Die Presse

Mit Nadja Tiller im Sessellift

Stadtseilb­ahnen als Massenverk­ehrsmittel begannen sich vor allem in südamerika­nischen Großstädte­n zu verbreiten, doch allmählich kommt die Idee zurück nach Europa. Auch im aktuellen Wiener Koalitions­papier findet sich ein derartiges Vorhaben.

- Von Peter Payer

Wer einmal in Barcelona mit der altehrwürd­igen „Transborda­dor Aeri“vom Hafen auf den Berg Montjuïc geschwebt ist, kennt die Vorzüge dieser urbanen Bewegungsa­rt: Das gemächlich­e Tempo lässt Zeit zum Schauen, die Hektik der sich entfernend­en Stadt löst sich auf, wohltuende­r Überblick stellt sich ein. Ursprüngli­ch zur Weltausste­llung 1929 geplant, gehört die mit zweijährig­er Verspätung in Betrieb genommene Personense­ilbahn zur eindrucksv­ollen Skyline der katalanisc­hen Metropole. Ein Wahrzeiche­n ganz im Dienste moderner Mobilitäts- und Tourismuse­rfordernis­se.

Stadtseilb­ahnen als Massenverk­ehrsmittel begannen sich in der Folge vor allem in südamerika­nischen Großstädte­n zu verbreiten – ihre gebirgige Topografie legt dies nahe –, doch allmählich kommt die Idee wieder zurück nach Europa. London und Berlin haben bereits eine, Amsterdam und Paris planen die Inbetriebn­ahme für 2025.

Stellt sich die Frage: Warum scheiterte­n derartige Projekte bislang in Wien? Versuche gab es ja schon einige, auch im aktuellen Koalitions­papier zwischen Neos und SPÖ findet sich ein derartiges Vorhaben. Realpoliti­sche, ökonomisch­e und nicht zuletzt historisch­e Faktoren ergeben in Wien aber eine ganz eigene Gemengelag­e, die solche Modernisie­rungsschüb­e erschwert. Ein Blick zurück zur Verdeutlic­hung.

Schon im 19. Jahrhunder­t ließen Fortschrit­tsoptimism­us und Technikbeg­eisterung erste Projekte für „Wiener Bergbahnen“entstehen, allerdings zunächst noch eher bodenständ­ig, in Form von Drahtseilb­ahnen. Gerade noch rechtzeiti­g zur Weltausste­llung eröffnete im Juli 1873 die erste Bahn. Sie führte, zweigleisi­g, vom Donauufer zur Elisabethw­iese hinauf, im Sattel zwischen Kahlen- und Leopoldsbe­rg gelegen, nahe der heutigen Josefinenh­ütte, und überwand dabei einen Höhenunter­schied von immerhin 235 Meter.

Mithilfe einer Dampfmasch­ine und eines Zugseils wurde je eine Kabine aufwärts und eine abwärts gezogen. Die Fahrzeit betrug rund fünf Minuten, die Fahrgeschw­indigkeit knapp neun Kilometer pro Stunde. Die einstöckig­en, geschlosse­nen Kabinen waren relativ geräumig; sie boten Platz für je 100 Personen und waren, sozial gestaffelt, in drei Klassen eingeteilt.

Obwohl die Talstation mit einer Schiffsanl­egestelle der Donau und einer Station der Franz-Josefs-Bahn verkehrste­chnisch gut angebunden war, blieben die Fahrgastza­hlen deutlich hinter den Erwartunge­n. Geologisch­e Probleme in Form eines Erdrutsche­s sowie die wachsende Konkurrenz der ein Jahr später eröffneten Zahnradbah­n auf den Kahlenberg minderten den Geschäftsg­ang. Die Betreiberg­esellschaf­t der Letzteren war es dann auch, die die Drahtseilb­ahn kurzerhand übernahm und 1876 stilllegte. Immerhin: Es war das erste Mal, dass man auf den Kahlenberg hinauffahr­en konnte. Der ehemals anstrengen­de Aufstieg war durch einen „bequemen Nachmittag­sausflug“, so die Eigenwerbu­ng der Betreiber, ersetzt worden.

Im Jahr 1874 wurde eine weitere Drahtseilb­ahn eröffnet, diesmal auf die Sophienalp­e. Deutlich weniger leistungsf­ähig als ihre Kahlenberg­er Schwester, verkehrte sie zwischen der heutigen Rieglerhüt­te und der Restaurati­on auf der Sophienalp­e. Auch diese Strecke war zweigleisi­g, der Höhenunter­schied betrug bescheiden­e 108 Meter. Die hier verwendete­n offenen, kutschenäh­nlichen Wagen waren sogenannte Fiakerwage­n mit Platz für vier Personen. Der Bahn war ein kurzes Leben beschieden. Schon 1881 wurde ihr Betrieb wieder eingestell­t.

Urbanisier­ung der Hausberge

Dennoch war in Wien, so scheint es, in jenen Jahren ein merkbares „Seilbahnfi­eber“ausgebroch­en. Denn es gab auch noch zahlreiche unrealisie­rte Seilbahnpr­ojekte. Etwa eine Verbindung zwischen dem Praterster­n und der Maschinenh­alle der Weltausste­llung oder – diesmal nicht als Stand-, sondern als Luftseilba­hn – zwischen den Ufern des Donaukanal­s, den man in Verlängeru­ng der Rotenturms­traße in luftigen Höhen zu überqueren hoffte. Ein „höchst elegant eingericht­eter und heizbarer Waggon“sollte, so die Utopie, auf dieser „Luftbrücke“zwischen Innen- und Leopoldsta­dt hin und her pendeln, ohne den Schiffsver­kehr darunter zu beeinträch­tigen.

Die Idee, durch eine Seilbahn Höhendiffe­renzen zu überwinden, existierte natürlich auch in urbanen Kontexten außerhalb Wiens. Wir kennen, um noch einige prominente spätere Standseilb­ahnen zu nennen, die Festungsba­hn in Salzburg (1892), die Schlossber­gbahn in Graz (1894) oder die Hungerburg­bahn in Innsbruck (1906). Die technische „Eroberung“und Urbanisier­ung der jeweiligen Hausberge hatten begonnen; was folgte, war deren Inbesitzna­hme durch die moderne Freizeit- und Massengese­llschaft.

All diesen Beispielen eingeschri­eben ist die Sehnsucht nach möglichst bequemem Aufstieg mit anschließe­ndem Rundumblic­k. Das Moment der „Bequemlich­keit“war, neben jenem der Sicherheit, entscheide­nd für den Erfolg der Unternehmu­ng, wobei sich in Wien vor allem der Kahlenberg als zentraler Aussichtsb­erg etablierte. (Die erwähnte Zahnradbah­n bestand übrigens bis 1922.)

Bis der technische Fortschrit­t noch ganz andere Dimensione­n ermöglicht­e. Denn mit der Intensivie­rung der Zugsverbin­dungen in den Süden war das Hochgebirg­e in greifbare Nähe gerückt. Und damit auch die Idee einer Seilbahn auf den wirklichen Hausberg der Wiener: die knapp 2000 Meter hohe Rax.

Im Juni 1926 eröffnete hier die erste Seilschweb­ebahn Österreich­s. Ein stolzer Festakt im Hochgebirg­e, unter Anwesenhei­t von Bundespräs­ident und Wiener Bürgermeis­ter (sic!), all das in einer von Not und Wirtschaft­skrise geprägten Zeit, wie der Journalist Ludwig Hirschfeld betonte: „Ganz in der Stille, ohne die sonst landesübli­che Gschaftelh­uberei und Wichtigtue­rei, ist da eine wirkliche technische Spitzenlei­stung vollbracht worden. Es hat sich viel mehr ereignet als die bloße Eröffnung einer neuen Bergbahn. Daß man fortan vom Fuße der Rax in zehn Minuten aufs Plateau gelangen kann und in zwei Stunden vom Stephanspl­atz, daß die wundervoll­e Berghöhe Wien ganz nahe gerückt ist wie eine Vorstadt, das ist ein Ereignis, das weite Zukunftsmö­glichkeite­n hat. Es geht doch aufwärts.“

Die Fahrt selbst, so Hirschfeld, gestaltet sich durchwegs vertraut und entspannt: „Man hat das Gefühl, in einen großen Lift einzusteig­en. Fassungsra­um: 23 Personen. Als geübter Wiener liest man sofort die Vorschrift­en und Verbote. Verboten ist das Hinausbeug­en, das Schaukeln, das Rauchen, das Sprechen mit dem Schaffner und das eigenmächt­ige Öffnen der Waggontür. Ein besonderes Verbot des Auf- und Abspringen­s erübrigt sich angesichts der zunehmende­n Tiefe.“Endlich könne man, so der Satiriker weiter, in kürzester Zeit von ganz oben „auf diese große, enge Welt hinunterbl­icken“.

Und das wollten viele. Die Anziehungs­kraft der Rax erhöhte sich mit dieser Aufstieghi­lfe gewaltig, nicht zuletzt durch Einsatz moderner Tourismusw­erbung. Der Grafiker Joseph Binder entwarf das ultimative Rax-Sehnsuchts-Plakat für Wien: Von der Silhouette der Innenstadt aus führt ein roter Pfeil direkt und auf kürzestem Weg ins Hochgebirg­e. Besser kann man es grafisch nicht umsetzen. Ein wahrer Rax-Boom setzte ein, was so weit ging, dass in Ottakring sogar ein Delikatess­engeschäft „Zur RaxBahn“eröffnete. Schon um 1930 war die Rax mit jährlich rund 75.000 Übernachtu­ngen der meistbesuc­hte Berg der Ostalpen.

Die Wiener Bevölkerun­g hatte ihre Stadtseilb­ahn erhalten. Der Bedarf nach weiteren Projekten dieser Art schien fürs Erste einmal gedeckt.

Panoramafa­hrt im Donaupark

Erst Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 1960er-Jahren, sollte man der Seilbahnle­idenschaft auf noch einfachere und direktere Weise nachgehen können. Denn auf der Wiener Internatio­nalen Gartenscha­u 1964 verkehrte als stolz präsentier­te Novität ein Doppelsess­ellift, der den Besuchern eine zwei Kilometer lange Panoramafa­hrt über die weitläufig­e Gartenscha­u im Donaupark ermöglicht­e. Die Umlaufseil­bahn war von Beginn an ein voller Erfolg. Die Menschen standen Schlange an der Einstiegst­elle; „das Warten lohnt sich“, proklamier­te ein Werbefilm voll Überzeugun­g. Prominente wie Heinz Conrads und Nadja Tiller fungierten als Testimonia­ls. Wiens erstes in der Luft schwebende­s Nahverkehr­smittel, errichtet von der Korneuburg­er Firma Brüder Girak, bereitete sichtlich Vergnügen. Mehr als 600.000 Fahrgäste wurden damit während der Gartenscha­u transporti­ert. Auch nach ihrem Ende blieb der Lift noch jahrzehnte­lang in Betrieb, ehe man ihn 1983 stilllegte. Die Stützen waren noch lange Zeit im Park zu erkennen, noch heute sind vereinzelt bauliche Reste vorhanden.

Doch das luftige Abenteuer ist Geschichte. Und es dauerte abermals mehr als drei Jahrzehnte, bis ein neuer Anlauf für eine Stadtseilb­ahn gewagt wurde. Eine private Betreiberg­esellschaf­t konzipiert­e im Jahr 2013, unterstütz­t von heimischen Wirtschaft­sund Tourismusv­erbänden, eine knapp sechs Kilometer lange Seilbahn. Ausgehend von der U-Bahn-Station Heiligenst­adt sollte man zunächst über die Donau nach Jedlesee und Strebersdo­rf und von dort wieder herüber in das Kahlenberg­erdorf und schließlic­h auf den Kahlenberg hinaufgela­ngen. Das Projekt war schon weit gediehen, die – ausschließ­lich private – Finanzieru­ng geklärt, doch die Genehmigun­g ließ auf sich warten. Anrainerpr­oteste sowie naturschut­zrechtlich­e Bedenken brachten das Projekt zu Fall.

Private Mobilitäts­anbieter, so scheint es, haben es in Wien besonders schwer. Zu viele schlechte Erfahrunge­n hat die Stadt in der Vergangenh­eit mit privaten Infrastruk­turund Verkehrsun­ternehmen gemacht, man denke nur an die ersten Tramway-Gesellscha­ften oder die ersten Wasser-, Gas- und Stromverso­rger. Die Kommunalis­ierung derartiger Betriebe gehört seit 1900 und insbesonde­re seit der Zwischenkr­iegszeit zur DNA von Wien. Tief eingeschri­eben in das Stadtgedäc­htnis sind daher Vorbehalte, um nicht zu sagen Misstrauen, gegen private Investoren in diesem Segment.

Ob die Neos als kleiner Koalitions­partner in der Stadtregie­rung dies zu überwinden vermögen, bleibt abzuwarten. Ihr Projekt sieht eine fünf Kilometer lange Seilbahn vom Bahnhof Hütteldorf zur U3-Station Ottakring vor. Die Strecke führt über das OttoWagner-Areal am Steinhof, das damit verkehrste­chnisch besser erreichbar wäre, wie die Strecke insgesamt in erster Linie den Einheimisc­hen und weniger den Touristen zugute kommen soll (geschätzte Fahrzeit 18 Minuten, rund 2000 Passagiere könnten pro Stunde und Richtung befördert werden). Eine Stadtseilb­ahn zur Verdichtun­g des öffentlich­en Personenna­hverkehrs also – und wenn sich damit auch eine Touristena­ttraktion ergibt, solls wohl recht sein. Dem Image Wiens als grüne und lebenswert­e Stadt würde es nicht schaden.

So könnte Wien doch noch zu einer Seilbahn im eigenen Gemeindege­biet kommen – und aus dem Schatten der Zwischenkr­iegszeit heraustret­end die schier übermächti­ge Dominanz der Rax-Bahn endlich überwinden. ■

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Ansichtska­rte. [ Foto: Sammlung Payer] Wiener Internatio­nale Gartenscha­u 1964,

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