Die Insel der fröhlichen Toten
Im Süden Sulawesis pflegt das Volk der Toraja eine Kultur, die sich allein ums Jenseits zu drehen scheint. Bei den ungewöhnlichen Bestattungsfesten sind Gäste gern gesehen.
Ein sanftes Lüftchen weht fast immer in der „Stadt der Brise“, wie einheimische Seeleute die Hauptstadt Sulawesis nennen. Die Meerenge, an der sie liegt, trägt ihren Namen: Straße von Makassar. Vom frühen Glanz der einst so stolzen Hafenmetropole blieb nicht viel übrig. Doch ist sie ohnehin nur Ausgangspunkt für diese Reise in den Süden der geheimnisvollen Insel, wo der Tod als bester Teil des Daseins gilt.
Das blaue Meer bleibt bei der Fahrt ins Hochland noch viele Kilometer lang im Hintergrund. Die Westküste entlang führt sie durch kleine Fischerdörfer und die Großstadt Pare-Pare, vorbei an Reisfeldern und Krabbenteichen. Verheißungsvoll am Horizont dahinter positionieren sich die Gipfel der Dreitausender. Bei Enrekang steigt dann die Straße an, windet sich in endlos vielen Kurven über Hügel, Berge und durch Wälder, Terrassenfelder und Kaffeeplantagen.
Geschwungenes Dach
Ein Stopp mit Blick auf malerisch begrünte Felsenformationen. Die markanteste davon sei wie ein Frauenschoß geformt, meint Eman Suherman und stellt vor: „Das Vagina-Gebirge Gunung Noa.“Es zu sehen, bringe Glück und Fruchtbarkeit, verspricht der Lehrer aus Makassar. Ab und zu ist er als Tourguide unterwegs. Sein fast perfektes Deutsch hat er allein mithilfe eines Wörterbuchs gelernt.
In Salabarani endlich fängt das Land der frohen Toten an. Denn hier lebt das Volk der Toraja, die sowohl an den Christengott als auch an Ahnengeister glauben. Das Eingangstor in ihr Siedlungsgebiet zieren überlebensgroße Figuren und das wohl typischste Symbol ihrer einzigartigen Kultur: ein geschwungenes Hausdach, das einem Schiffsrumpf wie den Hörnern eines Wasserbüffels ähnelt.
Tongkonan nennen die Toraja die auf Holzpfählen ruhenden Wohnbauten, die stets parallel nebeneinanderstehen, genau gegenüber von einem Reisspeicher der gleichen Form. Jedes Gebäude ist – je nach gesellschaftlicher Stellung seiner Eigentümer – mit farbenprächtiger Schnitzkunst und vielen Büffelhörnern geschmückt. „Der Tongkonan erfüllt sowohl praktische als auch spirituelle Aufgaben“, erklärt Eman. Denn der Ahnenkult, um den sich bei den Toraja alles zu drehen scheint, werde größtenteils zu Hause praktiziert. „Hier nehmen die Lebenden Kontakt zu den Geistern ihrer Verstorbenen auf. Und hier leben sie auch ganz wortwörtlich mit den Toten.“
Warten auf das Jenseits
Die Leichen werden einbalsamiert, im Haus aufbewahrt und wie Schlafende behandelt. Da die Toraja ihren Aufenthalt auf der Erde nur als Zwischenphase auf dem Weg in die Glück verheißende Welt der Toten betrachten, gilt ihnen die Bestattungszeremonie (der Eintritt ins Jenseits) als wichtigstes Ereignis im Leben. Martina Tapu schloss vor drei Jahren mit 87 für immer ihre Augen und wartet seitdem auf ihren zweiten Tod. „Kommen Sie herein, begrüßen Sie meine Mutter!“, fordert die Tochter der Verschiedenen die Gäste auf. Aus dem anerzogenen Respekt, Menschen bei der Trauer nicht zu stören, tun sich die Fremden aus dem fernen Mitteleuropa schwer, als sie Martinas Stelzenhaus betreten sollen. Doch die Frau Mitte 50 lässt nicht locker, bis man ihr ins Zimmerchen der toten Oma folgt.
In einem kleinen Himmelbett auf Spitzenkissen unter feinen Decken ruht dort tatsächlich die Verehrte, selig lächelnd. Man sagt freundlich Hallo, wünscht alles Gute und erhält beim Abschied sehr viel Dank von allen Angehörigen. Inzwischen sind die Frauen aus der Nachbarschaft gekommen. Mit dicken Bambusrohren in den Händen nehmen sie um einen leeren Holztrog Stellung. Der steht unter dem Haus, direkt unter dem „Schlafgemach“der Toten. Für sie ist dann Schluss mit der Ruhe. Lachend und mit viel Geschrei lassen nun die Frauen ihre Krachwerkzeuge tanzen. Dieser Höllenlärm weckt wahrlich Tote auf.
Leben nach dem Tod ist teuer
Endlich! Frau Tapu hat es geschafft. Am nächsten Tag darf sie ins Jenseits. Nun aber wirklich. Das ganze Dorf ist außer sich vor Freude. Massenhafte Büffel- sowie Schweineopfer sollen in der Anderswelt für Wohlstand, Macht und Reichtum sorgen. Und da die verschiedene Person aus einer vornehmen Familie stammt, darf ihr Körper in einer Felsenhöhle ruhen. Auf einem schmalen Balkon davor stellt man am Ende ihr TauTau, eine hölzerne Wächterpuppe.
Andere Verstorbene dagegen werden im Sarg an einer Felswand befestigt, tote Säuglinge gar in den Hohlräumen großer Bäume „beerdigt“. Dort könnten sie statt Muttermilch Harz trinken und weiterwachsen, glauben die Toraja. Totenfeiern dauern immer mehrere Tage, werden von Stier- und Hahnenkämpfen und anderen blutigen Ritualen begleitet. Da hunderte, ja manchmal Tausende Menschen daran teilnehmen, kosten diese Feste ein Vermögen. Auch das ist ein Grund für die Wartezeit vom letzten Atemzug bis zur Grablegung. Oft muss allein das viele Geld für die Tieropfer – deren Fleisch nach der Schlachtung an alle Anwesenden verteilt wird – und die staatlichen Steuern dafür erst zusammengespart werden.
Wiedersehen mit Ahnen
Während ihrer Reise nehmen die Besucher aus Europa an einer Hauseinweihung, einer Hochzeit und einer Bestattung teil. Jedes Mal erleben sie ein Volksfest mit unzähligen Gästen. Jedes Mal herrscht ausgelassene Stimmung. Jedes Mal fließt jede Menge frisches Schweine- und Büffelblut. Auch die Reisenden sind willkommen. Statt lebender Tiere bringen sie – ein Tipp des Guides – Nelkenzigaretten mit. Dankbar werden die Geschenke angenommen.
Im Torajadorf Kete Kesu berichtet Prinz Palidan Sarungallo vom Totenfest seiner Mutter, einer hohen Adligen. Für ihr Leben in einer besseren Welt wurden 65 Wasserbüffel und 600 Schweine geopfert. „Ich habe keine Angst vor dem Tod“, sagt der 65-Jährige. „Im Gegenteil, ich freue mich auf das Wiedersehen mit meinen Ahnen.“