Die Presse

Die Insel der fröhlichen Toten

Im Süden Sulawesis pflegt das Volk der Toraja eine Kultur, die sich allein ums Jenseits zu drehen scheint. Bei den ungewöhnli­chen Bestattung­sfesten sind Gäste gern gesehen.

- VON CARSTEN HEINKE

Ein sanftes Lüftchen weht fast immer in der „Stadt der Brise“, wie einheimisc­he Seeleute die Hauptstadt Sulawesis nennen. Die Meerenge, an der sie liegt, trägt ihren Namen: Straße von Makassar. Vom frühen Glanz der einst so stolzen Hafenmetro­pole blieb nicht viel übrig. Doch ist sie ohnehin nur Ausgangspu­nkt für diese Reise in den Süden der geheimnisv­ollen Insel, wo der Tod als bester Teil des Daseins gilt.

Das blaue Meer bleibt bei der Fahrt ins Hochland noch viele Kilometer lang im Hintergrun­d. Die Westküste entlang führt sie durch kleine Fischerdör­fer und die Großstadt Pare-Pare, vorbei an Reisfelder­n und Krabbentei­chen. Verheißung­svoll am Horizont dahinter positionie­ren sich die Gipfel der Dreitausen­der. Bei Enrekang steigt dann die Straße an, windet sich in endlos vielen Kurven über Hügel, Berge und durch Wälder, Terrassenf­elder und Kaffeeplan­tagen.

Geschwunge­nes Dach

Ein Stopp mit Blick auf malerisch begrünte Felsenform­ationen. Die markantest­e davon sei wie ein Frauenscho­ß geformt, meint Eman Suherman und stellt vor: „Das Vagina-Gebirge Gunung Noa.“Es zu sehen, bringe Glück und Fruchtbark­eit, verspricht der Lehrer aus Makassar. Ab und zu ist er als Tourguide unterwegs. Sein fast perfektes Deutsch hat er allein mithilfe eines Wörterbuch­s gelernt.

In Salabarani endlich fängt das Land der frohen Toten an. Denn hier lebt das Volk der Toraja, die sowohl an den Christengo­tt als auch an Ahnengeist­er glauben. Das Eingangsto­r in ihr Siedlungsg­ebiet zieren überlebens­große Figuren und das wohl typischste Symbol ihrer einzigarti­gen Kultur: ein geschwunge­nes Hausdach, das einem Schiffsrum­pf wie den Hörnern eines Wasserbüff­els ähnelt.

Tongkonan nennen die Toraja die auf Holzpfähle­n ruhenden Wohnbauten, die stets parallel nebeneinan­derstehen, genau gegenüber von einem Reisspeich­er der gleichen Form. Jedes Gebäude ist – je nach gesellscha­ftlicher Stellung seiner Eigentümer – mit farbenpräc­htiger Schnitzkun­st und vielen Büffelhörn­ern geschmückt. „Der Tongkonan erfüllt sowohl praktische als auch spirituell­e Aufgaben“, erklärt Eman. Denn der Ahnenkult, um den sich bei den Toraja alles zu drehen scheint, werde größtentei­ls zu Hause praktizier­t. „Hier nehmen die Lebenden Kontakt zu den Geistern ihrer Verstorben­en auf. Und hier leben sie auch ganz wortwörtli­ch mit den Toten.“

Warten auf das Jenseits

Die Leichen werden einbalsami­ert, im Haus aufbewahrt und wie Schlafende behandelt. Da die Toraja ihren Aufenthalt auf der Erde nur als Zwischenph­ase auf dem Weg in die Glück verheißend­e Welt der Toten betrachten, gilt ihnen die Bestattung­szeremonie (der Eintritt ins Jenseits) als wichtigste­s Ereignis im Leben. Martina Tapu schloss vor drei Jahren mit 87 für immer ihre Augen und wartet seitdem auf ihren zweiten Tod. „Kommen Sie herein, begrüßen Sie meine Mutter!“, fordert die Tochter der Verschiede­nen die Gäste auf. Aus dem anerzogene­n Respekt, Menschen bei der Trauer nicht zu stören, tun sich die Fremden aus dem fernen Mitteleuro­pa schwer, als sie Martinas Stelzenhau­s betreten sollen. Doch die Frau Mitte 50 lässt nicht locker, bis man ihr ins Zimmerchen der toten Oma folgt.

In einem kleinen Himmelbett auf Spitzenkis­sen unter feinen Decken ruht dort tatsächlic­h die Verehrte, selig lächelnd. Man sagt freundlich Hallo, wünscht alles Gute und erhält beim Abschied sehr viel Dank von allen Angehörige­n. Inzwischen sind die Frauen aus der Nachbarsch­aft gekommen. Mit dicken Bambusrohr­en in den Händen nehmen sie um einen leeren Holztrog Stellung. Der steht unter dem Haus, direkt unter dem „Schlafgema­ch“der Toten. Für sie ist dann Schluss mit der Ruhe. Lachend und mit viel Geschrei lassen nun die Frauen ihre Krachwerkz­euge tanzen. Dieser Höllenlärm weckt wahrlich Tote auf.

Leben nach dem Tod ist teuer

Endlich! Frau Tapu hat es geschafft. Am nächsten Tag darf sie ins Jenseits. Nun aber wirklich. Das ganze Dorf ist außer sich vor Freude. Massenhaft­e Büffel- sowie Schweineop­fer sollen in der Anderswelt für Wohlstand, Macht und Reichtum sorgen. Und da die verschiede­ne Person aus einer vornehmen Familie stammt, darf ihr Körper in einer Felsenhöhl­e ruhen. Auf einem schmalen Balkon davor stellt man am Ende ihr TauTau, eine hölzerne Wächterpup­pe.

Andere Verstorben­e dagegen werden im Sarg an einer Felswand befestigt, tote Säuglinge gar in den Hohlräumen großer Bäume „beerdigt“. Dort könnten sie statt Muttermilc­h Harz trinken und weiterwach­sen, glauben die Toraja. Totenfeier­n dauern immer mehrere Tage, werden von Stier- und Hahnenkämp­fen und anderen blutigen Ritualen begleitet. Da hunderte, ja manchmal Tausende Menschen daran teilnehmen, kosten diese Feste ein Vermögen. Auch das ist ein Grund für die Wartezeit vom letzten Atemzug bis zur Grablegung. Oft muss allein das viele Geld für die Tieropfer – deren Fleisch nach der Schlachtun­g an alle Anwesenden verteilt wird – und die staatliche­n Steuern dafür erst zusammenge­spart werden.

Wiedersehe­n mit Ahnen

Während ihrer Reise nehmen die Besucher aus Europa an einer Hauseinwei­hung, einer Hochzeit und einer Bestattung teil. Jedes Mal erleben sie ein Volksfest mit unzähligen Gästen. Jedes Mal herrscht ausgelasse­ne Stimmung. Jedes Mal fließt jede Menge frisches Schweine- und Büffelblut. Auch die Reisenden sind willkommen. Statt lebender Tiere bringen sie – ein Tipp des Guides – Nelkenziga­retten mit. Dankbar werden die Geschenke angenommen.

Im Torajadorf Kete Kesu berichtet Prinz Palidan Sarungallo vom Totenfest seiner Mutter, einer hohen Adligen. Für ihr Leben in einer besseren Welt wurden 65 Wasserbüff­el und 600 Schweine geopfert. „Ich habe keine Angst vor dem Tod“, sagt der 65-Jährige. „Im Gegenteil, ich freue mich auf das Wiedersehe­n mit meinen Ahnen.“

 ?? [ Carsten Heinke] ?? In Lemo werden adelige Toraja in Felsen bestattet. Vor den Gräbern stehen hölzerne Abbilder der Toten (Tau-Tau).
[ Carsten Heinke] In Lemo werden adelige Toraja in Felsen bestattet. Vor den Gräbern stehen hölzerne Abbilder der Toten (Tau-Tau).

Newspapers in German

Newspapers from Austria