Wer nicht hassen muss, hat es gut
Der Starke empfindet gegenüber dem Schwachen eher Ekel oder Verachtung. Man hasst also von unten nach oben. Unter bestimmten Bedingungen kann Hass ein konstruktives Mittel politischer Kritik sein.
Im intellektuellen Diskurs hat der Hass, gelinde gesagt, kein gutes Image. Denkt man an die vielfach diagnostizierte Flut an Hasskommentaren in den sozialen Medien, bei denen aggressiver Feindlichkeit, etwa rassistischer oder sexistischer Natur, unter Rückgriff auf wüste Beschimpfungen oder Drohungen Ausdruck verliehen wird, oder gar an Hassverbrechen, bei denen der auf Vernichtung abzielende Charakter des Hasses seine traurige Vollendung findet, so scheint es tatsächlich mehr als angebracht, dem Hass mit unversöhnlicher Ablehnung zu begegnen.
Dem Hass als Emotion wird somit meist die Legitimität abgesprochen. Unter bestimmten Bedingungen kann Hass jedoch ein gerade in seiner Destruktivität konstruktives Mittel politischer Kritik sein. Nach einem oberflächlichen Studium der Ratgeberliteratur zum richtigen Umgang mit Hass im Netz oder im Alltag lernt man schnell, dass man auf Hass keinesfalls mit Gegenhass antworten soll. Statt sich auf dasselbe Niveau zu begeben, sollte man sich eher indifferent oder bemitleidend zeigen. Diese diskursiv bestehende Ungleichheit zwischen dem Hassenden und dem Gehassten findet sich auch in Nietzsches Konzept der „Sklavenmoral“wieder. Hier ist es stets der Schwache, der den Starken hasst, und dem er den Stempel des Bösen aufdrückt. Umgekehrt mag der Starke Ekel oder Verachtung gegenüber dem Schwachen empfinden, wegen mangelnder Satisfaktionsfähigkeit des Schwachen aber keinen Hass. Man hasst also von „unten nach oben“.
Gerade in diesem anti-elitären Grundzug des Hasses liegt auch sein kritisches Potenzial. Dieses kann freilich bei sich stumpfsinnig artikulierendem Hass, der gänzlich unberechtigten Ursprungs ist, nicht zur Entfaltung gelangen. Gibt es nun eine berechtigte Form des Hasses? Der marxistische Theoretiker Georg Lukács würde diese Frage bejahen. So ist es für ihn gerade der tiefe Hass auf den Kapitalismus, der den Revolutionär ausmacht und ihm in Bezug auf die von dieser Gesellschaftsordnung produzierten sozialen Pathologien den Blick schärft.
Das Skandalöse wird übertrieben
Vor allem aber kommt dem Hass, Lukács zufolge, eine zentrale Bedeutung bei der Kunstgattung der politischen Satire zu, welche ihrem Wesen nach unverfroren und ohne jegliche Rücksichtnahme auf Kränkung von Betroffenen gesellschaftliche und politische Missstände anprangert. Die allgemeine Stoßrichtung der Satire geht dabei wiederum von „unten nach oben“; exemplarisch für die Verkommenheit des gesamten Systems werden die „Repräsentanten der Macht“angegriffen. Dabei darf und muss das Skandalöse einzelner Umstände übertrieben werden. Zudem hat auch das offensive Diffamieren von Personen mit Spottnamen oder anderen Beleidigungen seinen festen Platz. Die Satire behält es sich somit explizit vor, eben nicht konstruktiv in ihrer Kritik zu sein, sondern zelebriert im Gegenteil provokant ihre Destruktivität. Der Hass wird gleichsam zur eingenommenen Pose, die gerade dazu dient, mit der bürgerlichen Etikette eines konstruktiven Austausches vernünftiger Argumente zu brechen. Gerade aufgrund des radikalen Bruches mit allen bestehenden Normen spricht Lukács in diesem Zusammenhang gar von einem der Satire innewohnenden „heiligen Hass“, wobei er diesen selbstverständlich als genuin antikapitalistischen Affekt erkennt. Satire ist also eine bis zu einem gewissen Grad legitime Form von Hate Speech, für die es grundsätzlich egal ist, ob der Satiriker tatsächlich hasst oder den Hass im Modus des Als-ob als Mittel einsetzt. Aber selbst in dieser künstlerischen Praxis, wenn Hass gesellschaftlich toleriert wird, bleibt es ein Drahtseilakt, nicht mit dem allgemeinen Grundkonsens über das, was und wie gehasst werden darf, zu brechen. Klarerweise darf man unterdrückende Diktatoren, Kriegstreiber oder Nazis beinahe zügellos hassen.
Böhmermanns Schmähgedicht
In anderen Fällen ist es weniger klar, wie und welche Intensität von Hass jemand oder etwas „verdient“. Satire versteht sich häufig auch als Testlauf, um festzustellen, wo die Grenzen des Sagbaren verlaufen. Als der deutsche Satiriker Jan Böhmermann den türkischen Präsidenten Erdog˘an am 30. März 2016 in seinem berüchtigten Schmähgedicht adressierte, handelte es sich um so einen Testlauf, wobei das Maß, wie viel Hass in der Satire tolerierbar ist, offensichtlich überschritten wurde. Zwei Wochen nach der Fernsehsendung wurde einer strafrechtlichen Verfolgung Böhmermanns vonseiten der deutschen Bundesregierung stattgegeben. Zugegeben, indem das Gedicht Erdog˘an verwegene Sexualpraktiken unterstellt, rassistische Klischees bedient und mit obszönen Beleidigungen arbeitet, steht es Online-Hasspostings betreffend Intensität und verletzender Absicht in nichts nach. Gleichzeitig darf man sich in Anbetracht von Erdog˘ans autokratischer Machtausübung fragen, ob der satirische Hass in diesem Fall nicht doch „entschuldbar“ist. Was folgte, war eine gesellschaftliche Debatte über das Verhältnis von Meinungsfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht, in der die Legitimität von Hass in der Sprache mitverhandelt wurde.
Ohne die hochgradig problematische Dimension des Hasses als obsessives Gefühl, das mit Verhetzung und Drohungen gegen Leib und Leben einhergeht, zu verharmlosen, lässt sich für den Hass in der satirischen Rede eine Lanze brechen. Anti-elitär, kompromisslos und frei von den unter IdeologieVerdacht stehenden gesellschaftlichen Konventionen kann er die Fesseln festgefahrener Diskussionen aufsprengen und den Weg für neue Ansätze freimachen. Gerade da der Hass per Definition vom bestehenden Dogma des Konstruktiven losgelöst ist, schafft er die Möglichkeit für wahrhaft ungezähmte Kritik. Schließlich macht sich die Hassrede durch die Satire, wie die Böhmermann-Affäre zeigt, auch immer wieder selbst zum Thema: Wie viel rhetorischen Hass kann und muss eine liberale Gesellschaft vertragen? ■