der Ernte am Feld, notierten die Ausschussware und dokumentierten die Entscheidungen, wo und warum es heißt: „Dieses Gemüse geht in den Handel und dieses nicht.“Befragungen der Landwirte vervollständigten das Bild, das nun für einen schonenderen Umgang mit der Natur sorgen kann. „Es geht nicht nur darum, dass der Selbstversorgungsgrad des Landes Tirol oder die Selbstversorgung von Österreich gesteigert wird, sondern auch um Ressourceneffizienz“, sagt Pascale Rohrer, die seit Jahresbeginn in dem Projekt tätig ist.
Die Blackbox, in der jährlich Tausende Tonnen an Gemüse verschwinden, hat viele kleine Untereinheiten: Manches wird bei manueller Ernte am Feld noch mitgenommen, bei maschineller aber nicht. Bei der nachfolgenden Sortierung können Fäulnis, Druckstellen, Größe und Form ein Grund sein, warum die Ernte nicht zum Verkauf geeignet ist. Auch die Zwischenlagerung kann dem Gemüse etwas anhaben, wenn es zu feucht oder zu trocken ist. Weiter geht es mit dem Transport, Waschen, Verpacken und mit der Feinverteilung vom Großmarkt in die einzelnen Geschäfte. An jeder Stelle fällt Ausschussware an, die nur in kleinem Anteil als „Karakter-Ernte“, „Wunderling“oder in ähnlichen Produktlinien verkauft wird.
Ein starker Ausschlussgrund sind Normen, wie eine Kartoffel, Karotte oder Gurke auszusehen hat. „Viele glauben noch, dass die EU so strenge Vorgaben macht“, sagt Rosa Wagner. „Aber das ist seit 2009 gar nicht mehr so. Die Handelsketten in Österreich halten sich bei den Richtlinien an die Vorschläge der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Anm.).“Zudem legt jede Handelskette mit den Landwirten individuelle „Endspezifikationen“fest, welche Gemüsestücke zugelassen sind und welche nicht. „Die Menge dessen, was verloren geht, hängt immer stark von der Menge der Ernte ab: In Jahren mit hohem Ertrag gibt es auch viel Ausschuss“, sagt Pascale Rohrer.
Sie zählt auf, bei welchen Gemüsesorten in Tirol die höchsten Verluste erfasst wurden: Erdäpfel, Salat, Karotten, Weißkraut, Porree, Radieschen. Das aktuelle Projekt soll nun Bewusstsein für diese Lebensmittelverschwendung schaffen und Strategien zur Verwertung aufstellen, die über die bisherige Methode der Feldkompostierung oder des Mulchens hinausgeht.
Einerseits soll mehr des genießbaren Gemüses in den Verkauf oder die Verarbeitung in Großküchen kommen. Andererseits erarbeiten die Forschenden Anleitungen, wie das aussortierte Gemüse in eine optimale Kompostierung gelangt oder gar in Biogasanlagen: Immerhin kann Biomethan die Abhängigkeit von Erdgas abfedern. „Die Verwertung könnte auf kommunaler Ebene oder von privater Hand passieren“, sagt Wagner.
Sinnvoll: Kilopreis statt Stückpreis
Ein Ansatz wäre – nach dem Vorbild Italiens –, das Gemüse im Geschäft weniger nach Stück zu bepreisen als nach Gewicht. „Bei festgemachtem Stückpreis wird zu kleine und zu große Ware aussortiert. Wenn der Konsument vorwiegend nach Kilopreis einkaufen könnte, käme es höchstwahrscheinlich zu weniger Ausschuss“, sagt Rohrer. Eine solche Umstellung würde rasch Geld sparen, denn die Sortierung nach Größe verursacht hohe Personal- und Technikkosten.