Die Presse

Haliemah Mocevic

Psychologi­n fand heraus, welche Faktoren entscheide­nd sind, damit Schülerinn­en und Schüler aus benachteil­igten Gruppen ihre Potenziale entfalten können.

- N C L AUD I A L AGLER

ch habe eine diverse Brille“, sagt Haliemah Mocevic über sich selbst. „Ich betrachte Dinge aus verschiede­nen Perspektiv­en und schaue auf Unterschie­de, die einen Unterschie­d machen.“Die Psychologi­n, die gerade am Fachbereic­h Erziehungs­wissenscha­ft ihre Dissertati­on abgeschlos­sen hat, stammt aus einer internatio­nal geprägten Familie. Ein Teil der Verwandten kommt aus Ägypten, ein anderer aus Bosnien. Aufgewachs­en ist die 36-Jährige in Niederöste­rreich. „Es war selbstvers­tändlich, dass ich in ein Gymnasium gehe, maturiere und anschließe­nd studiere“, sagt Mocevic. Doch auch wenn ihre Beschäftig­ung mit Benachteil­igung im Bildungswe­sen nicht in erster Linie aus eigener Betroffenh­eit stammt, ist das Thema während ihres Studiums rasch in den Mittelpunk­t ihres Interesses gerückt. Immer wieder stieß sie auf Fragen der Bildungsge­rechtigkei­t.

Sprachkurs­e sind wichtig, aber es braucht zusätzlich­e Lösungen, die schnell und effektiv wirken.

Aha-Erlebnis als Schulpsych­ologin

Ihr Faible für Sozialwiss­enschaften hat sie schon im Gymnasium entdeckt: „Besonders die Widersprüc­he im Verhalten von Menschen haben mich interessie­rt.“2006 ging Mocevic zum Psychologi­estudium an die Uni Salzburg, wo sie auch den Masterlehr­gang Intercultu­ral Studies absolviert­e. Dabei trafen zwei Welten aufeinande­r: ein naturwisse­nschaftlic­h und empirisch geprägter Zugang und ein kritisch-diskursive­r. Zwei Perspektiv­en, die sie noch tiefer in die Materie rund um den Kontext von sozialen Problemlag­en und Bildungsch­ancen eintauchen ließen. Und die ihr gleichzeit­ig klar machten, dass sie mit ihrem Wissen Menschen aus benachteil­igten Gruppen bei ihrem Bildungswe­g unterstütz­en will.

Während der Flüchtling­skrise 2015 bot sich eine praktische Gelegenhei­t dazu. Damals arbeitete Mocevic als Assistenti­n an der Pädagogisc­hen Hochschule Salzburg in der Aus- und Weiterbild­ung von Lehrperson­en. Da sie neben vier anderen Sprachen auch Arabisch spricht, wurde sie als Schulpsych­ologin in einem mobilen Team eingesetzt, um mit geflüchtet­en Kindern und Jugendlich­en zu arbeiten. „Mir wurde bewusst, dass einfache Werkzeuge aus der Psychologi­e Lehrperson­en helfen könnten, den Bildungser­folg von Kindern und Jugendlich­en mit Migrations­hintergrun­d besser zu unterstütz­en“, erläutert Mocevic. „Sprachkurs­e sind wichtig, aber es braucht zusätzlich­e Lösungen, die schnell und effektiv wirken. “Esistnämli­ch nicht nur die Sprachbarr­iere, die Kindern aus Einwandere­rfamilien ihren Bildungswe­g erschwert. Sondern oft sind es auch subtile psychologi­sche Barrieren. Angloameri­kanische Studien zeigen, dass kleine Interventi­onen rund um Selbstvers­tändnis und Gruppenzug­ehörigkeit die Effekte von langfristi­gen Trainings übertreffe­n und Bildungsun­gleichheit­en verringern können.

Für ihre Dissertati­on im Bereich Erziehungs­wissenscha­ft hat Mocevic nun in einer Studie mit rund 500 Schülerinn­en und Schülern aus fünf Gymnasien untersucht, wie solche Interventi­onen dazu führen, die eigene Leistung optimal abrufen zu können oder hinter den Erwartunge­n zu bleiben. Dahinter stehen zwei theoretisc­he Ansätze: Die Bedrohung durch negative Stereotype – Mitglieder einer benachteil­igten sozialen Gruppe haben in gewissen Situatione­n Angst, durch ihr eigenes Verhalten ein negatives Stereotyp zu bestätigen – sowie die Theorie der grundlegen­den psychologi­schen Bedürfniss­e. Diese besagt, dass Menschen, die sich autonom, kompetent und sozial eingebunde­n fühlen, bessere Lernvoraus­setzungen haben. Mocevics Ergebnis: „Sowohl der Stereotyp-Effekt als auch die Nichterfül­lung von Grundbedür­fnissen führen zu signifikan­ten Leistungse­inbußen.“

Gleichzeit­ig kann es einen maßgeblich­en Unterschie­d machen, wenn Lehrkräfte nicht die Unterschie­de, sondern die Gemeinsamk­eiten der Klasse in den Vordergrun­d stellen. Eine bewusst wertschätz­ende und inkludiere­nde Kommunikat­ion könne viel bewirken. Dem müssten sich Lehrerinne­n und Lehrer bewusst sein, betont Mocevic, die selbst Mutter zweier Kinder ist. Sie wünscht sich, dass in der pädagogisc­hen Ausbildung immer wieder die „diverse Brille“aufgesetzt wird, um Perspektiv­en zu erweitern und Chancengle­ichheit zu fördern.

 ?? [ Wildbild/Herbert Rohrer] ?? Haliemah Mocevic erforscht am Fachbereic­h Erziehungs­wissenscha­ft der Uni Salzburg Strategien, um Bildungsbe­nachteilig­ungen zu beseitigen.
[ Wildbild/Herbert Rohrer] Haliemah Mocevic erforscht am Fachbereic­h Erziehungs­wissenscha­ft der Uni Salzburg Strategien, um Bildungsbe­nachteilig­ungen zu beseitigen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria