Oslo ist jetzt Hauptstadt der Kulturtempel
Von Museen bis Oper und Bibliothek: Oslo hat sich zur Kulturstadt hochgebaut.
In der Dunkelkammer zusammen mit dem „Schrei“: Da findet sich unweigerlich jeder wieder, der in Oslo das MunchMuseum im 2021 eröffneten Aufsehen erregenden, von Osloern aber auch als „Leitplankensammlung“verspotteten neuen Bau zu besucht. Manch einer wird dann enttäuscht. Will das farbige Gemälde sehen, aber: „Sorry“, sagt der Wärter, „schauen Sie später wieder vorbei.“„Wann?“„In zwei, drei Stunden. Vielleicht auch erst morgen.“Gut zu wissen, schon vorher. Denn auch wenn das vom deutschen Architekten Jens Richter neu gestaltete, dem griechischen Buchstaben Lambda nachgeformte Munch-Museum drei „Schrei“-Versionen beherbergt – ein Gemälde, eine Zeichnung und einen Druck –, werden diese aufgrund der Lichtempfindlichkeit nur abwechselnd gezeigt, zwei Versionen sind immer ins Dunkel getaucht.
Die berühmteste Fassung des berühmtesten Gemäldes von Norwegens berühmtestem Maler befindet sich ohnehin nicht dort. Sondern im seit Juni in einem monumentalen Neubau residierenden Nasjonalmuseet, dem norwegischen Nationalmuseum für Kunst, Architektur und Design. Es ist der jüngste in einer spektakulären Reihe neuer „Kulturtempel“, die die kulturelle Ausstrahlung von Oslo gewaltig erhöhen.
„Schrei“im Nasjonalmuseet
Wie eine Festung wirkt das Nasjonalmuseet von außen, verschlossen, massiv. Wie ein Gegenprogramm zur Zugänglichkeit der übrigen kulturellen Neubauten, vom spektakulär ins Fjord-Ufer gefügten, über riesige Schrägen erreichbaren Opernhaus bis hin zur neuen öffentlichen Deichman-Bibliothek. Die deutschen Architekten Jan Kleihues und Klaus Schuwerk wollten wohl der historisch gewachsenen Würde eines „National“-Museums gerecht werden. Der riesige Bau, der nun vier Museen zusammenführt, strahlt in seiner wie selbstverständlichen Symbiose von alten und neuen Architekturelementen Zeitlosigkeit aus, Qualität ohne jede Effekthascherei. Etwas, was viele Jahre überdauern kann, mit Zukunft und Vergangenheit verbunden ist.
In dieser Architektur – der Staat hat sich den Bau 600 Millionen Euro kosten lassen – spiegelt sich auch der Reichtum dieses Landes, in dem ein Burger in einem Lokal gleich einmal 30 Euro, ein Glas Wein zwölf Euro kosten kann. Andere rohstoffreiche Länder demonstrieren ihn mit oberflächlicher Protzigkeit, hier äußert er sich ganz ohne Angeberei – etwa in der Qualität der Materialien.
Was Sauna und Oper verbindet
Betritt man allerdings das neue Nationalmuseum, ist vom Festungscharakter nichts mehr zu spüren. Hier findet man eher wieder, was
einem schon an der vom norwegischen Architekturbüro Snøhetta gestalteten Oper oder an der 2021 neu eröffneten Deichman-Bibliothek aufgefallen ist: wie sich hier Offenheit, Behaglichkeit und Zweckmäßigkeit verbinden, als wäre das eine völlig natürliche Verbindung. Wie in den öffentlichen Mini-Saunen in Bootshäuschen, die die Hafenmauern säumen: Erst rein ins enge, heiße Kammerl, dann raus ins Freie, ins Wasser.
All die Bauten sind in Spaziergängen zu erreichen, in dieser Hinsicht ist Oslo nicht viel anders als Wien. Selbst Wiener übrigens, die mit der Hauptbücherei am Gürtel sehr verwöhnt sind, kann der 2020 eröffnete Neubau der DeichmanBibliothek zum Staunen bringen. Er verbindet das Vertraut-Behagliche von Bücherregalen und Fauteuils alten Stils mit modernem Agora-Feeling, bietet beeindruckende Fjord-Ausblicke. Auch hier verwundert wieder, wie mühelos die Architekten Altes und Neues verbinden, wie sehr das Bauen hier von der Frage auszugehen scheint, wie man es dem Menschen leichter und angenehmer macht, Menschen miteinander verbindet. In diesem Refugium könnte man als Tourist in Oslo ganze Tage verbringen, wenn es draußen kalt und man der Museen und sonstigen Ausflüge müde ist. Zumal hier sogar der Kaffee nicht wie üblich das Doppelte kostet wie in Österreich.
Schiffsplanken-Stil
Für Behaglichkeit sorgt vor allem die unermessliche Verfügbarkeit von Holz in dem an Rohstoffen, durch Rohstoffe überreichen Land. Welcher Flughafen kann schon mit einem Parkettboden in der Ankunftshalle aufwarten! Und immer wieder begegnet einem die typische Holzlatten-Architektur, die von den in der Geschichte des Landes so wichtigen Schiffsplanken inspiriert scheint.
Apropos Schiff – wie packend man hier Ausstellungen zu machen verstehen, demonstriert das Fram-Museum auf der Halbinsel Bygdøy, keine halbe Busstunde vom Zentrum entfernt. Das berühmte Expeditionsschiff, die Fram, füllt fast vollständig den zeltförmigen Bau ein, in dem es um die Geschichte der norwegischen Polarforschungsreisen geht, insbesondere von Fridtjof Nansen, Otto Sverdrup und Roald Amundsen. Kaum zu glauben, dass dieses Museum (wenn auch stark überarbeitet und mittlerweile intensiv interaktiv) seit 1936 existiert.
Der Theater-„Nobelpreis“
Noch in anderer Hinsicht hat Oslo beachtlichen kulturellen Status: wenn es ums Theater geht. Leicht hatten sie’s ja nicht. Nach jahrhundertealter Abhängigkeit von Dänemark gelang es im ausgehenden 19. Jahrhundert, das als – im Gegensatz zum Dänischen – primitiv verschriene Norwegisch als Literatursprache zu etablieren. 1899 wurde das Nationaltheater unter anderem mit Ibsens „Volksfeind“eröffnet. Besucht man es oder sitzt hundert Meter weiter im GrandCafé (oder auch direkt neben dem Theater im Theatercafé), kann einen fast ein Wiener RingstraßenFeeling überkommen.
Hier im Nationalmuseum wird jährlich der International Ibsen Award vergeben, den mindestens die Norweger selbst gern „Nobelpreis des Theaters“nennen. Umgerechnet rund 280.000 Euro beträgt das Preisgeld. In diesem Herbst ging er an eine höchst bemerkenswerte australische Truppe, das Back to Back Theatre. Menschen mit Behinderung sind darin die zentralen Darsteller. Anlässlich der Preisverleihung präsentierten sie ihr Stück „Ganesh versus the Third Reich“– für Wiener freilich ein Déja`-vu: Das Stück war schon 2012 bei den Festwochen zu erleben.